Schneller als die Küstenwache – Schlepper bringen Migranten auf Schnellbooten übers Mittelmeer
Die Aktion dauert nur ein paar Minuten. Zwei Schnellboote landen am Strand an, ein paar Dutzend Migranten springen ins hüfthohe Wasser oder klettern auf Felsen – und betreten europäisches Festland. Momente später legen die schwarzen Boote wieder ab, die spanische Polizei kann von ihrem grösseren Schiff aus nur zusehen. Zwei Badende, die eben noch mit Limonade unter einem Sonnenschirm sassen, filmen die surreale Szene, die im Internet landet.
«Phantoms» werden die leistungsstarken Boote genannt, die auf der westlichen Mittelmeerroute zwischen Marokko und Spanien inzwischen häufiger gesichtet werden. Sie seien «schneller und wendiger als die grossen Patrouillenboote der nationalen Behörden», sagt eine Sprecherin der EU-Grenzschutzbehörde Frontex. Dadurch sei es «schwieriger, sie aufzuspüren und abzufangen». Anders gesagt: Die Schmuggler fahren den Behörden mit diesen Booten davon.
Etwa 120.000 Migranten kamen dieses Jahr auf dem Seeweg irregulär nach Europa, wie Daten des UN-Flüchtlingswerks UNHCR und der Organisation IOM zeigen. Rund 1.700 Menschen verunglückten dabei oder gelten als vermisst. Zwar ging die Zahl der Ankömmlinge seit 2023 zurück, auch weil die EU eine Art unsichtbare Mauer jenseits der eigenen Grenzen errichtet hat: Sie zahlt Milliarden an Länder wie Marokko und Tunesien, damit diese helfen, Migranten auf dem Weg nach Europa zu stoppen.
Mehr Schnellboote auch zwischen Libyen und Italien
Die lebensgefährliche Überfahrt wagen jedes Jahr trotzdem Zehntausende, die Schutz suchen oder auf ein besseres Leben hoffen. Auf der westlichen Route kamen zwischen Januar und September dieses Jahres etwa 14.000 Menschen irregulär in die EU – ein Anstieg um 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ein Grund dafür seien wohl die Schnellboote, sagt die Frontex-Sprecherin der dpa.
Auch auf der Strecke zwischen Libyen und Italien, der am stärksten genutzten Mittelmeerroute, sind solche Boote den EU-Grenzschützern zufolge immer häufiger unterwegs. So kämen hier fast die Hälfte aller Migranten nach Europa – in «schnellen Transfers» und «weitgehend unbemerkt».
Die Schlauchboote mit festem Rumpf (im Handel bekannt als RIB) sind 8 bis 14 Meter lang und donnern mit bis zu vier Motoren über das Wasser, jeder mit bis zu 350 PS, wie spanische Medien schreiben. Kombiniert wären das 1.400 PS – ein Formel-1-Rennwagen hat etwa 1.000. Sie schaffen Geschwindigkeiten von etwa 65 Knoten, also 120 Kilometer pro Stunde, und verbrauchen pro Fahrt wohl Hunderte Liter Benzin.
Selbst Spaniens Abfangjäger haben wenig Chancen
«Es gibt keinen legalen Weg, sie zu stoppen», wird ein Küstenwächter in einer spanischen Lokalzeitung zitiert. «Sie sind Ferraris mit Experten am Steuer, die auf nichts Rücksicht nehmen.»
Selbst mit ihren neuen Abfangjägern, die ebenfalls auf mehr als 60 Knoten kommen, hat die spanische Guardia Civil wenig Chancen. Will sie die Schmuggler bei so hohem Tempo abdrängen oder stoppen, kann ein Aufprall für beide Seiten tödlich enden. Um die Polizei zu überfordern, starten die Schmuggler zudem oft mit mehreren Booten gleichzeitig und koordinieren ihre Fahrten mit Navigationstechnik und Satellitentelefonen. Die Strecke nach Spanien, etwa in die Gegend um Almería, schaffen sie in zwei bis zweieinhalb Stunden.
Zwischen 6000 und 15'000 Euro soll eine Strecke pro Person kosten, sagen Beobachter in Marokko und EU-Behörden. Das ist etwa das Zehnfache dessen, was ein Platz in den eher bekannten Schlauch-, Holz- oder Metallbooten kostet, die etwa aus Tunesien ablegen. Weil diese schon bei einer einzigen Welle kentern können, ist manchmal von «schwimmenden Särgen» die Rede.
Teils werden Drogen und Migranten gleichzeitig transportiert
Ein Marokkaner, der seinen Namen nicht nennen will, plante eine Überfahrt nach Europa mit einem der üblichen Boote von Algerien aus. Aber er wurde festgenommen. Für einen Platz auf einem «Phantom», der ihn 8000 Euro gekostet habe, habe sein Geld nicht gereicht, sagt er der dpa.
Für die oft mittellosen Migranten sind solche Kosten eine astronomische Summe. Aber weil solch hohe Preise teils doch gezahlt würden, hätten Drogenschmuggler das Geschäft mit dem Leid der Betroffenen für sich entdeckt, sagt der Anwalt Hussein Bakkar al-Sabai, der in Marokko zu Migration und Menschenrechten forscht. Die Fahrer der Schnellboote «transportieren lieber Migranten als Drogen, weil sie grössere Gewinne erwirtschaften», sagt er.
Erst vor zwei Monaten teilte Europol mit, in Spanien ein Schmuggler-Netzwerk zerschlagen zu haben, das schätzungsweise eine Million Euro investierte für 15 Schnellboote, Technik und andere Ausrüstung.
Dass die Netzwerke für Drogen- und für Menschenschmuggel oft parallel oder zusammenarbeiten, ist kein neues Phänomen. Nach Einschätzung des Instituts Global Initiative, das zu länderübergreifender Kriminalität forscht, hat sich diese Überschneidung ab 2023 auf der westlichen Route aber verstärkt, vermutlich wegen der höheren Profite vom Transport der Migranten. Teils würden auch Drogen und Migranten gleichzeitig transportiert. Die Boote werden in Spanien, das schon lang mit dem Cannabis- und Kokain-Schmuggel aus Marokko kämpft, häufig als «Narcolanchas» bezeichnet – als Drogenboote.
Sie mögen schneller sein und auf See sicherer als Holzboote – zu Gewalt und Tod durch Ertrinken kommt es aber auch hier. Weil Schmuggler ihre Zeit in den EU-Gewässern so kurz wie möglich halten wollen, wurden Migranten in Küstennähe in einigen Fällen über Bord gestossen, teils mit gezogener Waffe.
In einem anderen Fall schafften es diesen Sommer einige Migranten in der spanischen Provinz Granada an Land. Ein paar empörte Strandgänger in Badehosen verfolgten die Männer und rangen sie nieder, bis die Polizei eintraf. (dpa)
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