Die Krux mit dem Automatismus
VON WOLFGANG FREY
Berlin. – In Sonntagsreden gerieren sich deutsche Politiker gern als Steuerhinterzieherjäger. Dazu passt, dass sie gestohlene Bankdaten aus Liechtenstein und der Schweiz für Millionensummen kaufen und sich dann in der Presse für zusätzliche Millioneneinnahmen an Steuern feiern lassen, während anderswo Milliarden versickern – zum Beispiel in ganz oder halbstaatlichen Finanzinstituten wie den Landesbanken, die sich mit US-Schrottimmobilien an den Rand der Pleite spekuliert haben.
Weniger passt dazu, was die deutsche «Wirtschaftswoche» gestern berichtete: Der Bundesrechnungshof, der in Deutschland über das Geld der Steuerzahler wacht, moniert, dass die millionenfachen Kontrollmitteilungen über Zinseinkünfte deutscher Steuerpflichtiger aus EU-Ländern seit Jahren zwar gesammelt, aber nicht verwendet wurden, um Steuerhinterziehern auf die Spur zu kommen.
Millionen von Meldungen auf Halde
«Das Bundesministerium der Finanzen und das Bundeszentralamt für Steuern haben bisher 7 Millionen Meldungen über ausländische Zinszahlungen nicht an die Landesfinanzverwaltungen weitergeleitet», zitiert die «Wirtschaftswoche» aus einem Bericht des Bundesrechnungshofes. In Deutschland sind die Finanzverwaltungen der Bundesländer für die Besteuerung und Verfolgung der Steuerhinterziehung zuständig. Das Bundeszentralamt für Steuern selbst ist kein Finanzamt in diesem Sinne und hat nur Spezialaufgaben. Seit 2005 melden die Mehrheit der EU-Länder und einige Drittstaaten dem deutschen Fiskus die Zinseinkünfte von Deutschen auf deren Konten im Ausland.
Grundlage ist die sogenannte Zinbesteuerungsrichtlinie, die die Bundesrepublik in der EU durchgesetzt hatte. Während Länder wie Österreich, die Schweiz und Liechtenstein aufgrund einer Sonderregelung und ihrer Bankgeheimnisse nicht die Namen der Anleger mitteilen, sondern anonym einen Teil der Kapitalerträge auf diesen Konten nach Deutschland überweisen, schicken Länder, die dem automatischen Informationsaustausch angeschlossen sind, jene Kontrollmitteilungen, die sich nun offenbar seit Jahren beim Bundeszentralamt für Steuern stapeln.
«Besteuerung nicht gewährleistet»
Diese Behörde, die direkt dem Bundesfinanzministerium untersteht, sah sich laut Bundesrechnungshof nicht in der Lage, die in elektronischer Form vorliegenden Daten elektronisch weiterzuleiten. Insgesamt seien Zinszahlungen «im zweistelligen Milliardenbereich» betroffen, zitiert das Wirtschaftsmagazin aus dem Rechnungshofbericht. Wie viele davon ordnungsgemäss versteuert wurden, sei unbekannt. Damit sei «eine rechtzeitige, vollständige, gesetzmässige und gleichmässige Besteuerung ausländischer Zinsen nicht gewährleistet», so die Prüfer.
Erst auf das Drängen des Rechnungshofs habe das Bundesfinanzministerium 2009 noch unter Leitung von Peer Steinbrück (SPD) entschieden, den Finanzämtern zumindest 40000 Kontrollmitteilungen der Jahre 2005 und 2006 zuzustellen, damit die Finanzbeamten sie manuell durchsehen könnten, schreibt das Magazin weiter. Die Ämter hätten wegen Kapazitäts- und Personalmangel aber nur 10 Prozent der Datensätze annehmen wollen.
Steinbrücks Nachfolger Wolfgang Schäuble macht nun offenbar Nägel mit Köpfen: Laut «Wirtschaftwoche» sollen die Finanzämter seit einigen Wochen auf alle Daten elektronisch zugreifen können.
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