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Missbrauch: «Das Zölibat ist nicht schuld»

Nach und nach werden in der Schweiz, Österreich und Deutschland Fälle bekannt, in denen Kinder von katholischen Geistlichen missbraucht worden sein sollen. Für Generalvikar Markus Walser ist dies jedoch kein Grund, am christlichen Glauben zu zweifeln.

VON BETTINA FRICK

Es ist wie eine Kettenreaktion: Immer mehr Opfer, die von katholischen Geistlichen sexuell missbraucht wurden, klagen an. Den Stein ins Rollen brachten die Fälle am deutschen Canisius-Kolleg im Januar. Zunächst waren es sieben ehemalige Schüler, die berichteten, sie seien sexuell missbraucht worden. Mittlerweile haben sich 15 weitere gemeldet. Der jetzige Rektor, Pater Klaus Mertes, spricht davon, dass der Missbrauch von Mitte der 70er- bis Anfang der 80er-Jahre «systematisch» gewesen sei. Die mutmasslichen Täter, Jesuiten, wurden nie bestraft. Wie ein Hohn klingt inzwischen der erste Grundsatz, dem sich die katholische Privatschule verpflichtet fühlt: «Jesuitenschulen sollen Orte sein, an denen die Schülerinnen und Schüler ihre Würde als Mensch erfahren.»

Es folgten weitere Meldungen aus Österreich und der Schweiz, in welchen Missbrauchsopfer sich zu Wort melden. Innerhalb der katholischen Kirche wächst der Unmut über den Umgang mit den Missbrauchsfällen. Aus Rom kommt nun der Ruf nach einer «ernsthaften internen Reinigung». Für den Vaduzer Generalvikar ist jeder einzelne Missbrauchsfall bedauerlich und einer zu viel: «Es scheint mir wichtig, besonnen und konsequent den Vorwürfen nachzugehen.»

Diskussion um das Zölibat

Die Regelung der verpflichtenden Ehelosigkeit wurde durch die gesamte Kirchengeschichte hindurch kontrovers diskutiert, und in der Gegenwart werden die Stimmen – auch von kirchlichen Amtsträgern – lauter, die eine Abschaffung des Zölibatsgesetzes fordern. Man betont, dass es biblisch keine Verankerung der Ehelosigkeitsverpflichtung für Priester gibt, sondern verheiratete Amtsträger vorausgesetzt werden und in den Evangelien von der «Schwiegermutter des Petrus» gesprochen wird.

Nach mehreren Psychologen kann es bei Priestern, die mit dem Zölibat Mühe haben, in der Folge zu Einsamkeit kommen. Dies wiederum kann weitere Probleme nach sich ziehen, wie beispielsweise Sucht oder Depression. Die Frage, inwieweit sexueller Missbrauch durch Priester mit der Zölibatsverpflichtung zusammenhängt, heizt die Diskussion um das Zölibat bei den aktuellen Fällen an.

Keine wesentliche Veränderung

Markus Walser ist der Meinung, dass eine Abschaffung des Zölibats hinsichtlich des Missbrauchs von Kindern nichts Wesentliches ändert: «Die in Deutschland und Österreich gemeldeten Missbrauchsfälle betreffen zu einem guten Teil Ordensleute», so der Generalvikar. Zum Ordensleben gehörten die Verpflichtungen zur ehelosen Keuschheit, zur Armut und zu dem Gehorsam. «Das hat also mit dem Zölibat nichts zu tun. Ordensleben ohne ehelose Keuschheit gibt es nicht.» Bei den aktuellen Fällen gehe es eher um die konkreten Lebensumstände eines Internats. «Es ist nicht von ungefähr, dass in Deutschland in den jüngsten Tagen auch massive Missbrauchsvorwürfe geäussert wurden, die staatliche Internate und Schulen betreffen», sagt Markus Walser.

Der grösste Teil der Missbrauchsfälle geschehe leider durch Verwandte. «Die mir in Liechtenstein in den vergangenen Jahren durch die Medien bekannt gewordenen Missbrauchsfälle gingen von verheirateten Tätern aus. Also auch hier keine Frage des Zölibats», so der Generalvikar. Es gehe – ob die potenziellen Täterinnen oder Täter verheiratet sind oder nicht – darum, die Geschlechtlichkeit in geordneter Weise zu leben. Ungeordnete Sexualität präge die Gesellschaft in vielerlei Weise: «Es geht um sexuellen Missbrauch von Minderjährigen genauso wie um sexuelle Ausbeutung von Frauen und Männern im Sexgewerbe oder um sexuelle Gewalt in der Ehe oder Partnerschaft.» Nichts davon betreffe das Zölibat.

Man wird mit Sünden leben müssen


Auch unter Katholiken macht sich Unmut breit. Der Generalvikar aber beruhigt: «Es gibt keinen Grund, am christlichen Glauben zu zweifeln.» Ein Blick in die Apostelgeschichte verrate, dass es damals schon Unzucht unter Christen gab, was von den Aposteln scharf kritisiert wurde. So sei es während der ganzen Kirchengeschichte bis heute geblieben. Die Kirche bestehe aus Sündern, die sich mit der Gnade Gottes bessern sollen. «Natürlich ist jeder Ehebruch einer zu viel, jeder sexuelle Missbrauch einer zu viel. Doch solange es die Kirche geben wird, deren Glieder sündige Menschen sind, wird man auch mit Sünden leben müssen.»

Als Generalvikar könne er nur für das Erzbistum Vaduz sprechen, nicht für die anderen deutschsprachigen Bistümer. «Mir sind hierzulande keine Fälle sexuellen Missbrauchs durch Priester bekannt», sagt Markus Walser. Dafür sei er sehr dankbar und hoffe, dass dies auch so bleiben wird. «Ich wünsche mir, dass es auch im familiären und anderen gesellschaftlichen Bereichen in Liechtenstein künftig weniger Missbrauchsfälle geben wird.» Vielleicht könne die gegenwärtige Lage für alle ein Ansporn sein, darüber nachzudenken, wie man die eigene Sexualität so geordnet leben kann, dass niemandem dadurch Unrecht getan wird, so Markus Walser.

 

 
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