«Statement gegen den Abrisswahn»
Wie ein ganzes Haus in Grabs gezügelt wird
Früher war es gang und gäbe, dass man ein Haus von einem Ort zu einem anderen gezügelt hat. Doch heute kommt dies nur noch sehr selten vor. Einerseits, weil es ein grosser Aufwand ist und andererseits, weil die alte Bausubstanz von Vielen nicht mehr so geschätzt wird. «Das Einzige, was man heute noch einigermassen regelmässig zügelt, sind Brücken, die durch neue ersetzt werden», weiss Architekt Timothy Allen. Während früher vor allem das Material teuer war, die Arbeitsleistung aber eher günstig, ist es heute genau umgekehrt. «Heute ist vor allem die handwerkliche Arbeit teuer.»
Über 200 Balken gezügelt
Ein solches «Hauszügeln», auch Translozierung genannt, war die vergangenen Tage am Gässli in Grabs zu erleben. Ein 350 Jahre altes Bauernhaus wurde Balken für Balken abgebaut, beschriftet, auf einen Anhänger geladen und in ein Depot abtransportiert, dass es später am neuen Standort beim Mühlbach wieder aufgebaut werden kann. Auch die 12 Fenster, die Holzfassade, der Täfer der Innenwände wie auch der Ofen wurden bereits abgebaut und sollen wie auch die Balken am neuen Standort wieder aufgebaut werden. Ebenso wiederhergestellt wird der Natursteinkeller mit Erdboden. «Eine solche Translozierung ist vor allem eine logistische Herausforderung, die man richtig planen muss», erklärt Timothy Allen. Über 200 Bäume in Form von Balken stecken nämlich in diesem Haus. «Diese Anzahl Bäume und die Tatsache, dass die Bäume alle von Hand mit einem Beil bearbeitet werden mussten, lassen darauf schliessen, wie teuer ein Haus früher war.» Die Balken des Erd- und Obergeschosses wurden in einer dendrochronologischen Untersuchung auf das Jahr 1667 bestimmt, jene vom Dachgeschoss auf 1820. Es ist eines der letzten so original erhaltenen Häuser in der Region, die so alt sind. «Der gute Zustand wie auch das hohe Alter machen es zu etwas Besonderem.» So sei auch schon in Erwägung gezogen worden, das Haus in das Openairmuseum Ballenberg zu zügeln. Doch aufgrund des schlechten Zustandes des Bodens sei dieses Vorhaben nie umgesetzt worden. Da das Haus längere Zeit unbewohnt war, konnte sich der Holzwurm ausbreiten, wodurch der Boden an vielen Stellen morsch wurde. Welche Substanz schliesslich noch erhalten werden kann und welche Bestandteile ersetzt werden müssen, stellt sich erst bei der genaueren Überprüfung der Einzelteile heraus.
Neuer Standort im Mühlbach
Dadurch, dass das Haus 2016 vom Denkmalschutz befreit wurde, stand es dem jetzigen Besitzer frei, das Haus abzureissen. Schliesslich kaufte es eine Privatperson aus der Arbeitsgruppe dem Besitzer für einen symbolischen Franken ab mit der Bedingung, dass sie es wegtransportieren. Die Bauherrschaft ist Teil einer privaten Gruppe von knapp zehn Mitgliedern, die sich bereits seit 2019 damit beschäftigen, was man mit dem Haus machen könnte. Nach der Prüfung verschiedener Szenarien stand die Platzierung des Hauses unter dem Friedhof am Mühlbach in Grabs fest, wo noch weitere ältere Häuser stehen. Das Haus wird am neuen Standort genau gleich aufgebaut, das heisst, dass die Wände auch dort nicht isoliert werden. «Die Bauherrschaft möchte das Haus möglichst original erhalten», erklärt Timothy Allen. Um das Haus trotzdem bewohnen zu können, wird an das ältere Haus ein moderner Gebäudeteil aus Stampflehm angebaut, der die Sanitäranlagen und Küche beinhaltet. Die beiden Gebäudeteile werden durch einen Durchbruch im Erdgeschoss verbunden. Zudem ist geplant, dass rund um das Haus ein grosser Permakulturgarten angelegt wird.
Beispiel für Erhalt alter Häuser
«Auch für uns ist das ein Novum, ein Haus auseinanderzubauen und wieder aufzustellen», erklärt Timothy Allen. Mit der Hilfe der Zimmerei «EGGA Holzbau» und der «Paul Stricker Schreinerei» aus Grabs, die bereits Erfahrung mit der Translozierung von Häusern und ein grosses Wissen über alte Häuser hat, scheint dieses Projekt jedenfalls reibungslos abzulaufen. Im Zweiminutentakt wurden die oberen Balken von den darunterliegenden mittels Brechstange gelöst, mit dem Kran angehoben und Balken für Balken auf einen Anhänger geladen. «Für uns ist das Projekt ein Statement für die lokale Baukultur und gegen den Abrisswahn der heutigen Gesellschaft», sagt der junge Architekt. Heute habe man beinahe schon verlernt, mit älteren Dingen umzugehen. Deshalb sieht er die Translozierung auch als Botschaft, wie man mit älterer Bausubstanz noch umgehen könne. «Der Auf- und Abbau ist gar nicht so teuer, wie man es sich vielleicht vorstellt.» In nur einer Woche war das ganze Haus abgebaut. Für den Aufbau der Holzkonstruktion, der im Mai oder Juni starten soll, rechnet er mit ungefähr zwei bis drei Wochen.
Dass sich genau Timothy Allen und Ronan Crippa vom jungen Architekturbüro «Allen + Crippa» um das historische Bauprojekt kümmern, hat einen naheliegenden Grund. Einerseits setzten sie sich bereits in der Arbeitsgruppe zur Erhaltung dieses Hauses ein und andererseits verfassten sie ihre Vertiefungsarbeit während ihres Studiums zu eben diesem Haus. «Es ist also jeder Balken und jedes Detail genau dokumentiert.»
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