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Millionen kamen in Einkaufstüten nach Vaduz

Steuerhinterziehung war «kein Thema», Millionenbeträge in Einkauftstüten «ganz normal»: Zwei ehemalige Liechtensteiner Banker erzählen, wie salonfähig unversteuertes Geld früher auf dem Finanzplatz war.

VON VALESKA BECK

Vaduz. – Heute weiss Ex-Banker Martin Schmid*, dass seine Geschichte wie aus einem billigen Film über schmierige Finanzgeschäfte klingt. Er weiss, dass die Geschäfte, die er vor 20 Jahren Tag für Tag abgewickelt hat, heute nicht mehr denkbar wären. Er weiss auch, dass er sich mit seiner Geschichte auf gefährliches Terrain begibt – über Schwarzgeld spricht man auch heute am Liechtensteiner Finanzplatz nicht gerne.
Schmid arbeitete in 1980er- und 1990er-Jahren – «damals, als das grosse Geld nach Vaduz kam» – bei einer Liechtensteiner Grossbank und beriet dort ausländische Kunden in Vermögensfragen: «Bequem und feudal» habe man es bei der Bank gehabt, erzählt Schmid. «Jeder von uns hatte sein eigenes Büro, das er nach seinem Gusto einrichten konnte, war dort sein eigener Chef und hatte im Idealfall auch eine eigene Sekretärin.»

«Sie kamen in Bussen»
Viele Kunden kamen zu dieser Zeit unangemeldet in die Schalterhalle von Schmids Bank. «Die einen waren eigens für den Bankbesuch nach Liechtenstein gefahren, oft waren es aber auch Touristen aus den vielen Reisebussen, die ihren Abstecher nach Vaduz mit einem Bankbesuch verbanden.»
In solchen Fällen war Schmids Einsatz gefragt – zuerst weniger als Vermögensverwalter denn als Geldzähler. Es sei «ganz normal» gewesen, dass die Kunden ihr Geld bar zur Bank brachten. «Das konnten 50?000 Mark, aber auch mehrere Millionen sein – in Rucksäcken, in Einkaufstüten, in Designer-Handtaschen.» Waren es nicht zu viele Scheine, zählte Schmid das Geld selbst von Hand ab. Sonst kam ein Schalterbeamter ins Sprechzimmer und zählte mit. Das Liechtensteiner Konto war ohne grosses Aufheben eröffnet.


«Wir hatten beinahe Mitleid»
Dass das viele Bargeld der gut betuchten ausländischen Kundschaft nicht versteuert war – «80 Prozent der Kunden kamen aus Deutschland, 90 Prozent der Gelder waren schwarz» – habe man bei der Bank wohl gewusst. Steuerhinterziehung sei damals aber «einfach kein Thema» gewesen. «Das sahen wir nicht als Straftat an», so Schmid. «Es galt als Kavaliersdelikt.»
Von Unrechtsbewusstsein bei den Bankern also keine Spur – im Gegenteil: «Wir hatten beinahe Mitleid mit den Deutschen, die so viel von ihrem sauer verdienten Geld an den Fiskus abgeben mussten.» Ein Satz, der unter Liechtensteiner Bankern mit Blick auf die deutsche Steuerpolitik viel zitiert worden sei: «Wo es Wüsten gibt, gibts auch Oasen.» Aus heutiger Sicht sei das alles «höchst kriminell» gewesen, räumt Schmid ein.


«Das war ganz normal»
Die Frage nach der Moral, die erst in der Debatte um Bankgeheimnis und Steuerhinterziehung der vergangenen zwei Jahre richtig laut wurde, stellte sich in dieser Zeit offenbar kein Liechtensteiner Banker – auch nicht Thomas Zimmermann*. Er war während seiner Karriere bei mehreren Liechtensteiner Banken in leitender Position tätig. Auch Zimmermann erinnert sich gut daran, wie die ausländischen Kunden mit Taschen voller Bargeld zur Bank kamen. «Meistens besuchten sie mich Mitte Dezember, auf dem Weg in die Skiferien in der Schweiz.» Deshalb habe er das Geld seiner Klientel immer so angelegt, dass die Erträge im Dezember ausgeschüttet wurden – «fürs Urlaubsgeld, meist in der Höhe von mehreren Zehntausend Franken.» Zimmermann verteidigt die früheren Geschäftspraktiken seiner Zunft. «Klar klingt das aus heutiger Sicht, da Steuersünder in der Öffentlichkeit an den Pranger gestellt werden, prekär», so Zimmermann, «doch damals war es einfach der Normalzustand in der Branche.»
Auch für die Kunden, die Geld am Fiskus vorbeischummelten, zeigt Zimmermann Verständnis. Ihre Beweggründe seien nicht nur im Steueraspekt zu suchen. «Viele unserer deutschen Kunden hatten den Krieg erlebt, hatten Angst um ihr Vermögen, Angst vor den Russen.»


«Wir machten einfache Geschäfte»
Dass die ausländischen Kunden neben einem «Steuerversteck» vor allem einen sicheren Hafen suchten, bestätigt auch Ex-Banker Schmid: «Hauptsache, das Geld war weit weg vom Heimatland.» Die Rendite, die der Bankberater mit dem angelegten Geld erzielte, war höchstens zweitrangig. Die Kunden kamen in der Regel einmal pro Jahr nach Vaduz, liessen sich dort in ein teures Restaurant einladen. Wenn das Vermögen gewachsen war, verlief das Mittagessen «lustig», sagt Schmid – «und sonst halt weniger angenehm, aber tragisch war auch eine schlechte Rendite nicht.»
«Das waren einfache Geschäfte damals», sagt auch Ex-Banker Zimmermann. Sich aktiv darum zu bemühen, dass die Kunden zur Vaduzer Bank kommen, sei gar nicht nötig gewesen. Das Geld sei einfach so geflossen – «mit null Leistung unsererseits». Um sich Anlageberater zu nennen, hätten «Anzug und Krawatte oft schon gereicht.»


«Das war dann schon ok»
Wo die Quellen dieser Geldflüsse lagen, sei früher nie so akribisch geprüft worden – scharfe Geldwäschekontrollen wie heute waren damals nicht gesetzlich vorgeschrieben. Das liechtensteinische Sorgfaltspflichtsgesetz trat erst im Jahr 1997 in Kraft, später wurde es laufend veschärft (siehe Infobox). «Es war aber auch vorher nicht so, dass wir einen Koffer voller Geld angenommen haben, ohne zu fragen, woher das Geld kommt», sagt Zimmermann. Ziemlich hartnäckig gefragt wurde meist allerdings nicht: Brachte der Kunde zusammen mit seinem Bargeld einen Beleg einer Schweizer Bank mit, wo er es zuvor abgehoben hatte, sei das schon «ok» gewesen – «dann wussten wir, dass das Geld sauber ist.» Zudem habe es bankinterne Vorschriften gegeben. «Wenn ein neuer Kunde eine halbe Million brachte und sagte, die stamme aus einem Immobilienverkauf, musste er schon eine Kopie des Verkaufsvertrags mitbringen», so Zimmermann. Woher das Geld für Immobilie ursprünglich einmal stammte, wurde allerdings nicht unbedingt weiter hinterfragt.


«Nicht in die Schlagzeilen geraten»

Schmid hat das während seiner Zeit bei der Bank ähnlich gehandhabt. Da es noch keine strenge gesetzliche Grundlage wie heute gegeben habe, habe man den Kunde einfach die Herkunftsgeschichte des Geldes erzählen lassen. Und im Geschichtenerzählen waren die meisten gut: «Wenn der Kunde gesagt hat, er sei Unternehmer und das Geld stamme aus seinen Gewinnen, dann reichte das meistens aus.» Solange die Geschichte plausibel geklungen habe, habe man keine weiteren Fragen gestellt – ausser bei sehr grossen Geldbeträgen. «Dann verlangten wir schon was Schriftliches – keine Bank wollte wegen schmutzigen Geldes in die Schlagzeilen geraten.» Die am Finanzplatz immer wieder aufkommenden Geldwächeermittlungen und gerichtlich verhängten Kontensperren zeigen allerdings, dass es auch mit diesen Vorsätzen nicht immer so weit her war.

«Leicht viel Geld verdient»
Heute ist Schmid kein Banker mehr; er hat sich vor Jahren zur Ruhe gesetzt. Blickt er auf seine Zeit bei der Bank zurück, schwingt Wehmut in seiner Stimme mit: «Das waren goldene Jahre, uns ging es sehr gut – als Banker konnte man leicht viel Geld verdienen», sagt er. Dass die Geschäfte mit unversteuertem Geld dem Finanzplatz im Februar 2008 bei der Verhaftung des deutschen Stiftungskunden Klaus Zumwinkel letztlich um die Ohren geflogen ist, kann er rückblickend gut nachvollziehen: «Vielleicht haben wir es etwas übertrieben.»

*Namen von der Redaktion geändert.

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