Müller-Westernhagen gibt alle Echos zurück
"Die Verherrlichung von Erfolg und Popularität um jeden Preis demotiviert die Kreativen und nimmt dem künstlerischen Anspruch die Luft zum Atmen. Eine neue Stufe der Verrohung ist erreicht", erklärte Müller-Westerhagen auf Facebook. Der Veranstalter des Musikpreises entschuldigte sich und sprach angesichts des Echos für ein umstrittenes Rap-Album von einem Fehler.
Am vergangenen Donnerstag waren die Rapper Kollegah und Farid Bang für ihr Album "Jung, Brutal, Gutaussehend 3" ausgezeichnet worden. Es enthält Textzeilen wie "Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen" und "Mache wieder mal 'nen Holocaust, komm' an mit dem Molotow". Dass diese Musik beim Echo preiswürdig ist, hatte heftige Kritik und eine Debatte um Judenfeindlichkeit ausgelöst.
"Ich bin nicht der Meinung, dass die mit dem Echo ausgezeichneten Rapper Antisemiten sind. Sie sind einfach erschreckend ignorant", schrieb Müller-Westernhagen. Zuvor hatten sich bereits der Pianist Igor Levit, Dirigent Enoch zu Guttenberg und das Notos Quartett von ihren Preisen beim Echo Klassik distanziert. Das Management der 17-fachen Echo-Preisträgerin Helene Fischer äusserte sich auf Anfrage zunächst nicht.
Der Musiker und Grafiker Klaus Voormann hatte den erst vor wenigen Tagen überreichten Echo für sein Lebenswerk zurückgegeben. Westerhagen sagte, er schliesse sich seinem geschätzten Kollegen Voormann an. "Das schafft Platz bei mir zu Hause und in meinem Herzen."
Am Sonntag kritisierte die Schweizer Sängerin und Songwriterin Sophie Hunger in den Sozialen Medien, der Entscheid des Beirats sei "katastrophal". Mit einem Preis gebe man zum Ausdruck: "Das ist richtig, das ist gut, das ist das Beste", schrieb sie in einem offenen Brief an die Ethikkommission. Zudem berichteten die "Schaffhauser Nachrichten" am Samstag, dass ein Konzert der beiden Rapper in Schaffhausen zur Debatte gestellt würde.
"Ein Fehler"
Der Bundesverband Musikindustrie nannte den Echo für das Rap-Album am Dienstag einen Fehler. Der Vorstandsvorsitzende Florian Drücke schrieb an die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch: "Wir entschuldigen uns ausdrücklich dafür - bei Ihnen und allen anderen Menschen, deren Gefühle wir verletzt haben."
Knobloch hatte die Auszeichnung als "verheerendes Zeichen" bezeichnet. Gerade erst entstehe in Deutschland die "ersehnte Sensibilität für den erstarkten Antisemitismus in unserer Gesellschaft, insbesondere an Schulen".
Knobloch habe mit ihrer Kritik vollkommen Recht, so Drücke. "Wir als Vorstand haben das falsch bewertet und wollten uns an der falschen Stelle für die künstlerische Freiheit einsetzen." Das Geschehene sei nicht mehr rückgängig zu machen. "Wir können allerdings vermeiden, dass solche Fehler in Zukunft wieder geschehen."
Der Echo ist der wichtigste deutsche Musikpreis, eine Art deutscher Grammy. Er wird nach Verkaufszahlen und Juryempfehlung vergeben. In strittigen Fällen wird ein Beirat angerufen. Im Fall des Rap-Albums hiess es vor der Verleihung, die künstlerische Freiheit sei in dem Text "nicht so wesentlich übertreten", dass ein Ausschluss gerechtfertigt wäre.
Politik meldet sich zu Wort
Kulturministerin Monika Grütters sprach vom "Versagen" des Ethikrates. "Die Freiheit der Kunst ist in Deutschland garantiert, aber sie hat ihre Grenzen da überschritten, wo Holocaust-Opfer verhöhnt werden", sagte Grütters. "Wie dehnbar der Begriff der Kunst ist, sieht man, wenn er wie hier gelten soll für eine Ansammlung stumpfer Plattheiten, antisemitischer Ausfälle und frauenfeindlicher Beleidigungen."
Dass Songs mit Texten, die menschenverachtende und herabwürdigende Passagen enthielte, von der Musikindustrie ausgezeichnet würden, offenbare die Fragwürdigkeit eines Preises, der nur auf Erfolg an der Kasse setzt. Ganz offensichtlich brauche es ein Innehalten, um den eigenen künstlerischen Anspruch und ethische Massstäbe zu schärfen.
Der Sprecher des Beirats verteidigte die Entscheidung. "Grenzüberschreitungen sind nicht akzeptabel, aber sie sind ein Teil der Musikkultur", sagte Politiker Wolfgang Börnsen der dpa. Der Beirat habe die Entscheidung gemeinsam getroffen, sagte Börnsen. Das Gremium habe die Texte der Rapper für unvertretbar und unwürdig gehalten.
Zugleich unterstrich Börnsen: "Uns mangelt es an Eigenverantwortung der Künstler." Er will die Diskussion nach vorne lenken. Man müsse daraus lernen. "Es braucht ein neues Wertesystem." Es gehe auch um Themen wie Hass, Frauenfeindlichkeit und Sympathien für Terrorismus. (sda/dpa)
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