­
­
­
­

«Pflegeeltern» mit Fachkenntnissen

Die Sozialpädagogen Gabi und Christoph Weber nehmen Kinder und Jugendliche auf, die sich in schwierigen Situationen befinden. Das Ehepaar leitet mittlerweile zwei Durchgangswohngruppen in Sennwald. Eine dritte wird bereits geplant.

Ein Jugendlicher öffnet die Tür, streckt dem Besucher zur Begrüssung die Hand entgegen und lässt ihn in die gute Stube. Es duftet nach Schinkengipfeli. Ein Blick in die Küche zeigt, dass zwei Jungs unter der Leitung eines jungen Sozialarbeiters das Abendessen vorbereiten. Ein dunkelhäutiges Mädchen sieht, eingekuschelt in eine Decke, fern, und auf dem Gang schwirren zwei kleine Kinder zwischen den Zimmern umher: In der Durchgangswohngruppe Chelen in Sennwald ist einiges los. Die Leiter, das Ehepaar Gabi und Christoph Weber, geniessen die harmonische Atmosphäre – immer geht es nämlich nicht so friedlich zu und her. «Wir nehmen in unserer Wohngruppe Kinder und Jugendliche auf, die in schwierigen Lebenssituationen stecken», erzählt Christoph Weber. Seine Frau führt aus, dass es sich dabei um Jugendliche handeln kann, die aus schwierigen Familienverhältnissen stammen, misshandelt worden oder straffällig geworden sind. Die Durchgangswohngruppe Chelen bietet sieben Notfallplätze für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen. Die Aufenthaltsdauer beträgt zwischen einigen Tagen und einem Jahr. 

Im Behindertenheim kennengelernt

Die Geschichte von Gabi und Christoph Weber beginnt vor 30 Jahren. Gabi hatte nach ihrer Lehre als Kleinkinderzieherin ein Praktikum im Behindertenheim Balm in Jona angefangen. Christoph finanzierte sich dort als Betreuer sein Sozialarbeiter-Studium.  Während Christoph ansetzt, um ihre Liebesgeschichte ausführlicher zu erzählen, legt Gabi mit einem verlegenen Lächeln ihre Hand auf seine und unterbricht ihn: «Kurz gesagt, wir haben uns bei der Arbeit kennen- und schätzen gelernt.» Gabi, die in Jona aufgewachsen ist, wollte eigentlich Psychiatrie-schwester werden, entschied sich nach der Lehre, die vorausgesetzt wurde, jedoch um. «Ein Praktikum in einer Psychiatrie hat mir gezeigt, dass eine Psychiatrieschwester für meinen Geschmack zu wenig Autonomie besitzt», erklärt die 51-Jährige. Sie besuchte daher die Schule für Soziale Arbeit in Zürich und bildete sich anschliessend zur Paar- und Familientherapeutin weiter.

Vom Bänkler zum Sozialarbeiter

Christoph Weber, der in Romans-horn aufgewachsen ist, hat einen ähnlichen Werdegang. Auch er musste zuerst eine Lehre absolvieren, bevor er die Schule für Soziale Arbeit besuchen konnte – er absolvierte sie jedoch in St. Gallen. «Das KV hielt ich für eine optimale Voraussetzung für ein weiterführende Schule. Ich habe daher eine Banklehre gemacht», erzählt der 56-Jährige. Nach dem Studium hat er sich ebenfalls zum Paar- und Familientherapeuten weitergebildet und eine Management-Ausbildung absolviert. Gabi Weber erzählt: «Wir haben uns mit den Weiterbildungen abgewechselt, sodass immer einer von uns den Lebensunterhalt finanzieren konnte.»

Eigenes Projekt in Sennwald

1990 gaben sich Gabi und Christoph Weber das Jawort. Es folgten weitere «Wanderjahre durch die Heime», wie es Gabi umschreibt. Bei dem jungen Ehepaar kam bald der Wunsch auf, ein eigenes Projekt mit Jugendlichen zu starten. «Da wir uns in Zürich kein grosses Haus mit Umschwung für unser Vorhaben leisten konnten, kamen wir nach Sennwald», erklärt Christoph. Dort kauften Webers ein Haus, das sie umbauten, während sie noch in Zürich lebten und arbeiteten. «Es war eine anstrengende Zeit, die sich aber definitiv gelohnt hat», sind sich die beiden Sozialpädagogen sicher.

«Einen Platz in der Familie» ausgeschrieben

Gabi und Christoph zogen 1991 ins Haus nach Sennwald. Bald darauf kam ihr erster Sohn zur Welt. Christoph erinnert sich lachend: «Auf einem selbst gedruckten Flugblatt boten wir damals ‹einen Platz in unserer Familie› an.» Eltern, die mit ihren Kindern nicht mehr weiterwussten und Heimleiter waren froh, 

Jugendlichen im Hause Weber eine Auszeit zu ermöglichen. «Aufgrund unserer Ausbildung konnten wir den Jugendlichen nicht nur Unterschlupf gewähren wie normale Pflegefamilien, sondern auch professionelle Hilfestellung leisten», erklärt Gabi Weber.

Durchgangswohngruppe Chelen 

Die Krisenintervention der Familie Weber war sehr gefragt. Gabi betreute neben ihren beiden Jungs und einem Pflegekind immer mehr Kinder, die aus schwierigen Familienverhältnissen stammten – und das rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr. Da Christoph zu dieser Zeit auch noch auswärts bei der Bewährungshilfe in Uznach und im Jugendsekretariat in St. Gallen arbeitete, mussten er und seine Frau bald die erste Praktikantin anstellen. 1995 sass das Ehepaar mit dem Kanton zusammen und gründete offiziell die Durchgangswohngruppe Sennwald mit Angestellten und Auszubildenden. Sie selbst zogen in ein anderes Haus, um auch einmal Feierabend machen zu können. «Es ist beruhigend, zu wissen, dass unsere Mitarbeiter den Betrieb auch ohne uns weiterführen können», erläutert Gabi Weber.

Fotogalerie im Treppenhaus

Die beiden lieben das Reisen. Im Ausland können sie am besten von ihrer Arbeit abschalten. Die Schicksale der Kinder und Jugendlichen gehen nämlich nicht spurlos an den «Pflegeeltern» vorbei, obwohl sie die Wohngruppe professionell leiten. «Mit der Zeit schliesst man die Kinder ins Herz», erzählt Gabi Weber ein wenig wehmütig und zeigt ihr Treppenhaus: Jedes Kind, das einmal in der Durchgangswohngruppe gelebt hat, ist auf einem Foto verewigt. Von der Wand neben der Treppe, die in den zweiten Stock führt, ist nicht mehr viel Weiss zu sehen. Gabi erinnert sich: «Einmal stand sogar eine ehemalige Bewohnerin nach 15 Jahren vor der Tür, um uns Danke zu sagen. Von einer anderen, ehemaligen Jugendlichen wurden wir zur Hochzeit eingeladen», strahlt sie.

Dritte Wohngruppe geplant

2002 haben Gabi und Christoph Weber eine zweite Durchgangswohngruppe mit dem Namen Zil gegründet, um weiblichen Jugendlichen längerfristig ein Zuhause zu bieten. Ziel ist es, die jungen Frauen zu unterstützen, bis sie eine Lehre absolviert haben und auf eigenen Beinen stehen können – ohne dem Staat auf der Tasche zu liegen. Eine solche Einrichtung soll bald auch für männliche Jugendliche entstehen. «Ab einem gewissen Alter ist es einfach schwierig, Mädchen und?Jungs unter einem Dach wohnen zu lassen», so Gabi Weber. Da einige Mädchen vor ihrem Einzug in die Durchgangswohngruppe Opfer von sexuellen Übergriffen wurden, möchte sie niemanden weiteren Gefahren aussetzen. Ausserdem ist es auch nicht vorteilhaft für die Intervention, wenn die Bewohner untereinander «schätzeln».

Zusammenleben in einer Familie

Mittlerweile arbeiten Gabi und Christoph Weber Vollzeit in den Durchgangswohngruppen. Der Tag beginnt um 6.15 Uhr mit dem Frühstück. Anschliessend gehen die Kinder und Jugendlichen zur Schule oder zur Arbeit. Für Kinder und Jugendliche, für welche es noch nicht möglich ist, die öffentliche Schule zu besuchen, ist im Gebäude der Durchgangsgruppe Zil eine interne Schule untergebracht. Sie können dort den verpassten Lernstoff nachholen und wieder ins öffentliche Schulsystem integriert werden. Zum Mittagessen treffen sich alle wieder «zu Hause». Tagsüber kommuniziert das Ehepaar mit den Sozialämtern, Vormundschaften und anderen Behörden. Nach dem gemeinsamen Abendessen müssen die Kinder und Jugendlichen – wie in jeder «normalen» Familie – ihre Hausaufgaben erledigen und gewisse Hausarbeiten in der Durchgangswohngruppe übernehmen.

Auf Spenden angewiesen

Am Wochenende unternehmen die Sozialpädagogen Ausflüge mit den Kindern und Jugendlichen. Am Mittwochnachmittag dürfen Freunde der Bewohner zu Besuch kommen. «Kurz gesagt leben wir genau wie alle anderen Familien zusammen», fasst Christoph Weber zusammen. Den Alltag in den Durchgangswohngruppen Sennwald finanzieren die Gemeinde, der Kanton und der Bund. Für Investitionen, wie zum Beispiel ein weiteres Haus, ist das langjährige Ehepaar auf Spenden angewiesen.

Immer eine Herausforderung

Gabi und Christoph Weber haben keine Angst, von ihren Schützlingen enttäuscht zu werden. «Wir sind nicht naiv und wissen, dass die Bewohner zum Teil nicht zwischen mein und dein unterscheiden können», erzählt Gabi Weber. Wenn ihr Vertrauen missbraucht wurde, schreibt das Ehepaar die Kinder nicht gleich ab. Die beiden haben es sich zur Aufgabe gemacht, Kindern und Jugendlichen in Krisen zu helfen.  Christoph lacht und erläutert: «Wir haben Freude an schwierigen Situationen, sonst hätten wir uns diesen Beruf nicht ausgesucht.» (hl)

 

Steckbrief

Name: Gabi und Christoph Weber

Zivilstand: Verheiratet

Wohnort: Sennwald

Alter: 51 und 56 Jahre

Beruf: Sozialpädagogin/Sozialarbeiter

Hobbys: Reisen

Leibspeise: Spaghetti/Lammgigot mit Kartoffelpüree

Getränk: Wasser

TV-Vorliebe: «Desperate House-wives»/Politische Sendungen

Musik: «77 Bombay Street»/ Rock

Lektüre: Krimi

Stadt/Land? Land

Sommer/Winter? Sommer

Ort: Zu Hause/Thailand

Stärke: «Wir können gut zuhören.»

Schwäche: «Wir sind ungeduldig.»

Kontakt: info@dwg-sennwald.ch

 

Schlagwörter

Lädt

Schlagwort zu Meine Themen

Zum Hinzufügen bitte einloggen:

Anmelden

Schlagwort zu Meine Themen

Hinzufügen

Sie haben bereits 15 Themen gewählt

Bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits

Entfernen

Um «Meine Themen» nutzen zu können, stimmen Sie der Datenspeicherung hierfür zu.

Ähnliche Artikel

AboSapperlot
03.05.2024
Abo
Treffen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) mit der Flüchtlingshilfe Liechtenstein am 17. Mai in Triesen und Balzers.
23.05.2024
Abo
Regierungsrätin Dominique Hasler, Werner Wallner, CEO der Hilti Foundation, sowie Vertreterinnen und Vertreter des LED machten sich ein Bild von ausgewählten Projekten, welche durch den LED mit liechtensteinischen Entwicklungsgeldern in Sambia unterstützt werden.
09.06.2024
­
­