Neun Medikamente pro Pflegeheimbewohner
Die Forscher hatten anonymisierte Helsana-Abrechnungen vom 1. April 2016 bis zum 30. Juni 2016 hochgerechnet. Die Ergebnisse sind im von Helsana am Montag im Internet veröffentlichten Arzneimittelreport 2017 zu finden. Darüber berichtet haben die Zeitungen "Tages-Anzeiger" und "Der Bund" in ihren Montagsausgaben.
Die Forscher verglichen den Konsum von krankenkassenpflichtigen Medikamenten der Pflegeheimbewohner mit jenem der über 65-Jährigen, die zu Hause lebten. Letztere nahmen mit im Durchschnitt 5,6 vier Arzneimittel weniger pro Tag ein, wie es in der Studie heisst.
Mehrfach chronisch krank
Die Forscher haben errechnet, dass 85,5 Prozent der Pflegeheimbewohner fünf oder mehr Medikamente einnehmen. Gerade Menschen in Pflegeheimen leiden oft an mehreren chronischen Erkrankungen gleichzeitig.
Doch der hohe Medikamentengebrauch berge Gefahren und sei nicht immer der richtige Weg in der Altersmedizin, warnen die an der Studie beteiligten Wissenschaftler.
Überdosierungen und Falschdiagnosen
Gerade bei älteren Menschen sei die Mehrfach-Medikation, die Polypharmazie, mit einem erhöhten Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAWs) sowie für Spitalaufenthalte verbunden. Auch steige das Sterberisiko.
Ältere Menschen bauen die Wirkstoffe im Körper langsamer ab. Die Wirkstoffe können "im Körper akkumulieren und somit zu dosisabhängigen Nebenwirkungen und Intoxikationen führen".
UAWs können auch als neues Symptom fehlinterpretiert werden. Die Folge: weitere Medikamente würden verschrieben. Es entstehe eine sogenannte Verschreibungskaskade.
Verwirrtheit wird verlängert
Sorgen bereitet den Forschern, welche Medikamente in den Heimen gebraucht werden. So wird der Wirkstoff Quetiapin eingesetzt, der von Swissmedic nur zur Behandlung der Schizophrenie und bei bipolaren Störungen zugelassen ist.
"Bei älteren Patienten wird der Wirkstoff aber auch häufig beim Delir, bei Unruhe oder Schlafstörungen kurzfristig eingesetzt", also nicht wie in der Schweiz zugelassen, heisst es im Arzneimittelreport.
Zugelassen zur Delir-Behandlung ist ein anderes Medikament, doch dieses hat stärkere Nebenwirkungen als sehr niedrig dosiertes Quetiapin. Da Delir eine Sterblichkeitsrate von 30 Prozent habe und die Patienten unter Verwirrtheit, oft verbunden mit Demenz, litten, bestehe "aus der Sicht des Arztes" ein "erheblicher Behandlungsdruck".
Spätestens nach vier Wochen, sollte Quetiapin Schritt für Schritt abgesetzt werden, so die Empfehlung. Wird der Wirkstoff zu lange eingesetzt, drohten UAWs.
Die Helsana-Zahlen deuten darauf, dass Quetiapin häufig als Langzeitmedikament eingesetzt werden: Die Gesamtbezüge seien seit 2013 um 40,6 Prozent auf 136‘027 im letzten Jahr angestiegen, heisst es.
Schlafstörungen und Stürze
Quetiapin zählt zu den im Alter potentiell inadäquaten Medikamenten (PIM) und sollte vermieden werden. In Pflegeheimen wiesen 2016 79,1 Prozent aller Bewohner mindestens einen Bezug eines Medikaments mit einem PIM-Wirkstoff auf.
In diese Kategorie fallen vier der 15 laut gemäss Arzneimittelreport am häufigsten bezogenen Wirkstoffen. Neben dem Quetiapin waren dies das Antirheumatikum Diclofenac sowie das Benzodiazepin-Analogon Zolpidem und das Benzodiazepin Lorazepam.
Die beiden letzten Mittel werden als Schlaf- und Beruhigungsmittel eingesetzt. Rund 30 Prozent der Heimbewohner nahm eines der beiden Mittel ein. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass viele davon Langzeitkonsumenten waren. Sie warnen, Benzodiazepine und Benzodiazepin-ähnliche Wirkstoffe führten zu schlechteren Gedächtnisleistungen und zu Stürzen - im Alter sind oft Knochenbrüche die Folge. (sda)
Zu diesem Thema wurden noch keine Kommentare geschrieben
Kleines Vademecum für Kommentarschreiber
Wie ein Kommentar veröffentlicht wird – und warum nicht.
Wir halten dafür: Wer sich an den gedeckten Tisch setzt, hat sich zu benehmen. Selbstverständlich darf an der gebotenen Kost gemäkelt und rumgestochert werden. Aber keinesfalls gerülpst oder gefurzt.
Der Gastgeber bestimmt, was für ihn die Anstandsregeln sind, und ab wo sie überschritten werden. Das hat überhaupt nichts mit Zensur zu tun; jedem Kommentarschreiber ist es freigestellt, seine Meinung auf seinem eigenen Blog zu veröffentlichen.
Jeder Artikel, der auf vaterland.li erscheint, ist namentlich gezeichnet. Deshalb werden wir zukünftig die Verwendung von Pseudonymen – ausser, es liegen triftige Gründe vor – nicht mehr dulden.
Kommentare, die sich nicht an diese Regeln halten, werden gelöscht. Darüber wird keine Korrespondenz geführt. Wiederholungstäter werden auf die Blacklist gesetzt; weitere Kommentare von ihnen wandern direkt in den Papierkorb.
Es ist vor allem im Internet so, dass zu grosse Freiheit und der Schutz durch Anonymität leider nicht allen guttut. Deshalb müssen Massnahmen ergriffen werden, um diejenigen zu schützen, die an einem Austausch von Argumenten oder Meinungen ernsthaft interessiert sind.
Bei der Veröffentlichung hilft ungemein, wenn sich der Kommentar auf den Inhalt des Artikels bezieht, im besten Fall sogar Argumente anführt. Unqualifizierte und allgemeine Pöbeleien werden nicht geduldet. Infights zwischen Kommentarschreibern nur sehr begrenzt.
Damit verhindern wir, dass sich seriöse Kommentatoren abwenden, weil sie nicht im Umfeld einer lautstarken Stammtischrauferei auftauchen möchten.
Wir teilen manchmal hart aus, wir stecken auch problemlos ein. Aber unser Austeilen ist immer argumentativ abgestützt. Das ist auch bei Repliken zu beachten.
Wenn Sie dieses Vademecum nicht beachten, ist das die letzte Warnung. Sollte auch Ihr nächster Kommentar nicht diesen Regeln entsprechen, kommen Sie auf die Blacklist.
Redaktion Vaterland.li
Diese Regeln haben wir mit freundlicher Genehmigung von www.zackbum.ch übernommen.