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Eurokrise: «Das hat gravierende Konsequenzen»

Das Milliarden-Rettungspaket für Griechenland überzeugt Peter Moser nicht. Der HTW-­Ökonom und Spezialist für europäische Wirtschaftspolitik sieht darin ein gefährliches Signal an andere Schulden­staaten in der Euro-Zone.

MIT PETER MOSER SPRACH STEFAN SCHMID

Griechenland ist gerettet – zumindest vorläufig. Am Wochenende haben die Staaten der Euro-Zone und der Internationale Währungsfonds IWF das hoch verschuldete Land mit Not­krediten von 110 Milliarden Euro für die nächsten drei Jahre vor dem Ruin bewahrt. Im Gegenzug muss die Regierung in Athen aber einen strengen Sparplan umsetzen, der grosse Opfer von der Bevölkerung verlangt. Unter anderem sind Senkungen der
Beamten­löhne und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorgesehen.

Herr Moser, ist Griechenland mit dem milliardenschweren Rettungspaket nun über dem Berg?
Peter Moser: Griechenland erhält
eine kurze Verschnaufpause – mehr nicht. Man muss zwei Aspekte unterscheiden. Griechenland hat eine hohe Neu­verschuldung (Staatsdefizit) und hohe Staatsschulden, die bei
115 Prozent des Bruttoinlands­produkts (BIP) liegen. Für das Land hat sich nun ein Zeitfenster geöffnet, welches die Refinanzierung von auslaufenden Krediten erlaubt, nachdem Griechenland ja keinen Zugang mehr zum Kapitalmarkt hatte. Gleichzeitig sieht der ausgehandelte Sparplan vor, dass das Staatsdefizit innert vier Jahren von fast 14 Prozent des BIP auf drei Prozent reduziert werden muss.

Ist das überhaupt realistisch?

Das ist sicher ambitioniert, aber nicht unmöglich. Es gab in der Vergangenheit europäische Länder, die eine solche Reduktion geschafft haben. Ob die griechische Bevölkerung das drastische Spar­programm akzeptiert – ob es also politisch umsetzbar ist –, bleibt aber offen. Nur: Es gibt schlicht keine Alter­native. Das grundlegende ProbLem wird allerdings auch mit der Reduktion des Defizits nicht gelöst: die Überschuldung. Diese wird weiter anwachsen, schliesslich wird Griechenland weiterhin Staatsdefizite ausweisen und gleichzeitig schrumpft die griechische Wirtschaft. Daher gehe ich davon aus, dass der Schuldenstand künftig auf 150 Prozent des BIP steigen wird. Es ist also höchst fraglich, ob Griechenland seine Schulden je zurück­zahlen kann.

Das Problem ist folglich nicht gelöst?

Es ist nicht gelöst! Wahrscheinlich sind wir in ein paar Jahren wieder in der gleichen Situation. Entschärft wurde jetzt nur das kurzfristige Liquiditätsproblem von Griechenland, nicht aber das Schuldenproblem. An einer Umschuldung wird man über kurz oder lang nicht vorbeikommen.

Wäre eine Umschuldung sinnvoll?

Ja, denn dann müssten auch die Gläubiger einen Teil der Verantwortung übernehmen. Das wäre dringend nötig, um den Anlegern langfristig klarzumachen, dass sie letztlich das Anlagerisiko tragen und dass nicht alle Staatsanleihen auch sichere Anleihen sind. Wichtig ist: Eine Schulden­sanierung muss nicht zwingend mit einem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone einhergehen. Im Gegenteil: Ein Austritt der Griechen aus der Währungsunion wäre für das Land katastrophal. Es wäre mit einem Zusammenbruch des griechischen Bankensystems zu rechnen und einem starken Anstieg der Zinsen und der Inflation. Diese Nachteile würden die kurzfristigen Vorteile einer Währungsabwertung um Längen überwiegen – und das Schulden­problem würde nicht gelöst.

Warum hat man diese Umschuldung denn nicht jetzt vorgenommen?

Bei einer Umschuldung Griechenlands würden die Zinsen auch für andere Euro-Länder mit Schulden­problemen steigen – denn Zinsen sind schlussendlich nichts anderes als Risiko­prämien. Die Anleger würden realisieren: Ups, da ist tatsächlich ein Risiko! In der EU hat sich so eine unheilvolle Koalition gebildet. Euro-Länder mit hohen Staatsschulden wie Portugal, Spanien und Italien hatten Angst, dass sie ihre Staatsdefizite nicht mehr an den Finanzmärkten finanzieren könnten – oder nur noch zu sehr hohen Zinsen. Reiche Länder wie Deutschland und Frankreich wiederum hatten Bedenken, dass die Verluste bei einer Schuldensanierung ihre Banken in Mitleidenschaft ziehen könnten, denn diese sitzen zum Teil auf faulen Griechenland-Krediten. Kurzfristige Bedenken haben die Regierungschefs also veranlasst, langfristige Konsequenzen und Probleme viel zu wenig zu berücksichtigen.

Es ist doch so, dass jetzt mit Steuer­geldern nicht Griechenland gerettet wurde, sondern vielmehr Banken und Anleger, die darauf spekuliert haben, dass man den Griechen im Notfall sowieso hilft. Das weckt doch schlechte Erinnerungen an die Banken- und Finanzkrise.

In der Tat. Das ganze Hilfspaket wird derzeit von den Griechen und den Steuer­zahlern in der Euro-Zone geschultert. Für die Banken und Anleger hat man eine Deluxe-­Variante gewählt. Die Risiken sind nun faktisch bei den Staaten. Wie bereits in der Bankenkrise waren Länder wie Deutschland erpressbar durch die «Too-big-to-fail»-Problematik, weil sonst gewisse, für die Volkswirtschaft wichtige Finanzhäuser mit Griechenland-Krediten bankrott gegangen
wären. Das ist haarsträubend.

Sie sind der Ansicht, dass das aktuelle Hilfspaket den «Geist» des EU-Vertrags verletzt. Inwiefern?

Der EU-Vertrag schliesst eine Haftung der EU oder von Mitgliedstaaten für Schulden anderer Mitgliedstaaten ausdrücklich aus. Das verbietet eine solche Unterstützung wie im Fall Griechenland zwar nicht, aber mit dem Entscheid vom Wochenende wurde dieser Haftungsausschluss faktisch aufgehoben. Wir wissen jetzt, dass die Euro-Staaten im Notfall sehr wohl solidarisch für die Staats­schulden anderer Euro-Länder haften. Das ist eine fundamentale und gefährliche Änderung der Spiel­regeln – mit langfristig gravierenden Konsequenzen. So eine Haftung haben wir nicht einmal in der Schweiz: Wenn Genf zum Beispiel bankrott gehen würde, würde Graubünden dafür nicht haften.

Das Hilfspaket ist also ein frag­würdiges Signal an andere Schuldenstaaten wie Portugal und Spanien? Ganz nach dem Motto: Wenn alle Stricke reissen, eilen Brüssel und der Währungsfonds ohnehin zu Hilfe.

Richtig. Wo ist jetzt der Anreiz für kleine Länder wie Portugal, ihre
Fiskalpolitik wieder in Ordnung zu bringen? Natürlich muss man präzisieren: Spanien zum Beispiel wäre zu gross, um auf diese Weise gerettet zu werden – eine Umschuldung wäre hier sicher unausweichlich.

Ist die Rettung von Griechenland quasi die Nagelprobe für den Euro? Gelingt sie nicht, drohen neue Attacken von Spekulanten.

Wie gesagt, ich sehe die Gefahr in der Art und Weise der Rettung. Die Griechenland-Krise wird zu einer Nagelprobe für die Euro-Länder aufgrund der nun eingeführten gegenseitigen Haftung. Ich kann mir vorstellen, dass die Bevölkerung in gut geführten Ländern nicht lange bereit sein wird, für die Staatsschulden anderer Länder zu bezahlen – und deshalb allenfalls einen Austritt aus der Euro-Zone verlangen.

Dem Euro würde das Aus drohen.

Nicht, wenn die Haftung für Griechenland eine Ausnahme bleibt, die Gläubiger einen Teil der Kosten übernehmen und die Staatshilfe zurück­gezahlt wird. Dann ist dies keine Belastung für den Euro. Wichtig ist auch: Eine Abwertung des Euro um 10 bis 20 Prozent ist für die Wirtschaft in der Euro-Zone nicht schlimm. Vielmehr wäre dies hilfreich, um die eigenen Probleme zu mildern.

Man hat immer davon gesprochen, dass nach der Banken- und Finanzkrise die Krise der Staatshaushalte kommen könnte. Sind wir da mittendrin?

Definitiv. Vor allem diejenigen Länder sind stark betroffen, die in guten Wirtschaftszeiten ihre Staatsfinanzen nicht in Ordnung gebracht haben. Für diese war die Wirtschaftskrise der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Man muss aber Folgendes beachten: Erstens, dass es in der Euro-Zone eine Reihe von Ländern gibt, die überhaupt keine Probleme mit ihrem Haushalt haben – zum Beispiel die nordischen Staaten. Und zweitens, dass die Krise der Staatshaushalte in Europa auch Länder ausserhalb der Euro-Zone betrifft: etwa Grossbritannien mit einer extrem hohen Neuverschuldung, Ungarn, Rumänien und Bulgarien.

Wie beurteilen Sie denn die Rolle der Rating-Agenturen? Standard & Poor’s hat letzte Woche mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit von Griechenland ja einen kleinen Sturm an den Finanzmärkten ausgelöst.

Den Rating-Agenturen einen Vorwurf zu machen, ist absurd. Man kann höchstens kritisieren, dass ihre Neueinschätzung sehr spät gekommen ist und dass jetzt Länder wie Portugal und Spanien übertrieben pessimistisch eingeschätzt werden. Aber es ist doch erstaunlich, dass wir in der Griechenland-Krise nach einem ähnlichen Muster wie in der US-Hypothekenkrise erneut die Erfahrung gemacht haben, dass die Finanz­märkte relativ schlecht darin sind, Risiken richtig einzuschätzen.

Die Schweiz ist durch ihren Kredit­anteil am IWF-Hilfspaket von geschätzten 700 Millionen Franken von der Griechenland-Krise tangiert. Daneben belastet vor allem der schwache Euro unsere Wirtschaft.

Die Nationalbank wird nicht mehr lange intervenieren können, um den Euro-Kurs künstlich zu stützen, ohne grosse Inflationsrisiken einzugehen. Möglicherweise wird sie den Euro schon vor dem Sommer abwerten lassen müssen. Es ist damit zu rechnen, dass sich der Euro gegenüber dem Franken vorübergehend um bis zu zehn Prozent abschwächen wird.

Keine schönen Aussichten für die
Exportwirtschaft und den Tourismus.

Ein Euro-Kurs zum Schweizer Franken von 1.30 wäre tatsächlich gravierend. Das würde unsere Wirtschaft treffen und den Aufschwung bremsen.

Zur Person:
Peter Moser ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Leiter der Forschungsstelle für Wirtschaftspolitik an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur. Daneben hält er als Privatdozent Seminare zur Wirtschaftspolitik der Europä­ischen Union an der Universität St. Gallen (HSG). Dort hat er auch studiert und 1990 sein Wirtschaftsstudium mit dem Doktor­titel abgeschlossen. Später vertiefte er sich in Politischer Ökonomie an der George Mason University und der Stanford University. Der 48-Jährige lebt in Bonaduz. (so)

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