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Englands neue Demut

Das englische Nationalteam befindet sich in Russland auf Wiedergutmachungstour. Allzu viel braucht es nicht, um die Demütigungen der letzten EM und WM vergessen zu machen. Die Erwartungen sind gering.
Harry Kane und die Engländer haben wieder Spass
Harry Kane und die Engländer haben wieder Spass (Bild: KEYSTONE/AP/DMITRI LOVETSKY)

Die Geschichte wiederholte sich in den letzten Jahren in den wesentlichen Zügen. Sie ging so: Man nehme einen Haufen gut bezahlter englischer Premier-League-Fussballer, schicke ihn mit unrealistischen Erwartungen und überhöhten Prognosen an ein grosses Turnier, lässt die Spieler am Druck zerbrechen und prügle dann auf diese ein.

Der letzte Shitstorm brach vor zwei Jahren an der EM in Frankreich nach dem Achtelfinal-Aus gegen Island über die Three Lions herein. Noch deftiger fielen die Reaktionen auf das blamable Scheitern an der WM vor vier Jahren in Brasilien aus. Sieglos verabschiedeten sich die Engländer damals in der Gruppenphase aus dem Turnier, nach zwei Spielen stand das Aus bereits fest.

2018 könnte es anders kommen. Nicht weil man der englischen Auswahl den ganz grossen Wurf zutraut, sondern weil die Erwartungshaltung für einmal nicht überzogen ist. Der Achtelfinal soll und muss es in der Gruppe mit Belgien, Tunesien und Panama schon sein, viel höhere Ansprüche stellen die Leute in der Heimat aber nicht. Selbst das Aus im ersten K.o.-Spiel gegen Kolumbien oder Polen würde der jungen Mannschaft und Trainer Gareth Southgate verziehen.

"Haben ein grossartiges Team"

Endlich können die Engländer an einem grossen Turnier also befreit aufspielen. Genau darin sehen die Spieler ihre Chance. "Viele schreiben uns ab, aber wir haben hier ein grossartiges Team. Das ist fast beängstigend: die Dynamik, die Jugend. Wir glauben, dass wir sehr weit kommen", sagte Aussenverteidiger Kieran Trippier. Viele attestieren der Equipe das Talent für Höheres, José Mourinho erklärte unlängst, er traue den Engländern den Titel zu. Doch kaum einer erwartet diesen. Der erste WM-Halbfinal seit 28 Jahren würde bereits als grosser Erfolg gewertet.

Der Mannschaft scheint die neue Demut im eigenen Land gut zu bekommen. Die Qualifikation überstand das Nationalteam ohne Niederlage, und auch in den sechs Testspielen seither blieb der Weltmeister von 1966 ungeschlagen. Unter anderem spielte das Team gegen Deutschland und Brasilien unentschieden. Unter Southgate, der 2016 Roy Hodgsons Kurzzeit-Nachfolger Sam Allardyce abgelöst hat, können die Three Lions wieder auf den Goodwill im Land zählen. Auch innerhalb des Teams kehrte die Freude zurück. Man habe wieder Spass, berichteten Spieler.

Geglänzt hat die Mannschaft, deren Spieler ausschliesslich in der Premier League unter Vertrag stehen, aber selten. Das Team ist jung und talentiert, aber wohl noch zu jung und zu wenig souverän. "Wir werden in den nächsten Monaten kein Spanien werden", mahnte Southgate nach dem mühevollen 1:0 gegen Slowenien im letzten Oktober, das die Tür nach Russland öffnete. Die grossen Zeitungen und TV-Stationen kommentierten in die gleiche Richtung. Der "Independent" stellte sarkastisch fest: "Das war der Abend der nationalen Einsicht: England ist wirklich nicht besonders gut im Fussball." Man ist sich aber einig: Die Perspektiven sind, auch mit Blick auf die Erfolge der Nachwuchs-Auswahlen, wieder rosiger. (sda)

 
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