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Schneeklimatologe im Interview

«Die Schneetage im Tal sind um 50 Prozent zurückgegangen»

Christoph Marty vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung Davos spricht über den Einfluss des Klimawandels auf die Schneedecke und ob in 50 Jahren noch Wintersport betrieben werden kann.
Christoph Marty in Davos
Klimatologe Christoph Marty erforscht die Entwicklung der Schneedecke. (Bild: Daniel Schwendener)
Relative Schneehöhe pro Winter (November bis April) im Vergleich zum langjährigen Mittelwert (1991–2020). Rot bedeutet unterdurchschnittliche, gelb durchschnittliche und blau überdurchschnittliche Schneehöhe. (Bild: SLF)
Winter in Malbun
Der Schnee fällt immer später und die Schneeschmelze setzt früher ein. (Bild: Daniel Schwendener)

Das SLF unterhält zusammen mit Meteo Schweiz langjährige Schneemessstationen, die rund 50 Jahre zurückreichen. Welche Entwicklung zeigen diese Messungen auf? 
Christoph Marty: Je weiter unten die Messstation liegt, desto klarer ist der Rückgang der Schneedecke im Winter zu beobachten. Das ist nicht unerwartet. Denn auf der Höhe von 400 bis 500 Metern, wozu das St. Galler Rheintal und Vaduz gehören, waren die Wintertemperaturen in den vergangenen Jahrzehnten immer schon um die 0 Grad. In diesem Bereich wirkt sich jedes zehntel Grad, das aufgrund des Klimawandels wärmer wird, auf die Niederschläge aus. Sprich sie fallen mehr als Regen statt als Schnee vom Himmel. Deshalb ist der Rückgang der Schneedecke auf dieser Höhe so markant. 

Wie markant genau?
Die Schneetage sind die letzten rund 50 bis 60 Jahren um 50 Prozent zurückgegangen. Das heisst, im Tal hat es noch halb so viele Tage mit mindestens fünf Zentimeter Schnee wie früher.

Relative Schneehöhe pro Winter (November bis April) im Vergleich zum langjährigen Mittelwert (1991–2020). Rot bedeutet unterdurchschnittliche, gelb durchschnittliche und blau überdurchschnittliche Schneehöhe. (Bild: SLF)

Das ist ja doch sehr signifikant. Wie sieht es in der Höhe aus?
Je weiter oben sich die Messstation befindet, umso unklarer werden die Daten. Sie zeigen zwar immer noch einen Rückgang an, aber nicht mehr so stark. Und ab einer gewissen Höhe ist der Rückgang der Schneedecke nicht mehr statistisch signifikant. Oberhalb von 2000 Metern ist in den Wintermonaten kein Unterschied zu sehen. Auch wenn es dort oben wärmer geworden ist. 

Weshalb nicht?
Wenn auf 2000 Meter eine Wintertemperatur von Minus 4 Grad herrscht und es ein Grad wärmer wird, liegt sie immer noch unter dem Gefrierpunkt. Und es ist genügend kalt, damit es schneit. Aber Anfang und Ende Winter sieht es auch in der Höhe anders aus. 

Also ist der Klimawandel doch auch in der Höhe spürbar?
Ja, die Erwärmung ist gleich wie im Tal, nur wirkt sie sich im Hochwinter weniger auf die Schneedecke aus. Doch die Messungen zeigen, dass auch oberhalb 2000 Meter der Schnee immer später kommt und vor allem die Schneeschmelze immer früher beginnt. Letzteres fällt dem Wintersportler weniger auf, da die meisten Skifahrer ab April nicht mehr auf die Piste wollen. Doch die Gletscher bekommen die frühe Schneeschmelze zu spüren. Sie starten ungünstig in den Sommer, weil sie weniger Schneereserven haben.

«Es reicht nicht, in Schneekanonen und Leitungen zu investieren.»

Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Beschaffenheit der Schneedecke aus?
Wer Pulverschnee liebt, wird künftig weniger solcher Tage haben. Es gibt Anzeichen, dass die Anzahl Tage und Stunden mit leichtem und kaltem Pulverschnee bereits abgenommen hat, und sie wird weiterhin abnehmen. Denn aufgrund der Erwärmung fällt häufiger Regen auf die Schneedecke. Und dann gibt es Nassschnee statt Pulver.  

Heisst das, es wird schwieriger für jene Wintersportler, die gerne neben der Piste unterwegs sind?
Also wenn man Pulverschnee fahren möchte, ja, dann wird es definitiv schwieriger. Hingegen wird es für Tourenskifahrer immer häufiger Frühlingsverhältnisse mitten im Winter geben. Das ist ja teilweise heute schon so.

Weshalb reagiert der Schnee so empfindlich auf den Klimawandel?
Bei Schnee ist die kleinste Veränderung gut sichtbar. Vergleichen wir ihn mit dem Meerwasser: Auch die Ozeane werden immer wärmer. Die Veränderung ist aber nicht zu sehen. Denn bis sie so heiss sind, dass das Wasser verdampft, haben wir bereits ganz andere Probleme. Schnee jedoch reagiert empfindlich auf Temperaturen über null Grad Celsius. Und wenn er schmilzt oder gar nicht fällt, dann haben wir solche Situationen wie vergangenen Winter: mehr Grün als Weiss – auch in den Bergen.

«Für kleine und tiefer gelegene Skigebiete wird es schwierig werden.»

Was bedeutet das für die Zukunft? Können wir in 50 Jahren noch Wintersport betreiben? 
Ski fahren in den Alpen wird auf jeden Fall noch möglich sein. Aber sicher nicht mehr in allen Skigebieten. Wer in Zukunft Ski fahren möchte, muss an Orte gehen, wo es genügend kalt ist. Und das ist weiter oben. Deshalb haben hoch gelegene Regionen bessere Chancen, dass dort auch in 50 Jahren noch Ski gefahren werden kann. Doch für die kleineren und tiefer gelegenen Skigebiete wird es schwierig werden. Mit einer guten Beschneiungsanlage kann man die Entwicklung relativ lange hinauszögern. Aber die Frage wird dann sein, wie attraktiv es ist, auf weissen «Bändern» zu fahren. 

Der Wintersport wird sich also verändern?
Das wird er auf jeden Fall. Das ist nichts Neues. Der Klimawandel ist aber nur ein Grund. Er ist unter anderem mitverantwortlich, dass der Skisport teurer wird. Aber auch aufgrund des demografischen Wandels fahren immer weniger Menschen Ski. 

Mein Eindruck ist aber, dass immer mehr Menschen auf der Piste sind.
Die Zahlen der Wintersportgebiete ­zeigen eindeutig, dass die Skifahrten rückläufig sind. Diverse Studien beschreiben, weshalb: Wenn es im Tal und Unterland keinen Schnee gibt, dann haben die Menschen weniger das Bedürfnis, überhaupt in die Berge zu gehen. Ausserdem werden weniger Skiausrüstungen verkauft, wenn es unten zu warm und grün ist. Ein weiterer Grund ist jedoch, dass in der Schweiz immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund leben und den Skisport nicht praktizieren. Auch Skilager, bei denen früher jeder Ski fahren lernte, gibt es heute in dieser Form nicht mehr. Das ist mit ein Grund, weshalb in den Alpen die Anzahl der Skifahrer zurückgeht.

Es werden also definitiv nicht alle ­Skigebiete überleben können?
Ja, das hat man in der Vergangenheit bereits gesehen. Mehrere Liftanlagen und auch einzelne Skigebiete gibt es nicht mehr. Eine typische Entwicklung ist jene vom kleinen Skigebiet Sattel-Hochstuckli in der Zentralschweiz. Die grossen Skilifte wurden eingestellt und es ist nur noch ein Kinderskilift in Betrieb. Das Gebiet kann den Skibetrieb finanziell nicht mehr aufrechterhalten. Um zu überleben, wird der Fokus nun auf den Sommer gesetzt. Denn schon in den letzten Jahren wurden mehr als die Hälfte der Einnahmen in der Sommersaison generiert. Und in diese Richtung wird es weitergehen. 

Wie sieht es mit Malbun aus?
In der heutigen Wettersituation würde ich Malbun nicht als tief gelegenes Skigebiet bezeichnen. Es gibt einige, die tiefer liegen. Aber es liegt auch nicht sehr hoch. In nächster Zeit wird das Skifahren in Malbun dank technischer Beschneiung sicher noch möglich sein. Malbun hat den Vorteil, dass es das einzige Skigebiet in Liechtenstein ist und aufgrund der Lage nicht stark der Sonne ausgesetzt ist. Jetzt hat das Skigebiet auf jeden Fall seine Berechtigung. In den nächsten Jahrzehnten wird es aber wahrscheinlich langsam an die Grenzen stossen. 

Wie sieht es mit den Skigebieten in unserer Region aus?
Toggenburg ist unabhängig vom Klimawandel ein Trauerspiel. Dort ist scheinbar der wirtschaftliche Druck zu wenig gross, dass man sich solche Streitereien noch leisten kann. Andere hätten sich schon lange zusammengeschlossen und die Kräfte gebündelt. Von der Exposition her sind die Voraussetzungen nicht schlecht, da das Gebiet eher schattig ist. Allerdings geht es bis 1000 Meter runter. Und wie gesagt, wenn ein kleines und tiefes Skigebiet überleben will, muss es sehr viele finanzielle Ressourcen haben, um technischen Schnee herstellen zu können.

Was bedeutet das genau?
Es reicht nicht, in Schneekanonen und Leitungen zu investieren. Um auch in Zukunft gut beschneien zu können, ist vor allem sehr viel Wasser notwendig. In einem Gebiet wie im Toggenburg mit Kalkgestein, wo das Wasser versickert, werden künftig grosse Seen benötigt, um das Wasser zu speichern. Und das ist alles andere als günstig.

Dann hat der Klimawandel auch ­Einfluss auf die Beschneiung?
Ja, definitiv. Für die Produktion von Schnee benötigt es zwei Faktoren: Niederschlag und kalte Temperaturen. Die Beschneiung hilft extrem viel, da Niederschläge nicht mehr benötigt werden. Trotzdem müssen die Temperaturen unter null Grad liegen, um technischen Schnee herstellen zu können. Doch die möglichen Fenster für die Beschneiung werden immer kürzer und diese müssen genutzt werden können. Aber wenn der Wasserspeicher nach 12 Stunden leer ist, geht das nicht auf.

Kann der Kunstschnee die tiefer gelegenen Skigebiete trotzdem retten?
Genau genommen: Nein. Aber es kommt darauf an, wie Skigebiete definiert werden. Spricht man vom Skitourismus, wo auch der Langlaufsport mit einbezogen wird, dann gibt es sicher Möglichkeiten. Denn für das Langlaufen wird weniger Schnee benötigt. Die Wintersportgebiete werden in Zukunft flexibel sein und sich alternative Angebote überlegen müssen, wenn der Schnee für das Skifahren nicht reicht. Ein Beispiel wäre Winterwandern. Aber eben: Die Menschen wollen in den Winterferien primär eine weisse Landschaft. Also ja, es wird definitiv schwierig.

Viele Bergbahnen kämpfen ja jetzt schon damit, genügend finanzielle ­Mittel für die Investitionen aufbringen zu können.
So ist es. Laut Bergbahnen Schweiz sind drei Viertel aller Bergbahnen-Unternehmen defizitär und benötigen Unterstützung der öffentlichen Hand. Es gibt nur einige wenige grosse Betreiber, die wirklich immer noch genügend Geld für Investitionen generieren.

«Die Schneedecke ist im März dicker als im Dezember.»

Kommen wir wieder zum Naturschnee: Dieser fällt immer später erstmals vom Himmel. Sind weisse Weihnachten bald Geschichte?
Unabhängig vom Klimawandel sind weisse Weihnachten eine gemachte ­romantische Vorstellung. Schon früher waren im Tal lange nicht alle Weihnachten weiss. Klar, es waren mehr, aber auch nicht mehr als 60 Prozent. Unabhängig davon, es ist bereits nicht natürlich, dass an Weihnachten Ski gefahren wird. Aber die Touris­musindustrie hat das so gepusht. Dann haben die Menschen Ferien und Zeit.

Würde es Sinn ergeben, die Skisaison nach hinten zu verlagern?
Wenn nur die natürliche Schneedecke berücksichtigt wird, ja. Diese ist im März dicker als im Dezember. Aber ich gebe den Touristikern recht: Wenn im März unten die Blumen ­anfangen zu blühen, dann gehen nur noch die Fans auf die Piste.

Dann wird mit aller Kraft für die Weihnachtsferien beschneit, obwohl die Natur noch gar nicht so weit ist. Das ist für die Umwelt ja auch nicht ideal.
Weihnachten selbst würde ja noch gehen – das ist das Ziel der meisten Skigebiete. Aber die grossen Bahnen versuchen bereits Anfang Dezember, wenn nicht sogar Mitte November, zu öffnen. Das hat wiederum mit den Skirennen zu tun, die dann stattfinden. Da steckt viel wirtschaftliches Interesse da-­hinter.

Wie wirken sich die klimatischen Veränderungen auf die Lawinengefahr aus?
Das ist eine viel gestellte Frage. Bis vor einigen Jahren konnten wir sie noch nicht so deutlich beantworten wie heute. Wir haben immer mehr Indikatoren, dass der Klimawandel Einfluss auf die Lawinensituation hat. Aufgrund von Beobachtungen und das, was unsere Schneemodelle voraussagen, werden die Trockenschneelawinen, das sind die typischen Hochwinterlawinen, abnehmen. Aber auch Staublawinen, wie sie beim Walensee zu beobachten sind, gibt es immer weniger, da die Schneedecke feuchter wird. Hingegen werden die typischen Frühlingslawinen mit Nass- und Gleitschnee im Winter eher zunehmen. 

 
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