Ausgebrannt oder depressiv?
Popsängerin Mariah Carey, Fussballtrainer Ralf Rangnick und Fernsehkoch Tim Mälzer – dies sind nur einige Beispiele von Prominenten, die nach eigener Aussage an einem Burnout litten. Es scheint, als würde sich das Leiden epidemieartig ausbreiten – schliesslich nimmt die Anzahl ausgebrannter Berufstätiger seit den 80er-Jahren fortlaufend zu. Umso überraschender ist, dass es keine allgemeingültigen Kriterien für die Diagnose gibt. Somit gilt
Burnout de facto nicht als Krankheit, sondern beschreibt vielmehr ein Zustandbild mit einer bis heute kaum einheitlichen Definition.
Burnout oder Depression?
«Burnout ist eine Stressfolge-Erkrankung», erklärt der Psychologe Matthias Brüstle. In der Regel beschreibt der Begriff alle möglichen?Arten von Stressfolgen, bei denen eine Erschöpfung im Vordergrund steht. Betroffene fühlen sich unter anderem müde, antriebslos, überlastet und leiden an Schlafstörungen – allesamt Symptome, die auch im Zuge einer depressiven Erkrankung auftreten. Zufall? Nein, sagt Matthias Brüstle:?«Häufig verbirgt sich hinter einem Burnout eine Depression.» Dies belegt auch eine finnische Untersuchung aus dem Jahr 2005. Ihr zufolge haben 53 Prozent der Arbeitnehmer mit der Diagnose Burnout eine behandlungsbedürftige Depression.
Laut Matthias Brüstle ist es problematisch, wenn eine Depression fälschlicherweise als Burnout deklariert wird. Wer nämlich glaubt, an einem Burnout zu leiden, wird in erster Linie versuchen, sich durch eine Auszeit Erholung zu verschaffen und allenfalls Schlaf nachzuholen. «Dies sind Massnahmen, die eine allfällige Depression eher verstärken», klärt Brüstle auf. Es ist also von Bedeutung, eine Depression als solche zu erkennen, damit auch eine adäquate Behandlung erfolgen kann.
Die Krankheit der Tüchtigen
Mittlerweile sind sich viele Psychiater und Psychologen darin einig, dass ein Burnout in den meisten Fällen nur ein beschönigendes Synonym für den Begriff Depression darstellt. Ein Burnout zuzugeben, ist für viele Betroffene einfacher, als von einer Erschöpfungsdepression zu sprechen. «Es gibt durchaus eine gesellschaftliche Unterscheidung zwischen den Begriffen?Burnout und Depression. Der Erstere scheint sozial verträglicher zu sein», berichtet der Psychologe. Wer ausgebrannt ist, hat sich nämlich «beinahe zu Tode gearbeitet», und das zeugt von Tüchtigkeit. Diagnosen wie Depression oder das Eingeständnis «Ich kann nicht mehr» scheinen hingegen in der heutigen leistungsorientierten?Gesellschaft weniger akzeptiert zu sein. Ob nun Burnout oder Depression: Fakt ist, dass beides behandelt gehört.
Günstige Bedingungen schaffen
An Burnout leiden vor allem Menschen, die sich mit besonders viel Idealismus für ihren Beruf einsetzen, und dies oft über die persönlichen Grenzen hinaus. Laut Matthias Brüstle sind jedoch gerade diese persönlichen Grenzen massgebend. Wer sich, ohne Rücksicht auf seine eigenen Kraftreserven, fortlaufend überlastet, steuert ungebremst auf ein Burnout zu. «Es geht darum, eine Lebensweise zu finden, die dem Menschen gerecht wird.» Eine Aufgabe, der sich sowohl die Gesellschaft als auch das Individuum zu stellen haben. Einerseits geht es um die gemeinschaftliche Wiederentdeckung der Langsamkeit, andererseits um das Finden einer persönlichen Balance im Leben. Denn nur wer in einem gesunden Masse auf sich selbst achtet, hat gute Chancen, sich einer psychischen Gesundheit zu erfreuen. (sb)