Anstehen fürs Panzerfahren – 5000 Leute besuchen die Infanterie-Rekrutenschule im St.Galler Breitfeld und in Herisau
«Der da ganz links mit dem Maschinengewehr ist unser Sohn», sagt eine Mutter aus dem St.Galler Rheintal am Samstagmorgen stolz auf dem Schiessplatz Breitfeld. Die Familie macht Fotos und Videos mit dem Smartphone, während der Sohn im Schützengraben liegt und Salven auf den Feind – eine Zielscheibe aus Karton – feuert. Neben der Familie stehen Hunderte weitere Zuschauerinnen und Zuschauer, die den Tag der Öffentlichkeit nutzen, um einen Einblick in die Infanterie-Rekrutenschule 11 der Schweizer Armee zu bekommen.
Auch viele Herren, deren Rekrutenschule schon etwas länger zurückliegt, verfolgen das Gefechtsschiessen gespannt und werden nostalgisch: «Das ist wie vor 50 Jahren, als wir noch Füsiliere wurden», sagt einer aus der Stadt St.Gallen. Neben ihm filmt eine junge Frau das Geschehen mit ihrem Smartphone und sagt: «Echt krass. Sieht aus wie im Krieg. Das gibt mega Snaps.» Sie hat Tarnfarbe ins Gesicht gemalt.


Während die Besatzer und Füsiliere ein kleines Gefecht vorführen, schiessen sie unter anderem auch mit Maschinengewehren von ihren Fahrzeugen sowie mit Nebelpetarden. Ohrenbetäubend ist der Lärm, und dennoch blicken alle Zuschauerinnen und Zuschauer gespannt auf die inszenierte Schlacht. Ein Vater entdeckt seinen Sohn und ruft stolz: «Da ist er!»
Selfies im Radschützenpanzer
Wenige Meter weiter stehen Hunderte Menschen an für ein «Panzer-Taxi»: Mit Radschützenpanzern oder gepanzerten Mannschaftstransportern fahren die Rekruten ihre Gäste vom Breitfeld nach Herisau in die Kaserne Ramsen. Die Militärfahrzeuge sind das Rückgrad der leichten Infanterie und dienen im Kampfeinsatz als Transportmittel und Verstärkung der Truppen. Eine Familie zwängt sich in das Innere eines Radschützenpanzers.
Mutter, Grossmutter, Freundin und Schwester eines Rekruten sitzen im engen Fonds, wo sonst die Infanteristen ihren Platz haben. Die Familie macht Selfies und ist überrascht vom Lärm, als der Panzer losfährt: «Das ist ja extrem laut hier drin, aber irgendwie gemütlich.» Die Familie zeigt Videos ihres Sohns, wie dieser im Schützenpanzer herumfährt. «Es ist wirklich bewundernswert, was diese jungen Menschen in dieser kurzen Zeit alles lernen und wie sie sich entwickeln», sagt die Mutter.

In der Kaserne Ramsen angekommen, steigt die Familie aus und sucht ihren Sohn. Er soll irgendwo hier im Getümmel sein. Hunderte Menschen wuseln hier auf dem Kasernenareal umher, schauen sich die Fahrzeugausstellung und die Waffensimulatoren an. Für den Schulkommandanten, Oberst im Generalstab Simon Hobi, ist der Ansturm der Besucher ein positives Zeichen: «Wir betreiben geistige Landesverteidigung und zeigen der Öffentlichkeit, wie wichtig unser Militär ist.» Auch viele Schulklassen seien gekommen, um einen Blick in die Rekrutenschule zu bekommen. Das sei gerade in der Ostschweiz gewinnbringend: «Die Menschen sehen uns sonst nur mit dem Schützenpanzer durch die Stadt fahren. An solchen Tagen können wir den Menschen auch einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen.»
Unter den Besuchenden seien viele Vertreter von Behörden und aus der Politik. Unter anderem seien viele andere Militärdienstleistende zu Besuch, einige Offiziersgesellschaften mit Familien und auch Politiker, sagt Hobi. Einen Augenschein an diesem Samstagnachmittag nimmt auch die Grossratspräsidentin von Appenzell Innerrhoden, Kathrin Birrer. Auch sie ist überzeugt, dass solche Anlässe in der aktuellen Zeit wichtig sind: «Unser Militär ist auch für die Region sehr wichtig. Wir arbeiten Hand in Hand und sind für ein gewinnbringendes Miteinander, dass es dann, wenn es darauf ankommt, aufeinander zählen können.»

Dass Kinder an diesem Tag im Simulator lernen, wie man mit Maschinengewehren oder Panzerabwehrwaffen auf Gegner schiesst, sehen alle unkritisch: «Das ist wie ein Computerspiel», erklärt ein Wachtmeister einem Mädchen, das am Terminal mit dem Joystick auf ein anderes Fahrzeug zielt und dann eine Salve abfeuert. Sie strahlt und sagt: «Ist der jetzt kaputt?» – Der Soldat nebenan nickt. Ein Zimmer weiter lässt sich ein junger Mann aus Deutschland in einem Panzerturm von einem gelernten Schreiner erklären, wie die Waffensysteme funktionieren und wie das Wehrpflichtmodell der Schweiz funktioniert:
In der Festwirtschaft herrscht dichtes Gedränge. Auf den Tischen liegen Papiere ausgelegt, auf denen das Bedrohungsszenario Russlands auf Osteuropa aufgezeigt wird. Wie die Baltikum-Staaten bei einem Überfall von Putins und Lukaschenkos Truppen von der Nato verteidigt werden müssen und was das für die Schweiz bedeuten würde: Krieg. Viele schauen sich das Szenario an und diskutieren an den Festtischen darüber.

Irgendwann unterbricht ein junger Leutnant mit einer Kiste voller Berliner die Runde und ruft: «Die Festwirtschaft macht zu, schnappen Sie sich noch ein Dessert!» Die Berliner gehen weg wie warme Weggli, und bevor die Besucherinnen und Besucher wieder in die Panzer einsteigen, bekommen sie noch Militärschoggi und -biskuits. Kommandant Hobi verabschiedet einzelne Gäste und sagt: «Wir haben heute das Militär vielen Menschen wieder etwas näher gebracht und den Angehörigen gezeigt, was ihre Söhne und Töchter bei uns lernen – das ist ein Erfolg.» Dann schliessen sich die Rampen der Schützenpanzer, und die Gäste fahren heim.
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