Olten erinnert an den Landesstreik

"Ein Land braucht Erinnerung, so wie jeder Einzelne Erinnerung braucht. Wenn ich nicht weiss, wo ich herkomme, weiss ich nicht, wer ich bin." Dieser Aussage des Literaturwissenschaftlers Peter von Matt stellt sich das Theaterstück "1918.CH - 100 Jahre Landesstreik", wie es im Programmheft heisst.
Ansteckende Spielfreude
Diese Erinnerung setzt ein beim Ende des Ersten Weltkriegs. Im Hof und auf den Dächern der Alten Hauptwerkstätte spielen die ersten Szenen mit Soldaten und gemeinem Volk, bevor ein Mann mit einem Friedensplakat das Publikum unter Trommelwirbel in den Theatersaal führt.
Hier lebt das hundertköpfige Ensemble seine ansteckende Spielfreude so richtig aus. Mit musikalischer Begleitung der Basel Sinfonietta erzählt es Szene für Szene und temporeich von der Zerrissenheit der schweizerischen Gesellschaft, von der Schere zwischen Arm und Reich, vom Kampf der Frauen für Gleichberechtigung, von Ausbeutung, Kriegsgewinnen, von Militäreinsätzen und Bürgerwehren. Und vom Generalstreik natürlich, der auf Arbeiterseite einige Tote forderte.
Prominente Köpfe wie Rosa Bloch, Robert Grimm, Anny Klawa-Morf oder General Ulrich Wille kommen zu Wort, aber auch einfache Leute, und diese ohne weinerliche Untertöne. Auch dieser Mix und die politische Sachlichkeit dahinter sind Stärken des Stücks, ebenso wie die regionale Vernetzung und die damit zusammenhängende Sprachenvielfalt.
Am Rande des Bürgerkriegs
Am 12. November 1918 legten 250'000 Arbeiterinnen und Arbeiter vor allem in der Deutschschweiz, aber auch in der Westschweiz und im Tessin die Arbeit nieder. Obwohl der Streik nach ein paar Tagen mit einem bedingungslosen Abbruch seitens der Streikleitung, des Oltener Aktionskomitees, endete, hat er doch deutliche Spuren hinterlassen.
Gemäss den Forderungen der Streikenden wurde die Proporzwahl des Nationalrats 1919 verwirklicht, die Freisinnigen verloren damit die absolute Mehrheit in der grossen Kammer. Im selben Jahr wurde die 48-Stunden-Woche in den Fabriken zum Gesetz.
Die Alters- und Invalidenversicherung und das Frauenstimmrecht, auch sie Forderungen der Streikenden, wurden ebenfalls eingeführt, allerdings erst 1948 beziehungsweise 1971.
Der kurze Streik führte die Schweiz an den Rand eines Bürgerkriegs, gilt heute aber auch "als wichtige Zäsur auf dem Weg zu einer konsensorientierten politischen Verhandlungskultur", wie der Solothurner Regierungsrat Remo Ankli im Programmheft schreibt.
Szenischer Bilderbogen
Der Landesstreik widerspreche "dem Mythos der ewigen Einigkeit der Eidgenossen", stellt Liliana Heimberg, die künstlerische Leiterin und Regisseurin des Theaterprojekts, fest. "Viele Aspekte jener historischen Ereignisse finden ihren Widerhall in der heutigen Zeit."
Das sei auch Stoff fürs Theater, so Heimberg. Während der Vorbereitung sei die Idee entstanden, "dass eine Sammlung von Geschichten aus allen Landesteilen helfen könnte, die spannungsgeladene Situation nach dem Ersten Weltkrieg vielschichtig und landesweit zu vergegenwärtigen".
Entstanden ist ein Bilderbogen, basierend auf historischen Recherchen: eine Folge von Szenen, gespielt vom Ensemble aus dem Kanton Solothurn und angrenzenden Gemeinden.
Jeden Abend empfängt das Ensemble zudem szenische Beiträge von jeweils zwei Theatergruppen aus Kantonen aller Landesteile. Am Premierenabend kamen die Kantone Aargau und Tessin zum Zug. Generalstabsmajor Dr. Eugen Bircher, Chef-Chirurg des Kantonsspitals Aarau, formiert Bürgerwehren. Und die Tessiner Szene zeigt einen Mann und einen Esel auf der Suche nach einer Revolution, die es nie gegeben hat.
Verfasser: Karl Wüst, ch-intercultur (sda)
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