OhO-Beirätin Margrit Stadler blickt auf 20 Jahre zurück: «Christkind spielen zu dürfen, ist ein Privileg»
Im ersten Spendenjahr 2005 hat die Tagblatt-Spendenaktion Ostschweiz hilft Ostschweiz (OhO) fast 300'000 Franken eingenommen. Im letzten Jahr waren es 2,1 Millionen Franken. Dazwischen liegen nun fast 20 Jahre. Was macht die Spendenaktion so erfolgreich?
Margrit Stadler: Die Aktion kommt zum richtigen Zeitpunkt: Die Spenderinnen und Spender wollen in der Zeit vor Weihnachten etwas Gutes tun. Eindruck macht ihnen ausserdem der Ostschweiz-Bezug. Das hören wir immer wieder – jeder kennt jemanden aus nächster Nähe, der eine Unterstützung verdient hätte. Und viele sagen sich: «Wenn ich an OhO spende, dann weiss ich, wo das Geld hinkommt.»
Was hat Sie vor 20 Jahren überzeugt, sich für OhO zu engagieren?
Ich weiss noch genau, als mich der damalige Vereinspräsident Silvan Lüchinger anfragte: Ich war in den Ferien im Tessin, es war mein Präsidialjahr im Kantonsrat. Als ich hörte, dass Kathrin Hilber dabei ist, sagte ich sofort zu. Das hat mich beeindruckt. Als amtierende Regierungsrätin verlieh sie der Aktion Gewicht. Die Aktion ist mir seither ans Herz gewachsen. Mittlerweile kann ich meine langjährige Erfahrung in den Beirat einbringen und möchte auch nach 20 Jahren noch ein paar weitere OhO-Aktionen begleiten.
Sie waren im Präsidialjahr und scheuten den Zusatzaufwand nicht?
Ich habe immer viel Freiwilligenarbeit gemacht, das gehört zu meiner Identität. Ich bin spontan im Ja-Sagen. Und ich habe es nie bereut. Ausserdem war und ist der Austausch im Beirat immer sehr spannend und bereichernd. Das sind interessante Leute mit einem grossen Rucksack.
Zur Person
Margrit Stadlers Politkarriere nahm 1996 Fahrt auf, als sie mit 40 Jahren als Kandidatin der Toggenburger Frauenliste der CVP auf Anhieb in den Kantonsrat gewählt wurde. Sie war während mehrerer Jahre Vizepräsidentin der CVP-Fraktion und 2004/2005 Kantonsratspräsidentin. Davor engagierte sie sich als GPK-Mitglied in der Schulgemeinde Kirchberg und neun Jahre lang als Präsidentin der Spitex Kirchberg. Weiter war sie Administrationsrätin des katholischen Konfessionsteils des Kantons St.Gallen und in dieser Funktion 16 Jahre Schulpräsidentin der Flade. Seit der Gründung 2005 und bis heute ist Margrit Stadler Beirätin der Weihnachtsaktion Ostschweiz hilft Ostschweiz (OhO).
Wie gehen die Beirätinnen und Beiräte vor, wenn Sie Gesuche prüfen?
Wir prüfen jedes einzelne Gesuch genau. Diese kommen entweder von Institutionen oder von Privatpersonen. Bei Privaten müssen wir die finanzielle Situation genau abklären. Jedes Gesuch braucht eine Referenzperson, welche einen gewissen Abstand zur begünstigten Person hat und die wir dann über die Situation befragen können. Wir haben oft einen jahrelangen, guten Austausch mit den Mitarbeitenden von sozialen Institutionen und Sozialämtern – diese können mittlerweile gut einschätzen, ob ein Gesuch für OhO passt oder nicht. Falls es um grössere Beträge geht oder etwas unklar ist, frage ich nach. Schwierigere Fälle oder grössere Beiträge beraten und entscheiden wir an den Beiratssitzungen.
Was sind das für Wünsche, die OhO von armutsbetroffenen Menschen erhält?
Es sind ganz alltägliche Dinge wie zum Beispiel eine Zahnarztrechnung oder die Kosten für eine Brille, die die Leute belasten. Sie wünschen sich Winterkleider, einen Beitrag für Möbel oder etwas Geld für Weihnachtsgeschenke oder ein Weihnachtsessen. Für uns ist diese Armut kaum vorstellbar, dass es Leute gibt, die sich kein Weihnachtsessen leisten können – das macht betroffen.
Vielfach sind es immer wieder dieselben Personen, die einen Antrag stellen. Das verwundert nicht: Leute, die sich an der Armutsgrenze bewegen, kommen da nicht so schnell weg. So kann es sein, dass wir auch Mehrfachgesuche berücksichtigen.
Wie hat sich die Armut in der Ostschweiz verändert?
In den ersten Jahren von OhO waren es viele ältere Menschen, die Hilfe brauchten. Das hat sich zwischenzeitlich etwas verschoben zu den Familien. Die Armut in den Familien hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Vor allem bei Alleinerziehenden. Die Scheidungsrate ist gestiegen. Die Kosten für zwei Haushalte sind höher. Oft ist es die Frau, die dann nicht das nötige Einkommen einbringen kann und in die Sozialhilfe rutscht. Das ist problematisch, da auch die Kinder immer mehr von Armut betroffen sind.
Welche Folgen hat das für Kinder?
Wenn die Eltern arm sind, ist die Chance grösser, dass auch die Kinder auf der Schattenseite bleiben. Sie werden benachteiligt. Sei es in der Schule, bei den Hobbys oder bei der Berufswahl. Der Armutsfalle können sie kaum entkommen. Deshalb macht unsere Aktion so viel Sinn: Wenn ein solches Kind zum Beispiel Musikunterricht besuchen kann, kann es an der Gesellschaft teilhaben. Ich bin überzeugt, dass wir hier Verbesserungen schaffen können, die auch unsere Spenderinnen und Spender schätzen.
Ist unser Sozialstaat denn ausreichend?
Unser System ist wirklich gut, das weiss ich aus meiner langjährigen politischen Tätigkeit. Unser Sozialstaat ist gut ausgebaut und gerecht. Aber oft braucht es wenig, ein Unfall oder eine Krankheit, der Verlust der Arbeitsstelle oder sonst ein Schicksalsschlag und die Leute fallen durch die Maschen.
Hier braucht es ein Auffangnetz. Dieses bilden verschiedene Hilfsorganisationen, etwa die Caritas, die Winterhilfe, Mütter in Not oder OhO. Einzig: Für arme Familien müsste man politisch etwas mehr tun und zum Beispiel Ergänzungsleistungen schaffen.
Deutet die Zunahme der Gesuche, die bei OhO eingehen, auf mehr Armut in der Ostschweiz hin?
Wir erhalten immer mehr Gesuche, das hat bestimmt mit der Bekanntheit von OhO zu tun. Aber ich glaube auch, dass es immer mehr Working Poor und sozial benachteiligte Menschen in unserer Gesellschaft gibt.
Welche Schicksale haben Sie über die Jahre besonders berührt?
Meine schönste Geschichte war vor Jahren: Eine alleinerziehende Mutter lebte mit sieben Kindern in einem alten, baufälligen Haus. Es hat buchstäblich in die Zimmer geregnet, es standen Kübel im Raum, um das Wasser aufzufangen. Der Vermieter wollte nichts investieren, ein Umzug war für die Familie finanziell nicht möglich. Wir konnten zusammen mit einem Architekten und Handwerkern vor Ort einen namhaften Beitrag zur Sanierung der Kinderzimmer beitragen. Mir bleiben die leuchtenden Kinderaugen, als sie ihre renovierten Zimmer übernehmen konnten.
Es sind viele tragische Geschichten, in denen wir direkt helfen konnten. Zum Beispiel, wenn jemand Dank OhO eine Ausbildung machen und dadurch wieder auf eigenen Beinen stehen kann. Wir können auch mit kleinen Beiträgen spontan Freude machen: Berührende Dankesschreiben von Beschenkten zeugen jedes Jahr davon.

Wie verarbeiten Sie persönlich diese Schicksale?
Es macht mich zufrieden und dankbar, wenn ich die Schicksale so vieler Menschen mit einem Beitrag etwas lindern kann. Es ist ein Privileg, im OhO-Beirat zu sein und Christkind spielen zu dürfen. Ich gehe befriedigt in die Weihnachtszeit.
Was kann Oho nicht leisten?
Schuldensanierungen, Kreditabzahlungen oder Steuerschulden zahlen wir konsequent nicht – das ist ein Tabu. Das heisst nicht, dass wir nicht auch eine ausstehende Miete übernehmen, weil die Betroffenen sonst die Wohnung verlieren würden. Ferien zahlen wir auch nicht, nur in absoluten Ausnahmefällen, zum Beispiel für eine alleinerziehende Mutter mit ihren Kindern einige Tage Erholung. Beiträge an Fahrstunden übernehmen wir nur, wenn sie unverzichtbar für den Beruf sind. Wir geben auch kein Geld ins Ausland: Ist der Zahnarzt im Vorarlberg, zahlen wir nicht.
Oho kann sofort und ohne gesetzliche Hürden helfen. Wir haben unsere internen Richtlinien, aber wir müssen uns nicht an Paragrafen halten und entscheiden auch einmal aus dem Herz heraus. Das ist unser Privileg.
Was bewirken kleine Spendenbeträge?
Sie sind so wichtig. Wir starten jede Beiratssitzung mit dem aktuellen Spendenstand. Das spornt uns an.
So kommt Ihre Spende bei Bedürftigen an
Die Weihnachtsspendenaktion «Ostschweiz hilft Ostschweiz» (OhO) wurde 2005 ins Leben gerufen. OhO richtet sich unbürokratisch und gezielt an Menschen in der Region, die finanzielle Unterstützung benötigen. Die Aktion unterstützt sowohl Einzelpersonen als auch Familien aus den Kantonen St. Gallen, Thurgau und den beiden Appenzell. Jedes Gesuch muss begründet sein und die Notsituation genau darlegen. Der ehrenamtliche Beirat mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik entscheidet über die Spendenvergabe. Spenden können alle; auch kleine Beträge helfen.
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