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Äusserst faszinierende Achtbeiner

Statt echter Begeisterung empfinden viele Betrachter beim Anblick von Spinnen eher Furcht und Abscheu. Wie faszinierend die auf den ersten Blick vielleicht abschreckenden Tierchen sein können, weiss Biologe Holger Frick.

«Ich finde Spinnen extrem faszinierend ? und auch schön», bekennt Biologe Holger Frick vom Amt für Umwelt und blickt kurz zum Terrarium, das neben seinem Bürotisch steht. In ihm befindet sich eine Vogelspinne: schwarz, behaart und etwa handtellergross. «Ursprünglich stammt diese Art aus Costa Rica, zuletzt wohnhaft war diese Spinne jedoch in Balzers.»
Balzers? In Balzers gibt es Vogelspinnen? Nicht ganz: Holger Frick hat dieses Exemplar von einem Spinnenhalter bekommen, der das Tier nicht mehr behalten konnte. In der Region Werdenberg und Liechtenstein gibt es also keine frei lebenden Vogelspinnen ? dafür aber Springspinnen, Hauswinkelspinnen und Wolfsspinnen. Und obwohl diese Vertreter vielleicht nicht ganz so imposant wie ihre Verwandte aus Costa Rica sind, sind sie nicht minder interessant.

Harmlose Zeitgenossen

Weltweit gibt es über 44 500 verschiedene Spinnenarten: Die kleinste misst nicht einmal 0,4 Millimeter und ist somit kleiner als der Punkt am Ende dieses Satzes. Eine der grössten hingegen ? die Heteropoda maxima ? erreicht locker die Masse eines Esstellers und lebt in den Höhlen der laotischen Provinz Khammuan. Ganz so gigantisch wie die Heteropoda werden die Spinnen hierzulande nicht. «Die grösste einheimische Spinne ist die Grosse Winkelspinne. Ihre Beinspannweite kann bis zu zehn Zentimeter betragen ? also etwa die Grösse eines Bierdeckels», erklärt Frick.
Trotz seiner beeindruckenden Masse ist dieser Achtbeiner für den Menschen völlig ungefährlich ? so wie alle europäischen Spinnenarten. «Mit wenigen Ausnahmen produzieren zwar alle Spinnen Gift, doch die überwiegende Mehrheit ist für den Menschen harmlos. Ihre Beisswerkzeuge sind nämlich zu klein, um die Haut durchdringen zu können», erklärt der Biologe. Weltweit gebe es nur etwa ein Dutzend Arten, die wirklich bedrohlich seien, und diese leben vorwiegend in Südamerika oder Australien. Das dürfte vielleicht so manchen Arachnophobiker im Lande beruhigen.

Mit den Haaren hören

Ob nun die Winkelspinne in der heimischen Stube, die Heteropoda maxima in Laos oder die costa-ricanische Vogelspinne in Holger Fricks Terrarium ? diese Achtbeiner haben so einiges gemeinsam, obwohl sie aus ganz verschiedenen Ecken der Welt stammen. So besitzen beispielsweise alle Spinnen acht Beine, Spinndrüsen, Kieferklauen und ein äusseres Skelett, den sogenannten Chitinpanzer.
Des Weiteren verfügen fast alle Spinnen über acht Augen. «Trotz dieser relativ grossen Anzahl können die meisten Spinnen jedoch nur sehr schlecht sehen», gibt Frick Auskunft. Viel wichtiger bei der Orientierung seien vielmehr die verschiedenen Sinneshärchen, die den gesamten Spinnenkörper bedecken. «Einige dieser Härchen können Luftbewegungen, feinste Schwingungen und sogar den Schall, den ein vorbeifliegendes Insekt erzeugt, registrieren.» Zudem besässen die Achtbeiner auch Haare für Geschmackssinn und Organe auf dem Aussenskelett für Geruchssinn. So gesehen hören und schmecken Spinnen mit ihren Haaren.

Spinne ist nicht gleich Spinne

Acht Beine, Sinneshärchen und Chitinpanzer ? so ähnlich sich die Spinnen auf der Welt auch sein mögen, in ihrer Lebensweise unterscheiden sie sich stark voneinander. So leben beispielsweise einige Arten in der Wüste, während andere die nördlichsten Inseln der Arktis bevölkern. Manche bewohnen bevorzugt Bäume, andere halten sich lieber zwischen Grashalmen auf. Auch in der Art zu jagen gibt es verschiedene Herangehensweisen. So geht etwa die Hälfte aller Spinnenarten mit selbst gebauten Netzen auf Beutefang. «Diese Fangnetze sind wahre Highttech-Todesfallen, denn die Seide, aus der sie bestehen, ist belastbarer als Stahl, extrem leicht und aussergewöhnlich elastisch», erklärt Frick. Es ist daher kein Wunder, dass der Mensch seit Langem versucht, den Stoff zu kopieren ? bisher jedoch erfolglos.
Jene Spinnen, die keine Netze bauen, kann man grundsätzlich in zwei Gruppen unterteilen: Jagdspinnen und Lauerjäger. Sie können zwar durchaus Spinnseide produzieren, benutzen diese aber nicht für den Beutefang. Vielmehr jagen sie aktiv ihre Beute oder lauern dieser auf und schlagen dann aus dem Hinterhalt zu. Dabei vollbringen sie zum Teil akrobatische Höchstleistungen. So können Springspinnen zum Beispiel mit einem Sprung eine Strecke von bis zu 30 Zentimetern überwinden. Das ist das 30- bis 100-Fache ihrer eigenen Körpergrösse. Beim Menschen würde das heissen, ein Fussballfeld mit einem Sprung überqueren zu können.
 
Tanzende Spinnen

Ebenso vielfältig wie ihre Methoden zur Nahrungsbeschaffung sind auch die Balzmethoden der Spinnen. Das Listspinnenmännchen zum Beispiel bringt als Brautgeschenk ein eingesponnenes Insekt mit. So versucht es, sich die Gunst des Weibchens zu erkaufen. Bei den Wolfsspinnen vibriert das Männchen mit seinem Hinterleib und führt anschliessend einen Tanz mit kreisenden Bewegungen nach einem festen Muster auf. Mit etwas Glück kann es so seine zukünftige Partnerin betören und zur Paarung überreden. Auf eine ganz andere Balzmethode setzen die Fettspinnen. Bei ihnen dient das Netz als Schauplatz der Balz. Das Männchen zupft das Netz des Weibchens und webt unentwegt verschiedene Elemente hinein. Diese Kommunikationsfäden führen die beiden Spinnen dann zusammen.
Wenn man bedenkt, dass ? mit Ausnahme der Vogelspinne und der Heteropoda maxima ? sämtliche Spinnen, die in diesem Artikel erwähnt wurden, hier in der Region beheimatet sind, versteht man vielleicht, was Biologe Holger Frick so an Spinnen fasziniert. Statt also das nächste Mal den achtbeinigen Mitbewohner mit einer «Liewo» zu erschlagen, lohnt es sich vielleicht, ein wenig genauer hinzuschauen. Die heimischen Spinnen sind nämlich viel interessanter, als man ihnen zugestehen will. (sb)

 
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