Das Tempo hat sich verändert – der Antrieb nicht
Wo brennt Ihr Feuer heute?
Tina Weirather: An vielen Orten. Man merkt oft erst später, wie sehr einen Rituale und Strukturen prägen. Dieses Denken in Zwischenschritten, nicht nur aufs grosse Ziel schauen, sondern auf den Weg, habe ich aus dem Sport mitgenommen. Ich arbeite heute noch so: Wenn ich etwas mache, dann richtig. Und wenn es zu viel wird, gilt wie früher: Schritt für Schritt.
Wie haben Sie die Zeit nach Karriereende erlebt?
Anfangs kamen unglaublich viele Angebote und ich nahm mir vor: zwei Jahre alles ausprobieren, Erfahrungen sammeln und mich erst dann fokussieren. Fünfeinhalb Jahre später mache ich immer noch «alles». (lacht) Die Arbeiten sind abwechslungsreich, vielfältig und spannend, aber ehrlich gesagt nicht besonders strukturiert. Priorisieren ist nicht meine Stärke – Struktur sowieso nicht. Ich starte gern mit allem gleichzeitig, oft auch mit dem, was am längsten dauert. Als Selbstständige muss ich mich aber selbst organisieren, sonst funktioniert gar nichts. Und trotzdem: Am Ende geht es immer irgendwie auf. Vielleicht nicht lehrbuchmässig, aber in meinem Rhythmus. Und genau deshalb ist es erfüllend.

Wie treffen Sie schnelle Entscheidungen, wenn keine Zeit bleibt?
Ich verlasse mich auf meinen Instinkt. Im Skisport hast du nur Sekundenbruchteile, um zu reagieren. Du weisst genau, welches Risiko du eingehst, und drückst trotzdem aufs Gas. Diese Art, Entscheidungen zu treffen, ist ein Zusammenspiel aus Erfahrung, Vertrauen und Mut. Klar habe ich unterwegs auch Fehler gemacht, aber genau die haben mich geprägt und ich habe aus ihnen eine Menge gelernt. Heute höre ich stark auf meinen Bauch, aber ohne den Kopf auszuschalten. Dieser Mix aus Intuition und Reflexion ist für mich die ideale Kombination – damals wie heute.
Auf dem Sofa bin ich übrigens viel emotionaler als vor der Kamera. Skisport ist und bleibt für mich der beste Sport der Welt.
Zeigt sich dieser Instinkt auch im Job? Was begleitet Sie aus der aktiven Zeit heute noch?
Sehr sogar. Ich habe gelernt, mit Druck nicht nur umzugehen. Vor Kurzem habe ich im Hallenstadion vor 12 000 Menschen moderiert, etwas völlig Neues für mich. In den Proben lief vieles schief, und ich hätte tausend Gründe gehabt, nervös zu werden. Aber als es ernst wurde, war diese vertraute Fokussiertheit wieder da. Ich funktioniere in solchen Momenten fast automatisch. Wie früher im Starthaus, wenn es plötzlich ruhig wird und man genau weiss: Jetzt zählt’s. Ich bin einfach ein Wettkampftyp. Dieses Gefühl, wenn man performen muss, finde ich nicht bedrohlich, sondern belebend. Es gibt mir Energie. Und genau das nehme ich aus meiner Sportzeit mit: Druck ist nichts Negatives, solange man ihn für sich arbeiten lässt.
Gibt es auch etwas, das Sie aus der Zeit des Spitzensports bewusst hinter sich gelassen haben?
Ja. Vor allem diese permanente, unterschwellige Angst, die im Spitzensport immer mitschwingt, selbst wenn man sie kaum bewusst wahrnimmt. Ich habe zum Beispiel vor jedem Rennen im Hotel überprüft, ob ich wirklich alles dabei habe, aus dem Gedanken heraus, dass ich vielleicht nicht mehr selbst zurückkomme, falls etwas passiert. Für mich war das vollkommen normal, einfach Teil des Alltags. Erst mit Abstand wurde mir klar, wie belastend das eigentlich war. Als Athletin lebst du mit einem hohen Risiko, du funktionierst, blendest vieles aus und verschiebst Grenzen, nur um überhaupt starten zu können. Diese mentale Schwere habe ich abgelegt.

Wie fühlt sich der Skisport heute an – mit Abstand, aber als Expertin doch ganz nah dran?
Befreiend. Ich habe heute die Schokoladenseiten des Sports – die Nähe, die Emotionen, die Faszination, aber ohne das persönliche Risiko. Und trotzdem bin ich mittendrin: Ich analysiere, beobachte, versuche, Dinge einzuordnen und Emotionen mitzunehmen, aber in einer professionellen Dosierung. Auf dem Sofa bin ich übrigens viel emotionaler als vor der Kamera. (lacht) Skisport ist und bleibt für mich der beste Sport der Welt.
Hat Sie diese Distanz gelassener gemacht?
Definitiv. Damals war mein Leben eine permanente Intensität. Ich hatte vier Kreuzbandrisse. Heute frage ich mich manchmal, wie ich das psychisch überhaupt geschafft habe. Der Druck war enorm und alles fühlte sich ständig existenziell an. Mit der Zeit und dem Abstand habe ich gelernt, loszulassen. Und ich habe gemerkt: Die Welt bricht nicht zusammen, wenn etwas einmal nicht perfekt läuft. Im Gegenteil. Vieles wird leichter, wenn man nicht permanent auf 100 Prozent funktioniert. Diese Gelassenheit tut gut, und sie ist etwas, das ich heute viel bewusster wahrnehme.
Ja, es braucht Mut, hinzuschauen. Aber genau dieses Hinschauen lässt einen dankbarer und bewusster werden.
Sie engagieren sich stark für Liechtenstein durch Kampagnen, Challenges, Marketing. Wie kam es dazu?
Das ist für mich eine echte Herzenssache. Liechtenstein ist meine Heimat und ich bin dankbar, dass ich das Land vertreten darf – sei es in Kampagnen, als Werbegesicht oder als Teil von Liechtenstein Marketing. Es entsteht jedes Jahr etwas Neues: kreative Projekte, Aktionen, die zeigen, wie vielfältig und modern unser kleines Land ist. Ich liebe es, diese Geschichten nach aussen zu tragen und zu zeigen, wie wunderschön Liechtenstein ist.

Sie sind auch Unicef-Botschafterin. Welche Begegnung hat Sie besonders geprägt?
Meine Reise nach Malawi. Dort habe ich im Health Center unterernährte Kinder gesehen. Das war pure Härte. Und ich erinnere mich besonders an ein 15-jähriges Mädchen, bereits Mutter, völlig apathisch, ohne jeden Blick nach vorn. In solchen Momenten spürst du unmittelbar, was fehlende Bildung und fehlende Strukturen bedeuten. Gleichzeitig habe ich erlebt, wie wirksame und einfache Lösungen Leben verändern können: Solarbetriebene Pumpbrunnen direkt bei der Schule – auch dank Unterstützung aus Liechtenstein. Wenn Mädchen nicht mehr kilometerweit Wasser holen müssen, gehen sie wieder zur Schule. Sie sind sicherer unterwegs, es gibt weniger Übergriffe. Von der Erdnusspaste, die unterernährte Babys rettet, bis zu Projekten, die der ganzen Gemeinschaft Perspektiven geben, das alles macht Hoffnung. Ja, es braucht Mut, hinzuschauen. Aber genau dieses Hinschauen lässt einen dankbarer und bewusster werden.
Motivation ist ein «nice to have», aber letztlich irrelevant. Entscheidend ist, worauf du zurückgreifen kannst, wenn der Antrieb fehlt.
Sie erwarten im Frühling 2026 Ihr zweites Kind. Wie ist das Muttersein?
Es ist das Beste, was mir passiert ist! Mama sein ist die Rolle, in der ich mich am authentischsten fühle, und gleichzeitig auch die anspruchsvollste. Nichts fordert dich so sehr, aber nichts erfüllt dich auch auf diese Weise. Es ist intensiv, schön, manchmal chaotisch, und dennoch fühlt es sich genau richtig an.
Und wie balancieren Sie das Muttersein, Ihre Arbeit und Engagements?
Ich glaube nicht an dieses perfekte Gleichgewicht. Es gibt immer Phasen, in denen etwas überwiegt. Und das ist völlig in Ordnung. Über das Jahr verteilt pendelt es sich trotzdem gut ein, weil meine Tätigkeiten sehr saisonal sind: Im Herbst und Winter ist Hochbetrieb mit Vorträgen und Expertinnen-Einsätzen. Frühling und Sommer sind ruhiger, in dieser Zeit plane und verteile ich meine anderen Engagements. Natürlich ist das manchmal auch streng. Aber ich mag das Leben genau so: Es ist abwechslungsreich, lebendig und gibt mir das Gefühl, auf verschiedenen Ebenen Wirkung zu erzielen. Und gleichzeitig weiss ich, wann ich bewusst Tempo herausnehmen möchte. Im März kommt unser zweites Kind und für diese erste Zeit als Familie halte ich mir den Raum frei. Denn manche Momente wollen gelebt, nicht organisiert werden.
Wenn der Motor mal nicht anspringt, was hilft Ihnen, durchzuhalten?
Im Sport absolvierst du unzählige Trainings, manchmal mit null Motivation. Du machst sie trotzdem. Einfach, weil es sein muss. Motivation ist ein «nice to have», aber letztlich irrelevant. Entscheidend ist, worauf du zurückgreifen kannst, wenn der Antrieb fehlt. Ich greife auf das zurück, was mich als Athletin getragen hat: Routine, Disziplin und das Wissen, dass man nicht jedes Mal brennen muss, um voranzukommen. Wenn es darauf ankommt, weiss ich, wie ich mich fokussiere, wie ich durchziehe und wie ich am Ende trotzdem Qualität liefere. Das hat im Sport funktioniert und genauso funktioniert es heute in all meinen Rollen.
Plötzlich schaust du nicht mehr nur auf Hundertstelsekunden, sondern auf Lebensrealitäten und darauf, wo du selbst etwas bewirken kannst.
Wofür leuchten Sie am meisten?
Ganz klar für den Skisport. Er bleibt ein Teil von mir, auch wenn ich heute eine völlig andere Rolle darin habe. Ich liebe die Mischung aus Podcast, der Analyse für SRF und den Vorträgen, bei denen ich direkt mit Menschen in Kontakt komme. Jede dieser Rollen zeigt mir eine andere Perspektive auf den Sport, den ich früher hauptsächlich aus dem Tunnelblick erlebt habe. Dazu kommt meine Arbeit als Unicef-Botschafterin, die meinen Horizont weit geöffnet hat. Plötzlich schaust du nicht mehr nur auf Hundertstelsekunden, sondern auf Lebensrealitäten und darauf, wo du selbst etwas bewirken kannst. Diese Vielfalt an Aufgaben fasziniert mich heute viel mehr als früher. Und natürlich: Am hellsten leuchte ich für meine Familie. Sie ist mein grösstes Herzensprojekt und der Ort, an dem alle meine Rollen zusammenlaufen und Sinn bekommen.
Was brauchen Sie im Moment mehr: die Klarheit des Schnees oder die Wärme der Flamme?
Im Moment wahrscheinlich beides, nur in einer anderen Mischung als sonst. Die Klarheit des Schnees tut mir gut, weil ich das Draussensein brauche: In der Natur sortieren sich meine Gedanken fast von selbst, neue Ideen entstehen und vieles löst sich beim Gehen wie nebenbei. Genau das fehlt mir gerade ein wenig, weil ich aufgrund der Schwangerschaft etwas Tempo herausnehmen muss. Gleichzeitig zieht es mich zur Wärme der Flamme. Sie gibt mir Geborgenheit, und ich friere ohnehin ständig. (lacht) Aber ich weiss, dass diese Phase nur ein Kapitel ist. Und ich freue mich darauf, danach wieder beides in vollen Zügen zu geniessen: die Klarheit, die mich fokussiert, und die Wärme, die mich trägt.
Erfolg ist für mich, das tun zu dürfen, was ich liebe. Ich habe das Luxusproblem, fast nichts liegen lassen zu wollen, weil ich all meine Aufgaben wirklich gern mache.
Wenn Erfolg nicht mehr Zeiten und Plätze sind, was ist er heute für Sie?
Erfolg ist für mich, das tun zu dürfen, was ich liebe. Ich habe das Luxusproblem, fast nichts liegen lassen zu wollen, weil ich all meine Aufgaben wirklich gern mache. Gleichzeitig plane ich heute bewusster: Ab März nehme ich mir eine Babypause, vier Monate ganz für die Familie. Danach geht es weiter mit allem, was dazugehört. Ich bin überzeugt, wir werden rückblickend darüber staunen, wie wir alles geschafft haben. Und ich freue mich einfach wahnsinnig auf alles, was kommt.
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