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Ein tierisch guter Helfer

Obwohl am 15. Oktober der «Tag des weissen Stocks» begangen wird, sollte folgendes Hilfsmittel für Sehbehinderte nicht vergessen werden: der Blindenhund. Ihm vertrauen Sehbehinderte tagtäglich ihr Leben an.

Züge fahren ratternd in den Bahnhof ein, Menschen drängen sich entlang der Bahnsteige und ziehen Koffer hinter sich her ? am Zürcher Hauptbahnhof ist es meist voll und laut. Wer sich nachmittags dort hindurchschlängeln möchte, braucht Geduld. Mitten in diesem Trubel bahnen sich ein Hund und sein Besitzer ihren Weg: flott und geradlinig entlang der Bahnsteigkante, dann durch die Halle, vorbei am Hot-Dog-Verkäufer direkt zur Treppe. Als die beiden diese erreichen, schiebt sich der Labrador Retriever vor die Beine seines Besitzers und bringt ihn so zum Stehen. «Brava», lobt der Hundeführer seinen vierbeinigen Begleiter und tastet mit der rechten Hand nach dem Hundekopf. Dann steigen die beiden die Stufen hinab ? ein bisschen vorsichtiger als die Menschen rundherum, denn bei diesem tierisch-menschlichen Gespann handelt es sich um einen Sehbehinderten mit seinem Blindenführhund.

Eine harte Schule

Für sehende Menschen ist es immer wieder faszinierend einen Sehbehinderten mit seinem Hund zu beobachten. Scheinbar mühelos scheint das eingespielte Team Hindernisse zu umgehen und den Strassenverkehr zu bewältigen. Doch was so leicht und einfach aussieht, benötigt viel Training. «Die Ausbildung eines Blindenführhundes dauert fast zweieinhalb Jahre», erklärt Jorge Moreno, Instruktor bei der Stiftung Ostschweizerische Blindenführhundschule. Die ersten rund eineinhalb Jahre verbringe der Hund bei einer Patenfamilie und erhalte von dieser seine Grunderziehung. «Danach muss der angehende Blindenführhund zu uns in die Schule», führt Moreno weiter aus. Dort erst lernt er in den kommenden neun Monaten alles Nötige, um später seiner verantwortungsvollen Aufgabe gewachsen zu sein.

Italienisch sprechende Hunde

Das erste was ein Hund in der Blindenführhundschule lernt, ist im Geschirr zu gehen und zu führen. Dann folgen die ersten Kommandos: «In der Ausbildung lernt ein Hund bis zu 40 Hörzeichen, wie beispielsweise ?Billetta? (Billetschalter) oder ?Lampada? (Ampel anzeigen)», informiert die Blindenführhund-Instruktor Jorge Moreno. Wie der aufmerksame Leser zu diesem Zeitpunkt vielleicht bemerkt hat: Blindenhunde in der Schweiz «sprechen» Italienisch oder besser gesagt eine Kombination aus Italienisch und klangvollem Deutsch. Das hat sich hierzulande so eingebürgert und bringt durchaus Vorteile mit sich: «Italienisch eignet sich besonders gut, weil die Sprache viele Vokale hat. Darauf hören Hunde besonders gut», weiss Moreno zu berichten.
Am Ende seiner Ausbildung muss ein Blindenhund jedoch nicht nur Italienisch verstehen, sondern auf Anweisung auch Türen, Treppen oder Zebrastreifen finden und allfällige Hindernisse anzeigen. Zudem muss der Vierbeiner im Fall einer drohenden Gefahr in der Lage sein, einen Befehl seines Herrchens zu verweigern ? das nennt sich dann «intelligenter Ungehorsam».

Wie bei einer Partnervermittlung

Nach Auskunft von Jorge Moreno kommen für die Ausbildung zum Blindenhund nur Hunde mit ganz bestimmten Eigenschaften in Frage. «Nicht jeder Hund eignet sich als Blindenführhund ? es gibt gewisse Kriterien wie beispielsweise Gelassenheit, Belastbarkeit oder Intelligenz, auf die wir besonders achten». Zudem spiele auch die Grösse eine gewisse Rolle ? mittelgrosse Hunde werden bevorzugt, da sie dem sehbehinderten ein Gefühl der Sicherheit vermitteln und aufgrund ihrer Grösse gut führen können.
Im Endeffekt kommt es aber nicht nur auf den Hund, sondern auch auf dessen Führer an. «Nicht jeder Hund passt zu jedem Mensch. Es ist wie bei einer Partnervermittlung: Von Charakter und Temperament her müssen Hund und Herrchen einfach zusammenpassen.» erklärt der Instruktor. Erste Anzeichen, ob dies auch der Fall sei, liefere die obligatorische Einschulung für Hund und Herrchen. Sie hilft dem Sehbehinderten mit seinem neuen Begleiter umzugehen ? denn auch die zukünftigen Hundebesitzer müssen die Kommandos und den Umgang mit dem Hund erst einmal lernen. Erst wenn Herr und Hund ein harmonisches Gespann bilden, erfüllt der Blindenhund nämlich seinen Zweck und erleichtert dem Sehbehinderten den Alltag.

Unbezahlbare 65 000 Franken

Blindenhunde sind eine grosse Hilfe: sie sind Freund und Partner, fördern den Kontakt zur Aussenwelt und geben den Sehbehinderten wieder eine Form von Mobilität, die durch ihre Behinderung verloren gegangen ist. Ein Blindenhund ist für einen Sehbehinderten unbezahlbar ? an der Ostschweizerischen Blindenführhundschule kostet er etwa 65 000 Schweizer Franken. «In diesem Betrag sind sowohl die Ausbildungkosten als auch die hundelebenslange Betreuung inbegriffen» erzählt Jorge Moreno. Von diesen 65 000 Franken, die als Kosten anfallen, vergütet die Invalidenversicherung (IV) jedoch nur eine Einführungspauschale und eine bescheidene monatliche Miete. «Durch das Geld von der IV können wir lediglich einen Viertel der Kosten decken», erläutert Jorge Moreno. Ähnlich geht es auch anderen Blindenführhundeschulen in der Schweiz: Sie arbeiten defizitär und sind im hohen Masse auf Spenden angewiesen. (sb)

 
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