Paul Rechsteiner: Ein Lob der St.Galler und Thurgauer Regierung
Seit Wochen häufen sich Meldungen über Entlassungen in Ostschweizer Industriebetrieben: DGS, Sefar, SFS, Leica, Bernina – um nur ein paar der Wichtigsten zu nennen. Als Grund wird das schlechtere wirtschaftliche Umfeld genannt: die Willkürzölle des amerikanischen Präsidenten, aber auch der stark überbewertete Franken und die Probleme der Autoindustrie. Inzwischen sind es bereits deutlich über 1000 Stellen, die verloren gegangen sind oder gehen werden.

Es braucht keine prophetischen Gaben: Würde heute über das künftige Verhältnis der Schweiz zur EU abgestimmt, fänden die Bilateralen III wohl eine Volksmehrheit. Zu wichtig sind stabile wirtschaftliche Beziehungen zum mit grossem Abstand wichtigsten Handelspartner der Schweiz. Gerade für den Industriestandort Ostschweiz hat sich das Umfeld seit Trump stark gewandelt.
Die Zeichen für eine Zustimmung stehen auch deshalb günstig, weil der Lohnschutz mit den Bilateralen III und den Begleitmassnahmen gesichert werden konnte. Das ist ein klarer Fortschritt gegenüber dem 2021 gescheiterten Rahmenabkommen. Der Lohnschutz wäre damals massiv geschwächt worden.
Dass die St. Galler und die Thurgauer Regierung vor zwei Wochen nicht nur Ja zu den Bilateralen III gesagt haben, sondern auch unmissverständlich die Meinung vertreten, dass in der Abstimmung das Volksmehr reicht, sorgt für Rückenwind aus der Ostschweiz. Die Regierungen haben wie die grosse Mehrheit der anderen Kantone erkannt, wie wichtig das Abkommen für eine starke Industrie und für die Arbeitsplätze ist. Gerade in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld.
Weniger erfreulich sind dagegen die Stellungnahmen der beiden Appenzell. Sie sagen zwar, sie würden die Verträge befürworten, aber verlangen gleichzeitig das Ständemehr. Erklären lässt sich das nur mit dem viel höheren Stimmengewicht der kleinen Kantone beim Ständemehr. Eine Ausserrhoder Stimme zählt beim Ständemehr gleich viel wie fünf St.Galler Stimmen. Und eine einzige Innerrhoder Stimme wiegt 50 Zürcher Stimmen auf.
Die Rechnung ist schnell gemacht: Wer die Vorlage versenken will, kann sich, wenn das Ständemehr gilt, mit der Nein-Kampagne auf einige wenige Deutschschweizer Kantone konzentrieren. Wenn diese Kantone «Nein» sagen, sind die Verträge vom Tisch. Beim Ständemehr kommt es stark auf die kleineren Deutschschweizer Kantone an. Die bevölkerungsreichen Kantone hingegen sowie die ganze Suisse Romande würden bei einem Ständemehr nichts mehr zählen. Für das Abstimmungsresultat über eine Vorlage, die die Zukunft der Schweiz wesentlich prägen wird, wären ihre Stimmen schlicht irrelevant. Das ist hochproblematisch für eine Demokratie, die darauf basiert, dass alle Menschen gleich sind, ohne Vorrechte des Orts und der Geburt.
Die Forderung nach einem Ständemehr ist umso weniger gerechtfertigt, als die Verfassung ein solches nur in ganz bestimmten Ausnahmefällen vorsieht. Ausnahmen, unter die die Bilateralen III nicht fallen. Auch bei den Bilateralen I und II galt das Volksmehr. Wer behauptet, er sei für die Verträge und gleichzeitig ein Ständemehr verlangt, sagt faktisch «Nein» – ohne dazu zu stehen. Es ist wie ein Bekenntnis mit hinter dem Rücken gekreuzten Fingern.
Paul Rechsteiner stammt aus St.Gallen und ist ehemaliger SP-Ständerat. Er schreibt diese Kolumne wöchentlich im Turnus mit Toni Brunner, Carla Maurer und Jérôme Müggler, sowie Reena Krishnaraja und Marta Ulreich, die ihre Kolumnen gemeinsam verfassen.
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