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Schöner leben ? schöner sterben

Als Internist und Lungenfacharzt ist Friedrich von Bültzingslöwen dem Tod häufig begegnet. Er hat gelernt, wie wichtig es ist, das Lebensende so zu akzeptieren wie die Geburt als Anfang. In der Hospizbewegung teilt er sein Wissen und seine Erfahrung mit Sterbenden.

Von Shusha Maier

Wofür leben Sie?» Noch vor zwanzig, dreissig Jahren hätte Friedrich von Bültzingslöwen dieselbe Antwort gegeben wie die meisten anderen. Nur einer von zehn, das weiss der Onkologe, der viele Menschen während ihrer letzten Lebenszeit bis in den Tod begleitet hat, sagt unumwunden, dass er für sich selbst lebt. Kinder, Partner, Gott – Gründe zu leben werden viele genannt. Sich selbst und sein Wohlbefinden ins Zent­rum zu stellen, scheint den meisten in der westlichen Kultur Verwurzelten unbotmässig egoistisch. Auch Friedrich von Bültzingslöwen wäre es vermessen erschienen, sich selbst so wichtig zu nehmen. Er hat aber gelernt: «Menschen, die die Frage nach dem Wofür gut beantworten können, sterben besser.» Wobei mit gut die Einsicht gemeint ist, zuerst auf sich schauen zu müssen.

Das und noch viel mehr über das Leben und den Umgang mit sich und anderen hat der Internist und Lungenfacharzt bei seiner langen Tätigkeit in der Palliativmedizin erfahren. Als Palliativmediziner hat er sich aber lange nicht gesehen, denn über dieses Gebiet der Medizin, dessen primäre Zielsetzung die Steigerung oder zumindest Erhaltung der Lebensqualität im finalen Krankheitsstadium ist, wird erst seit Kurzem offen gesprochen.

«Die Gesellschaft hat den Tod einige Jahrzehnte ausgeblendet» – er hatte meist im Abseits stattzufinden. «Ich habe viele Menschen sterben gesehen und weiss daher, dass auch das Lebensende friedlich, bewegend und schön sein kann.» Mit dem Sterben ist Friedrich von Bültzingslöwen schon als Kind konfrontiert worden. Er war knapp zwei, als 1945 der Vater starb. Zwei Jahre zuvor war der Spross einer thüringischen Uradelsfamilie mit seinen Eltern aus dem kriegsgebeutelten Deutschland nach Vaduz gekommen. Kurz nach dem Tod des Vaters zogen er und seine Mutter nach Planken. «In meinen Kinderjahren bin ich in fast allen Plankner Häusern ein- und ausgegangen. Keine Türe war verschossen und überall wurde ich freundlich aufgenommen.» Geboren und gestorben wurde damals zu Hause und dort wurden die Toten auch aufgebahrt. «Da ging dann jeder hin, um Abschied zu nehmen.» Nicht nur der kleine Friedrich – Freddy genannt – fühlte sich im Dorf daheim. Auch seine englisch-schottische Mutter schlug bald Wurzeln und fand Freunde fürs Leben, die gerne die entfernt lebenden Verwandten vertraten.

Aufgewachsen ist Friedrich von Bültzingslöwen in demselben Haus, in dem er jetzt lebt. Idyllisch und trotzdem mitten im Dorf gelegen, klein, aber geräumig, heimelig und sehr geschmackvoll eingerichtet, mit einladender roter Haustüre. Schon als er an ein Gymnasium nach Oberbayern geschickt wurde, 11 Jahre war er damals, hat er beschlossen, sich einst in Planken zur Ruhe zu setzen.

Vier Jahre ist es her, dass Friedrich von Bültzingslöwen nun tatsächlich wieder in Planken lebt. Mit der Ruhe ist es allerdings nicht weit her: Er arbeitet in der Hospizbewegung Liechtenstein und dem Palliativnetz mit, weil «ich alle menschlichen und fachlichen Erfahrungen, die ich als Onkologe gemacht habe, dabei weiter nützen kann», und zusammen mit seiner Frau als Geri-Clown. Das sind einfühlsame Allein- oder Zu-zweit-Unterhalter für alte Menschen. Zwei Jahre intensiver Ausbildung waren dazu nötig. Eine Ausbildung, die sie nicht selten an die eigenen Grenzen führte. Nun spielen sie einmal im Monat im Heim St. Florin in Vaduz, am liebsten für und mit dementen Menschen. «Es ist eine grosse, aber schöne Herausforderung, gerade Menschen mit schwindendem Verstand aus der Reserve zu locken und zuweilen gar zum Lachen zu bringen», sagen beide übereinstimmend. «Man muss kein Arzt sein, um Geri-Clown zu werden. Voraussetzung ist einzig Liebe zu den Menschen», versichert Friedrich von Bültzingslöwen.

Trotz seines Einsatzes für unheilbar Kranke, «und unheilbar ist nicht nur manche Krebserkrankung», erinnert der Arzt, bleibt ihm genügend Zeit, um auf Skitouren zu gehen oder zum Mountainbiken. Auf Wanderungen und Reisen kommt auch gerne seine Frau mit. Zusammen haben sie schon die halbe Welt erkundet, ein Stück davon sogar zu Fuss. 820 Kilometer des Jakobswegs sind sie gegangen – an einem Stück, von den Pyrenäen bis nach Santiago de Compostela. In der kanadischen Wildnis waren sie zusammen mit Freunden mit einem Kanu unterwegs. Und bald soll es zur Tochter nach Neuseeland gehen. Sie lebt dort einer alten Tradition der von Bültzingslöwen nach, «Was ein Echter von Bültzingslöwen ist, muss wenigstens einmal die Welt umrunden und fühlt sich in vielen Ländern zu Hause.»
Friedrich von Bültzingslöwen hat genügend Energie, um sie noch ein paar Mal zu umrunden – aber jedes Mal danach wird er seine rote Haustür aufschliessen und wieder für eine Weile daheim sein wollen – in Planken.
 

 

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