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Ansprache zum Staatsfeiertag 2023

Erbprinz: Richtige Balance zwischen Weiterentwicklung und Stabilität finden

Erbprinz Alois fokussierte sich in seiner Ansprache zum Staatsfeiertag auf drei Themen: Die Zukunft der Medienlandschaft, die Energieversorgung und die DpL-Initiative zur Direktwahl der Regierung.

Die Ansprache am Staatsakt 2023 von Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein im Wortlaut:

«Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Der letzte Staatsfeiertag stand wegen der zu Ende gehenden Pandemie und den Auswirkungen der ersten Kriegsmonate in der Ukraine noch ganz unter dem Eindruck dieser Krisen. Inzwischen hat sich in unserer Region die Situation zwar etwas entspannt, die Nachwehen der Pandemie und die Kriegsfolgen sind aber immer noch erhebliche Belastungen. Hinzu kommen die weiteren globalen Spannungen sowie die Herausforderungen sowohl der technologischen als auch der demographischen Entwicklung. Europa leidet infolge an einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft sowie einer unsicheren Wirtschaftslage mit teilweise rekordhoher Inflation bei starker Verschuldung, Rezessionen in wichtigen Märkten und weiterhin bestehenden Problemen mit den internationalen Lieferketten. 

Uns geht es zwar vergleichsweise gut, aber auch wir bleiben gefordert. Spaltungen in der Gesellschaft sollten wir durch das Bauen vom Brücken rasch überwinden. Ein strenger Winter könnte die Energiepreise wieder in die Höhe treiben. Wegen der Umstellung auf erneuerbare Energien sowie unserer grossen Auslandsabhängigkeit bei der Energieversorgung müssen wir auch in den nächsten Jahren mit höheren und volatileren Energiepreisen rechnen. Ausserdem leidet unsere Wirtschaft nicht nur unter dem bisher stärksten Arbeitskräftemangel, auch Rezessionen in wichtigen Absatzmärkten wie in Deutschland könnten in den nächsten Monaten zusätzliche Belastungen bedeuten. 

Spaltungen in der Gesellschaft sollten wir durch das Bauen von Brücken rasch überwinden.

Unsere Medienlandschaft durchläuft ebenfalls eine schwierige Phase. Nach der Einstellung des Volksblattes haben wir eine Monopolsituation bei den für die Meinungsbildung in unserem Lande so wichtigen Tageszeitungen. Ausserdem befindet sich das Radio Liechtenstein in finanziellen Schwierigkeiten und muss daher saniert werden. Die Sicherstellung von ausreichender Qualität und Vielfalt der Medien ist in einem digitalen Zeitalter für einen so kleinen Markt wie Liechtenstein zu einer Herausforderung geworden.

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

In dieser weiterhin schwierigen Zeit werden wir bald einige grundlegende Entscheidungen zu treffen haben, insbesondere über den Medienbereich, die Energieversorgung und die Verfassungsinitiative der DpL zum Einbezug des Volkes bei der Bestellung der Regierung. Um bei diesen Entscheidungen die richtige Balance zwischen notwendiger Weiterentwicklung einerseits sowie Kontinuität und Stabilität andererseits zu finden, müssen wir auf folgende Fragen die richtigen Antworten finden: 

  • Wo sollten wir angesichts der sich ändernden Rahmenbedingungen mutige Schritte setzen, um bessere und nachhaltigere Strukturen für die Zukunft zu schaffen? 
  • Wo sollte der Staat dabei als Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen mit eigenen Unternehmen tätig sein, wo beschränkt er sich besser auf die Rolle als Finanzierer oder gar nur als Regulierer? 
  • Wo sollten wir auf Stabilität und Kontinuität achten, weil dies gerade in unruhigen Zeiten eine besondere Standortattraktivität ist? 

Die so erfolgreiche Entwicklung unseres Landes in den letzten Jahrzehnten ist vor allem auch darauf zurückzuführen, dass uns die Beantwortung dieser Fragen bzw. die Suche nach der richtigen Balance insgesamt sehr gut gelungen ist. Wenn wir gemäss diesem bewährten Erfolgsrezept weise Entscheidungen für eine nachhaltige Entwicklung fällen, können wir die nötigen Voraussetzungen schaffen, um den gestiegenen Anforderungen auch in Zukunft erfolgreich begegnen zu können.

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Die Ziele für den Medienbereich sind laut den jüngst veröffentlichten Regierungsvorschlägen die Qualität der Medien, die Medienvielfalt, den Meinungspluralismus sowie die freie Meinungsbildung in Liechtenstein zu erhalten und zu stärken. Der geplante Ausbau des digitalen Bereichs des Radios sowie die vorgeschlagenen Änderungen zu Medienförderungsgesetz und Mediengesetz dürften von ihrer Stossrichtung her dieser Zielsetzung grundsätzlich entsprechen. Um die besten und nachhaltigsten Strukturen im Bereich der Medien zu finden, sollten wir bei der Diskussion der Regierungsvorschläge aber noch weiter in Richtung anderer Optionen denken und den Mut haben, uns auch folgenden Fragen zu stellen: 

  • Welche Aufgaben soll unser Staat im Bereich der Medien wahrnehmen? 
  • Genügt es, dass unser Staat als Regulierer und Finanzierer von Privatmedien tätig ist? 
  • Wenn ja, ist die von der Regierung vorgeschlagene Erhöhung der Medienförderung für die Erreichung ihrer Ziele ausreichend oder sollte die Förderung der privaten Medien insbesondere betreffend Sockelbeitrag und Anschubfinanzierung noch stärker erhöht werden?
  • Wie können staatliche Mittel für die Anschubfinanzierung von privaten Medien am effektivsten eingesetzt werden?
  • Muss unser Staat zusätzlich mit einem eigenen Unternehmen Medieninhalte anbieten, um die Medienvielfalt, den Meinungspluralismus sowie die freie Meinungsbildung in Liechtenstein zu erhalten und zu stärken?
  • Wenn ja, ist ein Radio dafür das richtige Medium oder wäre ein völlig neu ausgerichtetes, digitales Medienunternehmen geeigneter und vielleicht auch kostengünstiger?
  • Falls letzteres, kann das Radio Liechtenstein in ein solches digitales Medienunternehmen transformiert werden oder benötigt es dafür auch einen völlig neuen Ansatz?

Angesichts der Kleinheit des liechtensteinischen Medienmarktes ist es sicherlich nötig, dass unser Staat nicht nur als Regulierer, sondern auch als Finanzierer der privaten Medien tätig ist.

Angesichts der Kleinheit des liechtensteinischen Medienmarktes ist es sicherlich nötig, dass unser Staat nicht nur als Regulierer, sondern auch als Finanzierer der privaten Medien tätig ist. Wenn wir soeben erwähnten Fragen eingehend prüfen, könnten wir auch die richtigen Entscheidungen treffen, wie unser Staat die privaten Medien am besten finanziert, ob er zusätzlich noch mit einem eigenen Unternehmen Medieninhalte anbieten soll und – wenn ja – was der geeignetste Weg ist.

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Im Energiebereich sollten wir angesichts der sich ändernden Rahmenbedingungen ebenfalls mutige Schritte setzen, um bessere und nachhaltigere Strukturen für die Zukunft zu schaffen. Eine stabile Energieversorgung zu stabilen Preisen ist wegen ihrer kritischen Rolle für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft schon lange eine Staatsaufgabe. In vielen Bereichen der Energieversorgung wird es ausreichen, dass der Staat dabei nur als Regulierer tätig ist. Je nach Energiebereich und technologischer Entwicklungsphase kann es jedoch sinnvoll sein, dass der Staat auch mit eigenen Unternehmen Produkte oder Dienstleistungen anbietet oder auch staatliche Mittel einsetzt, um als Finanzierer mit Sonderzahlungen in Notlagen zu helfen oder mit Subventionen politisch gewünschte Entwicklungen anzustossen. Der Einsatz staatlicher Finanzmittel für solche Zwecke sollte jedoch möglichst gezielt, zurückhaltend und nur solange erfolgen, wie Anstösse auch wirklich nutzen. Ansonsten laufen wir Gefahr, eine staatlich gelenkte Planwirtschaft zu kreieren, die einerseits den Steuerzahler viel kostet und andererseits bessere Initiativen aus der Privatwirtschaft im Keim erstickt. 

Vielleicht sollten wir sogar ähnlich mutig wie unsere Vorfahren sein, die für die Steigerung der Standortattraktivität in viel schwierigeren Zeiten einen erheblichen Anteil der Staatsausgaben in eine stabile Stromversorgung investiert haben.

In einer für die nächsten Jahre zu erwartenden Marktsituation mit Engpässen auf dem Strommarkt und volatilen Strompreisen wäre eine hohe Eigenversorgung von Vorteil. Derzeit decken wir allerdings nur ein Viertel unseres Strombedarfs durch Eigenproduktion. Wir sollten daher alle Anregungen zur Erhöhung der Eigenversorgung sammeln und auf Umsetzungsnähe, Interdependenzen und Kombinationsmöglichkeiten sowie auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis prüfen. Ähnlich wie bei der erfolgreichen Transformation des Finanzplatzes sollten wir dazu eine Projektgruppe mit Experten der Verwaltung sowie externen Experten einsetzen, die unter Einbindung sämtlicher Kräfte eine breite Akzeptanz schafft und möglichst rasch einen konkreten Umsetzungsplan für eine möglichst nachhaltige Energieversorgung mit möglichst hohen Eigenversorgungsanteil ausarbeitet. Die vielversprechendsten Initiativen sollten wir dann entschlossen umsetzen. 

Angesichts der heute besonderen Bedeutung einer stabilen digitalen Infrastruktur könnte vor allem im Bereich der Stromversorgung dabei auch die Unterstützung von Grossprojekten durch den Staat gerechtfertigt sein. Vielleicht sollten wir sogar ähnlich mutig wie unsere Vorfahren sein, die für die Steigerung der Standortattraktivität in viel schwierigeren Zeiten einen erheblichen Anteil der Staatsausgaben in eine stabile Stromversorgung investiert haben. So haben sich unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1947 fast 85 % der Stimmbürger für den Bau des Samina-Kraftwerkes ausgesprochen.

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Die die voraussichtliche Volksabstimmung über die Verfassungsinitiative der DpL wird ebenfalls eine grundlegende Entscheidung sein. Eine Annahme der Verfassungsinitiative würde nämlich zu einer tiefgreifenden Änderung unseres Verfassungsgefüges führen, weil diese unter anderem eine Neuregelung der Beziehungen zwischen den höchsten Staatsorganen und damit letztlich auch zwischen den beiden Souveränen anstrebt. Wir dürfen die Gefahr von möglicherweise problematischen Nebenwirkungen solch grundsätzlicher Änderungen unseres Verfassungsgefüges nicht unterschätzen. Daher sollten wir uns auch hier im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung kritischen Fragen wie diesen stellen: 

  • Was sind die Auswirkungen auf die politische Stabilität unseres Landes – auch hinsichtlich des bewährten Dualismus zwischen Fürst und Volk, wenn in Zukunft nicht nur der Landtag, sondern de facto auch die Regierung durch das Volk gewählt wird?
  • Was sind die Auswirkungen auf die Berechenbarkeit der Politik, wenn in Zukunft die grundsätzliche Stossrichtung für die Zusammenarbeit zwischen Regierung und Landtag nicht mehr zu Beginn einer Legislaturperiode durch ein Koalitionsprogramm festgelegt wird?
  • Könnte der Initiativvorschlag dazu führen, dass es zu wilden Regierungskandidaturen – insbesondere aus den beiden Grossparteien – kommt und was würde das für die politische Stabilität bedeuten? 
  • Bestünde die Gefahr einer Zersplitterung der Parteienlandschaft, wenn bekannte Parteipolitiker gegen die Nominationen ihrer eigenen Parteien kandidieren oder Regierungsmitglieder entgegen den traditionellen Mandatsperiodenbeschränkungen ihrer Parteien nochmals eine Mandatsperiode anhängen? 

Wir dürfen die Gefahr von möglicherweise problematischen Nebenwirkungen solch grundsätzlicher Änderungen unserers Verfassungsgefüges nicht unterschätzen.

Unsere grosse politische Stabilität und Kontinuität war in den letzten Jahrzehnten ein wichtiger Erfolgsfaktor und gerade in unruhigen Zeiten eine besondere Standortattraktivität. Um dies nicht leichtfertig aufzugeben, sollten wir daher immer nur wirklich notwendige Anpassungen unseres Verfassungsgefüges vornehmen. 

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Einige schwierige, aber grundlegende Entscheidungen stehen in den nächsten Monaten an. Lasst uns den richtigen Weg und die richtige Balance zwischen mutiger und entschlossener Weiterentwicklung einerseits sowie Kontinuität und Erhaltung der Stabilität andererseits finden.

Von Herzen danke ich all jenen, die an der Gestaltung des Staatsfeiertages mitgewirkt haben, und wünsche Ihnen allen einen schönen Festtag und Gottes Segen.

 

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