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«Wir müssen ihn stoppen»: Proteste gegen neue Regierung in Frankreich – und das ist nur der Anfang

Emmanuel Macron war für einmal schneller als die Opposition: Am Vorabend einer landesweiten Blockade berief der französische Präsident in aller Hast einen neuen Regierungschef.
Protest gegen die Regierung: In ganz Frankreich wie hier in Montpellier gingen am Mittwoch Menschen auf die Strasse, um zu demonstrieren. (Bild: Guillaume Horcajuelo/EPA)
«Alles blockieren»: Teilweise arteten die Proteste in Gewalt aus. (Bild: Philippe Magoni/AP)
«Wir müssen ihn stoppen»: Protest-Schild gegen Emmanuel Macron. (Bild: Stefan Brändle)
Philippe Bouquet (Bild: Stefan Brändle)
François Reymond (Bild: Stefan Brändle)

Es ist sechs Uhr in der Früh, als an der Porte d’Orléans die ersten Demo-Parolen durch die leeren Strassenschluchten schallen. Ein paar hundert Demonstranten – mehr sind es nicht – machen sich laut skandierend Mut: An der strategischen Einfallsachse im Süden von Paris warten starke Polizeieinheiten in Vollmontur.

80 000 Ordnungshüter sind im ganzen Land aufgeboten, um die Operation «Bloquons tout» (Blockieren wir alles!») im Keim zu ersticken. In die Bistros um die Porte d’Orléans schauen die Handwerker für einmal auf die spektakulären Bilder und Zahlen am Live-Fernsehschirm: Tausende von Demonstranten in Bordeaux und Marseille; die Autobahn A10 in Poitiers in beide Richtungen lahmgelegt; der Pariser Grossbahnhof Gare du Nord von schwarz vermummten Aktivisten belagert (und alsbald von der Polizei befreit); Explosion eines in Brand gesteckten, zum Glück leeren Busses in der bretonischen Hauptstadt Rennes.

Dazu landesweit: 715 Blockaden in Unternehmen und der öffentlichen Verwaltung; hundert Schulen gestört, deren 27 zugesperrt; sogar die Pariser Eliteschule Henry IV wurde von ihren Mittelschülern besetzt. Vorläufige Bilanz: 200 Festnahmen; mehrere verletzte Polizisten.

«Alles blockieren»: Teilweise arteten die Proteste in Gewalt aus. (Bild: Philippe Magoni/AP)

Das klingt eindrücklich, zeugt aber nicht von einer massiven Beteiligung. Auch an der an der Porte d’Orléans nicht. «Warten Sie ab, das ist erst der Anfang», sagt ein Chauffeur an der Endhaltestelle der Buslinie 125. «Der Höhepunkt ist in einer Woche, am 18. September, wenn sich auch die Gewerkschaften in den Kampf stürzen.» Worum geht es ihnen eigentlich? Der bullige Chauffeur weiss nicht recht. «Wenn es für das Volk ist, bin ich dabei», sagt er mit umso mehr Inbrunst.

Massive Kritik an Staatspräsident Macron

Ein paar Schritte weiter steht ein Kartonschild an der Hauswand, übriggeblieben von der längst zerstreuten Demo. «Amtsenthebung» steht darauf in roten Lettern, und zwar «vite», schnell. Dazwischen eine Karikatur von Staatspräsident Emmanuel Macron im Superman-Outfit und einem umgekehrten Trichter auf dem Kopf, umgeben von einem Dutzend kleinerer Explosionen. «Ihr müsst...wir müssen ihn stoppen», fleht das Schild.

«Wir müssen ihn stoppen»: Protest-Schild gegen Emmanuel Macron. (Bild: Stefan Brändle)

Ein Mann bleibt vor der Tafel stehen. Frage an ihn: Worum geht es bei dem Blockade-Appell eigentlich? Philippe, so der Vorname des Rentners, weist mit dem Daumen geringschätzig auf Macrons Konterfei. «Um ihn geht es!» Der weisshaarige Mann erklärt: «Offiziell geht es um das Sparbudget, mit dem sie uns unter anderem zwei Feiertage streichen wollen. Was meint dieser Präsident eigentlich?», fragt der ehemalige Arzt erbost. «Dass wir das einfach so schlucken? Ich hätte es ja noch verstanden, wenn er das Vorhaben im Budget versteckt hätte. Aber er will sich offenbar unbeliebt machen, dieser Charlot!»

Philippe Bouquet (Bild: Stefan Brändle)

Charlot, das ist der Hanswurst. «Wissen Sie, wir Franzosen wünschen uns insgeheim immer noch einen wie Bonaparte (Napoleon, die Red.) zurück. Aber wenn er es mit dem Volk einmal verscherzt hat, wehe ihm! Macron wird es nicht mehr lange machen. Der Dummkopf!»

Jetzt bleibt ein jüngerer Mann vor der Macron-Karikatur stehen, um sie zu fotografieren. Ein Macron-Fan? Um Himmels willen: «Non!», entfährt es dem Anhänger linkssouveräner Theorien. Sein Vorbild ist Charles de Gaulle: «Er lebte dem Geist der Fünften Republik nach und lenkte die Nation wie ein General – aber als die Leute nach dem Mai ‘68 genug hatten von ihm, trat er freiwillig ab.»

Dann zeigt François, wie er heisst, ebenso abschätzig auf die Macron-Karikatur: «Der da wird nie von sich abtreten. Er wird uns höchstens noch in einen Krieg gegen Russland verwickeln.»

Etwas stimmt: Macron hat bereits in aller Deutlichkeit klargemacht, dass er das Elysée nicht vor seinem Mandatsende in anderthalb Jahren zu verlassen gedenkt. Für einmal ist der Président dem Peuple, dem Volk, für sogar zuvorgekommen: Am Vorabend der Landesblockade, fünf Minuten vor Beginn der Abendnachrichten, hat er für den am Morgen zurückgetretenen Premier bereits einen Nachfolger aus dem Hut gezaubert: Sébastien Lecornu, ein Treuer unter den Getreuen des Staatschefs, bisher ein solider, aber blasser Verteidigungsminister, hat am Mittwoch das Amt des Regierungschefs angetreten.

Um die Mittagszeit findet die Amtsübergabe statt. Welch Kontrast: Dort, im Hôtel Matignon, dem Regierungssitz mit Palastdekor und roten Teppich, kommt es zum feierlich-entspannten Stabwechsel von einem unbeliebten zu einem unbekannten Premier. Lecornu fordert die illustre Gästeschar immerhin auf, «nüchtern und bescheiden» zu bleiben. Vielleicht spürt er den Zorn der Bürger, denen Bayrou nahelegte, den Gürtel enger zu schnallen – obwohl Präsident Macron während seiner Amtszeit tausend Milliarden Euro verbraten hat.

Hier an der Porte d’Orléans macht das Pariser Volk jedenfalls die Faust im Sack, nahe daran, seinem alten Trieb zum Königsmord freien Lauf zu lassen. Und selbst wenn sich der Präsident noch bis Mai 2027 in seinem Palast halten sollte, werden die Bürger keinen mehr wie ihn ins Elysée wählen.

François wie Philippe reden nicht lang um den Brei herum. Jetzt sei es nur logisch, Marine Le Pen eine Chance zu geben. Auch wenn ihr Wirtschaftsprogramm den Ökonomen die Haare zu Berge stehen lässt? «Schlimmer als unter Macron kann es nicht werden», meint Philippe.

François Reymond (Bild: Stefan Brändle)

Ein Taxifahrer, der seine schwarze Limousine an der Porte d’Orléans poliert, sagt auch ohne Umschweife, linke und rechte Präsidenten habe Frankreich schon oft versucht, jetzt sogar einen aus der Mitte. «Nun kommt sie an die Reihe.» Die Rechtspopulistin Le Pen? Der Chauffeur lacht: «Einmal eine Frau, ist doch gut, nicht wahr?»

 
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