Sabine Welte: «Das ist eine gute Lebensschule»
Sabine Welte ist Leiterin des Kreditschutzverbandes KSV1870 in Vorarlberg. Die Naturliebhaberin hat in 23 Jahren schon viele
Erklärungen von Schuldnern gehört, warum ihnen gerade jetzt das Geld ausgegangen ist. «Man sucht den fairen Ausgleich für alle», sagt Welte.
Frau Welte, Sie stehen in Feldkirch einem Team vor, das lange Zeit nur und noch immer mehrheitlich aus Frauen besteht. Ist es Zufall, dass beim grössten Kreditschutzverband im Lande nur sehr wenige Männer tätig sind?
Sabine Welte: Das ist Zufall und hat nichts mit Quoten zu tun und schon gar nicht damit, dass ich die Leitung vor etwas mehr als drei Jahren übernommen habe. Denn auch unter meinem Vorgänger waren hier fast nur Frauen tätig.
Sind Sie die einzige Frau im KSV1870 in einer solchen Leitungsfunktion?
Von den sechs Niederlassungen in Österreich werden zwei von Frauen geleitet. Bei uns geht es aber wie gesagt nicht um Quoten oder ein Bild nach aussen, das man gerne darstellen würde. In unserem Unternehmen zählt die Qualifikation. Meine Kollegin und ich sind schon sehr lange im KSV1870 tätig und haben entsprechend Erfahrungen gesammelt.
Man erlebt immer wieder, dass Frauen im Geschäftsleben beim Umgang mit Geld konsequenter und unnachgiebiger sind als Männer. Stimmt dieser Eindruck?
Männer und Frauen sind unterschiedlich, auch im Geschäftsleben. Aber ich möchte diese Unterschiede nicht nur am Finanziellen festmachen. Es gibt in unserer Gesellschaft nach wie vor eine klare Aufgabenteilung und in der Regel trägt die Frau die grössere Last. Aus diesem Grund gehen die meisten Frauen strukturierter und organisierter in den Alltag.
Führen Sie als Frau anders als ihr langjähriger Vorgänger Peter Mayer?
Ich habe sehr viel von ihm gelernt, denn er hat einiges an Aufbauarbeit geleistet. Aber bestimmte Dinge mache ich nicht so wie er. Das hängt zum einen damit zusammen, dass jeder Mensch anders tickt und zum anderen ist da der Generationsunterschied. Dass ich eine Frau bin, spielt keine Rolle.
Frauen in Führungspositionen sind in der Wirtschaft noch immer eine Ausnahme. Warum?
Wenn Frauen einen Job angeboten bekommen, dann überlegen sie länger und eingehender, ob sie dieser Herausforderung gewachsen sind und die Anforderungen erfüllen. Wir sehen uns selbst viel zu kritisch. Männer sind da ganz anders. Die sind viel mehr von sich selbst überzeugt und meinen, dass sie fast alles können. Wir Frauen sollten aufhören, uns ständig zu sehr zu hinterfragen.
Führungspositionen haben mit Verantwortung und Risiko zu tun. Könnte es sein, dass Frauen das eher scheuen und auf der sicheren Seite sein wollen?
Geschäftliches Risiko und Verantwortung zu übernehmen, liegt vielen Frauen eher weniger. Sie haben oft nicht den Mut, obwohl sie es gleich gut könnten. Dabei ist es so schön und spannend, in einer Führungsposition Dinge gestalten zu können. Aber das gibt es nur im Doppelpack. Wer führt, muss Verantwortung übernehmen und Risiko tragen.
Waren Sie während ihrer gesamten bisherigen Berufslaufbahn beim KSV1870 tätig?
Ich war nach der Handelsakademie zwei Jahre lang in einem Textilunternehmen und in einer Bank beschäftigt. 1991 wechselte ich hierher.
Was macht den Reiz aus, sich tagtäglich mit Schulden und Insolvenzen zu beschäftigen? Für gute Laune sorgen diese Themen ja nicht.
Es geht bei Weitem nicht so todernst zu, wie man von aussen meinen könnte. Die Insolvenzfälle sind oft sehr unterschiedlich gelagert. Das ist spannend. Zudem unterliegt die Rechtslage einer ständigen Veränderung, wodurch wir uns immer wieder anpassen müssen.
Warum ist es denn nicht so todernst?
Weil man immer einen fairen Ausgleich sucht zwischen den Ansprüchen der Gläubiger und dem Interesse des Schuldners, sein Unternehmen oder seine Existenz einigermassen annehmbar fortzuführen. Es ist nicht das Ziel, einen Schuldner endgültig finanziell umzubringen, sondern ihm die Möglichkeit zu geben, zumindest einen Teil seiner Schulden zurückzuzahlen. Deshalb ist unsere tägliche Arbeit überhaupt nicht negativ behaftet. Oft kann man sich über eine Einigung auch freuen.
Was bekommt man denn da von Schuldnern so zu hören?
Das ist manchmal leider tragisch, oft aber auch lustig, was da an Begründungen in diesen Hunderten Verfahren so dahergekommen ist. Einmal hat ein verheirateter Schuldner erklärt, dass seine aussereheliche Freundin zu ihm auf die Baustelle gekommen sei und ihm vor allen Kollegen mitgeteilt habe, dass sie von ihm Zwillinge erwartet. Durch die finanzielle Mehrbelastung wegen der Unterhaltspflicht sei er zahlungsunfähig geworden.
Geht man aufgrund dieser Berufserfahrung im Privatleben mit Geld anders um?
Mit Sicherheit. Das ist eine gute Lebensschule, was den Umgang mit Geld betrifft. Das prägt einen und ich passe genau auf, dass mir so etwas nicht passiert und ich in keine finanzielle Falle tappe.
Was sind typische finanzielle Fallen?
Vor allem Ratengeschäfte. Viele Menschen kaufen banale Haushaltsgeräte wie z. B. einen Geschirrspüler auf Raten. Durch Ratenzahlungen fällt es nicht gleich auf, dass man sich etwas nicht leisten kann. Aber auch Kleinvieh macht Mist. Eine Ratenzahlung geht sich vielleicht noch aus. Aber manche haben zehn Monatsraten am Laufen. Dazu kommen Ausgaben für Wohnung, Handy und Internet. Geht in dieser Situation noch das Auto kaputt, dann geht es los.
Welche Ursachen stecken hinter dem meisten Insolvenzen Schicksalhafte Umstände oder Managementfehler?
Bei den Firmen sind es zum allergrössten Teil reine Managementfehler. Die Leute sind fleissig und kennen sich in ihrem Bereich gut aus. Aber es fehlt der unternehmerische und betriebswirtschaftliche Weitblick. In den vergangenen zwei Jahren hat es in Vorarlberg nur Kleinst-, Klein- und kleinere Mittelbetriebe erwischt. Das spricht eine klare Sprache. Umstände wie ein Unfall oder Krankheit sind die Ausnahme.
Sie haben gesagt, dass die hohe Quote von Privatkonkursen in Vorarlberg ein gutes Zeichen sei. Warum?
Unsere Datenbanken zeigen österreichweit, dass es sehr viele überschuldete Haushalte gibt, die eigentlich ein Schuldenregulierungsverfahren beginnen müssten. Da macht Vorarlberg keine Ausnahme. Aber hier ist offenbar das Bewusstsein viel grösser, dieses Problem zu lösen. Man steckt bei uns nicht den Kopf in den Sand.
Haben Sie den Eindruck, dass die Menschen weniger mit Geld umgehen können als früher oder sich den Verlockungen des Konsums nicht entziehen wollen?
Das riesige Konsumangebot für Private ist natürlich sehr, sehr verlockend. Dem ständig mit dem Hausverstand zu begegnen, ist sicherlich nicht so leicht. Da spielt die Erziehung der Eltern eine wichtige Rolle. Oft haben wir Familien, die über Generationen hinweg überschuldet sind.
Also konsumieren ohne Grenzen, bis der Insolvenzrichter kommt.
Viele Private wandeln ständig an ihrer monetären Grenze und haben keinen Überblick über ihre finanziellen Verhältnisse. Da gibt es keine Haushaltsbudgetplanung. Kommt dann ein unerwartetes Ereignis, wirft einen das aus der Bahn.
Manche meinen, dass man es den Schuldnern viel zu einfach mache, ihre Schulden loszuwerden ? und die Gläubiger grösstenteils auf der Strecke bleiben.
Das österreichische Modell der privaten Schuldenregulierungsverfahren ist fair. Die Quote für die Gläubiger ist in manchen Verfahren nicht allzu hoch. Doch die Schuldner müssen sieben Jahre lang mit dem Existenzminimum leben. Das ist eine lange Zeit und ich ziehe vor jedem den Hut, der das bei unseren Lebenshaltungskosten durchhält. Die Leute bringen ihren Beitrag und lernen, mit Geld umzugehen. Bei den Firmeninsolvenzen gibt es ebenso klare Regelungen, sozusagen eine zweite Chance für redliche Unternehmen.
Aber ist das fair gegenüber den Gläubigern?
Ja, denn sie müssen einem Sanierungsplan nicht automatisch zustimmen. Sie können auch ablehnen, wenn es nicht angemessen erscheint. Eine Fortführung um jeden Preis auf dem Rücken der Gläubiger darf es nicht geben.
Waren Sie in Ihrer Jugend auch mit so schweren Themen konfrontiert?
Nein. Ich bin in Viktorsberg aufgewachsen. Da ist alles klein und beengt, auch im Sozialleben. Aber es ist auch ruhig und behütet. Damals waren die öffentlichen Verkehrsmittel noch nicht so ausgebaut und man hing ständig da oben fest. Da war das erste Mofa ein Meilenstein. Es konnte gar nicht so kalt sein, als dass wir uns damit nicht auf den Weg ins Tal gemacht hätten.
Was macht Sabine Welte, wenn sie sich nicht gerade mit Insolvenzen beschäftigt?
Ich lese sehr gerne und gehe viel raus in die Natur, etwa zum Biken oder Wandern. Da Kochen nicht zu meinen grossen Leidenschaften gehört, gehe ich gerne gut essen. (Interview: gübi)