"Heimvorteil? Eher Heimnachteil"
Er ist die Ruhe in Person und spricht auch dann nüchtern und sachlich, wenn andere von den Emotionen übermannt werden. Nino Schurter lässt sich so schnell nicht aus der Reserve locken - auch jetzt nicht, wo das nächste Karriere-Highlight, die WM keine 20 Kilometer vor der eigenen Haustür, ansteht. Geradezu tiefenentspannt sitzt der Churer Ausnahmekönner zwei Tage vor dem Rennen in einem Raum des Schweizer Team-Hotels und sagt: "Es wäre schön, wenn ich auch vor heimischem Publikum den Titel holen könnte." Die hohen Erwartungen - nach zwei Siegen in den letzten beiden Saisons in Lenzerheide rechnet jeder umso mehr mit einem Triumph des Dominators - belasten ihn nicht. Gewohnt ruhig, routiniert und minutiös bereitet er sich auf seine nunmehr neunte WM bei der Elite vor.
Seiner Favoritenrolle im Heimrennen ist sich Schurter freilich bewusst: "Für mich geht es darum, das Level zu halten. Ein Extra rausholen kann ich nirgends mehr, es passt alles", sagte er unlängst, ohne arrogant zu wirken. Nicht zu Unrecht verweist Schurter wiederholt auf die Unwägbarkeiten seines Sports: "Es ist nach wie vor nicht so einfach, auch wenn die Leute denken, ich würde immer gewinnen. Man kann auch plötzlich krank werden oder ein technisches Problem haben. Es ist ein schmaler Grat."
Dinge wie diese spielten ihm nach der makellosen Vorsaison heuer tatsächlich einige Streiche. So ist seine Serie der Ungeschlagenheit im Frühjahr in Südafrika nach anderthalb Jahren gerissen, weil er im Zielsprint aus dem Pedal rutschte. Dazu verzeichnete er im vorletzten Rennen im kanadischen Mont-Sainte-Anne einen Kettenriss und wurde Siebter - auch weil ihn im Vorfeld eine Bronchitis zurückgebunden hatte.
Und dennoch: Den Angriffen der aufbegehrenden jungen Garde hielt Schurter im Gesamtweltcup trotzdem souverän stand. Auch so war er mit Abstand der konstanteste Fahrer im Feld; schon vor dem letzten von sieben Rennen stand er als Gesamtsieger fest. Während die Gegner um die Tagessiege mal Gerhard Kerschbaumer, mal der nun verletzte Sam Gaze, Mathieu van der Poel, Stéphane Tempier, Anton Cooper oder Mathias Flückiger hiessen, mischte Schurter mit Ausnahme des Rennens in Kanada stets ganz vorne mit.
An Motivation und Ehrgeiz mangelt es dem Weltmeister und Olympiasieger nach wie vor nicht. Seit Jahren heimst er alle bedeutenden Titel ein. 30 Weltcup- und sechs Gesamtsiege stehen nunmehr auf seiner Habenseite, dazu Olympiagold von 2016 in Rio. Ein vergleichbares Palmarès kann nur Julien Absalon vorweisen. Dabei kann sich Schurter noch viele weitere Profi-Jahre vorstellen: "Ich liebe diesen Sport, ich bin gerne draussen in der Natur, und ich mag es, Rennen zu fahren und zu gewinnen."
Diese Heim-WM, die er als "einmalig" bezeichnet, fordert dem Bündner nun aber mehr ab als eine gewöhnliche WM. Er steht noch mehr im Fokus, hat mehr Medien- und Sponsorenarbeit zu verrichten und wird durch die vielen Bekannten vor Ort abgelenkt. "Heim-Nachteil" nennt er es deshalb: "Es gibt viel Ablenkung und viel Zusätzliches zu bewältigen." Sein einziger Vorteil sei, dass er vor Ort ausgiebig Material habe testen können.
Zumindest vom Siegesdruck, den er sich früher selbst auferlegt hat, hat er sich mit dem Erreichen des grössten Karriereziels, Olympiagold, entledigt. Seit dem Triumph vor zwei Jahren in Brasilien spüre er diesen am Start nicht mehr, sagt Schurter. Entsprechend relaxt wirkt er an den Renntagen seither. Die 33 Weltcupsiege des inzwischen zurückgetretenen Franzosen Absalon sind die einzige wichtige Rekordmarke, die noch nicht in Schurters Besitz ist - mit Betonung auf "noch nicht". Die Lars Forsters, Mathias Flückigers, Mathieu van der Poels und Sam Gazes müssen sich gedulden. (sda)
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