Vorwurf, Rauswurf – Einwurf: Warum das Wohlwollen wertvoll ist

Wenn Dinge in Schieflage geraten, wird meist schnell nach einem Sündenbock gesucht. Schliesslich ist es wesentlich leichter, mit dem Finger auf einen einzelnen Urheber zu zeigen, als sich mit komplexen Hintergründen und Ursachen des Missstands zu beschäftigen. Ein Phänomen, das wir sowohl aus dem Wirtschafts- als auch aus dem Gesellschaftsleben kennen. In der Wirtschaft reagieren Unternehmen in der Regel mit sofortiger Entlassung: Je nach Schwere der Schieflage muss ein Kopf der entsprechenden Managementebene rollen. Problem erkannt, Problem gebannt? Mitnichten.
Denn das einfache Opfern von Personalien kann die notwendige Auseinandersetzung mit den Fakten, die kritische Prüfung von Behauptungen und die Ursachenforschung nicht ersetzen. Keine Frage, das kostet Zeit. Ein Fusstritt nimmt nur einen Bruchteil davon in Anspruch. Und so machen wir es uns in Chefetagen wie auf dem gesellschaftlichen Parkett gerne leicht, indem wir nach dem oberflächlichen Erscheinungsbild eines Sachverhalts gehen. Dabei machen wir viel an einzelnen Personen fest, dämonisieren sie und bedienen uns bei unserer Kritik schonungsloser Formulierungen. Die Zeiten des Scheiterhaufens liegen zwar lange hinter uns, doch was sich heute manches Mal in Medien und sozialen Netzwerken im Umgang mit Personen abspielt, die in die Kritik geraten sind, gleicht einer neuen Form von Lynchjustiz. Der Ruf des Menschen ist zerstört, das weitere berufliche Fortkommen schwer, manchmal gar unmöglich geworden.
Es hilft Unternehmen nicht, Regelverstösse oder schlechte Bilanzen lediglich mit einer prominenten Entlassung zu ahnden. Das viel beschworene entschlossene Handeln wird häufig zum Scheingeschäft. Wird ein Verantwortlicher abgesetzt, gibt sich das Unternehmen nach aussen den Anschein, die Dinge im Griff zu haben. Doch zum einen sind damit noch lange nicht Entstehungsgeschichte und Einflussfaktoren geklärt. Und zum anderen kann dieses Vorgehen zum Bumerang werden. Wer mit einem Fusstritt verabschiedet wird, tritt selbst um sich. Wo im Falle eines Skandals mehrere Köche einen faulen Brei anrührten – in Unternehmen handelt niemand völlig allein –, wird es genug Unvorteilhaftes geben, was der Verstossene noch ans öffentliche Licht befördern könnte. Je drastischer ein Unternehmen im Umgang mit Mitarbeitern handelt, desto stärker schreckt es zudem potenzielle Nachfolger ab, den Job des Entlassenen zu übernehmen. Wer einmal die Axt kreisen lässt, macht dies vielleicht öfter. Für die Unternehmenskultur ist das Prinzip «Wer schuld ist, ist raus» ohnehin nicht förderlich: Es schürt die Angst von Mitarbeitern, Missstände offen zu
benennen. Das bereitet den Boden für die nächste Schieflage.
Der Diplomat kennt Situationen, in denen Vorwürfe und Missstände im Raum stehen, zur Genüge. Für ihn gilt es jedoch auch in Zeiten schwerer Schieflage, sich grundsätzlich mit einer Haltung des Wohlwollens zu begegnen. Ein Diplomat versucht bei der Suche nach Einigung oder Bereinigung, möglichst viele Faktoren zu berücksichtigen. Anders als beim Vorgehen vieler Unternehmen zählt für ihn auch, wie viel jemand über viele Jahre in seiner Position geleistet hat. Er nimmt mehr als den augenblicklichen Missstand in Augenschein und bezieht es in die Beurteilung einer Situation mit ein. Diplomatie dämonisiert nicht, sondern deeskaliert. Verstehen kommt hier vor Verstossen. Keine Frage: Wer sich nicht an Regeln hält, muss Konsequenzen spüren, sonst greift der Regelbruch um sich. Aber ebenso wichtig ist es, sich zum Wohle des Unternehmens mit den Hintergründen einer Schieflage zu beschäftigen: Welche Faktoren waren massgeblich? Welche Vereinbarungen wurden unter Umständen missachtet, welche Werte geopfert? Worauf sollte das Unternehmen künftig stärker den Fokus richten? Was bedeutet das für die verschiedenen Ebenen? Und was für die Unternehmenskultur? Hier liegen die Aufgaben für jede Chefetage. Ein Diplomat weiss das längst.
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