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Mit sich selbst im Einklang

Ob Arbeit wichtiger im Leben ist oder ein eng geflochtenes Beziehungsnetz, muss jeder für sich selbst entscheiden. Als Psychologe hat Matthias Brüstle Erfahrung darin, Menschen bei solchen und vielen anderen Entscheidungen zur Seite zu stehen und Wege aufzuzeigen.

Von Shusha Maier

«Die Möglichkeit, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die nichts mit Gelderwerb zu tun haben, ist eine Art Reichtum, der in unserem Kulturkreis zu wenig wahrgenommen wird», sagt Matthias Brüstle. Wie bereichernd aber gerade jene Tätigkeiten sein können, hat der Psychologe jüngst selbst erfahren, als er sich während eines Jahres auf seine Selbstständigkeit vorbereitete. Er hat dabei gelernt, mit seinen Energien besser hauszuhalten und – fast noch wichtiger – seine private Agenda genauso präzise zu führen wie die berufliche.

Die meisten Menschen sind beziehungsfähig, ist er überzeugt, und mehr noch: die meisten ziehen auch aus einem guten Beziehungsnetz weit mehr positive Energie, als aus jeder Arbeit. Sicher gebe es welche, die es aushielten, Woche für Woche 60 oder mehr Stunden zu arbeiten und dabei froh und glücklich sind. Diese Menschen seien aber die Ausnahme von der Regel, die besagt, dass Arbeits- und Privatleben möglichst im Gleichgewicht zu halten sind, um grösstmögliche Zufriedenheit zu erreichen.

Ideal sei natürlich, wenn der Beruf als geliebte Tätigkeit dergestalt Teil des Lebens wird, dass die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem fliessend werden. Für sich hat das Matthias Brüstle schon vor geraumer Zeit erreichen können. Dabei wollte er sich zunächst als Psychologe keineswegs therapeutisch oder sozial engagieren. «Ich dachte eher daran, schöne Werbung für gute Autos – oder gute Werbung für schöne Autos zu machen», erzählt er lachend. Und dabei war das schon ein Kompromiss, denn lange Zeit trug sich der ehemalige Klosterschüler mit dem Gedanken, Theologie zu studieren.

«Ich verwarf diesen Wunsch schliesslich, weil mir das Studium – wohl zu Recht – zu ideologielastig schien und entschied mich für Psychologie. Das war ein Volltreffer! Ich fand durch das Studium jenen wertfreien, neutralen Zugang zu den Menschen, den ich mir wünschte und der in der Theologie so niemals möglich sein wird.»
Seine «Lehrherren», wie Matthias Brüstle die Professoren an den Universitäten Innsbruck und Wien nennt, haben ihm beigebracht, zuerst zu beobachten, Menschen wahrzunehmen, ohne sich ein Urteil zu bilden. Vom restlichen – durchaus umfangreichen – akademischen Wissen aus Universitätstagen seien sonst aber mittlerweile nur mehr «Fragmente übrig», sagt er und fügt mit leicht ironischem Unterton und lächelnd an: «Was allerdings nicht schlimm ist, beträgt doch die Halbwertszeit psychologischer Erkenntnisse rund sieben Jahre.» Was sich aber gehalten hat über all die Zeit, die Matthias Brüstle als Psychologe arbeitet, ist beispielsweise die Affinität zu einer konservativen Erziehungsweise.

«Die konservative – sprich autoritäre – Art zu erziehen, hat sich über Jahrhunderte bewährt. Das Laisser-faire, das die 68er-Generation gepredigt hat, ist einfach zum Vergessen», sagt der Fachmann, der mehr als 15 Jahre in unterschiedlichen Bereichen der Sozialpädagogik und Sozialpsychiatrie gearbeitet hat. Klare Regeln, feste Strukturen und jemand, der deren Einhaltung kontrolliert und einfordert, sind für jegliches Zusammenleben die bessere Wahl.
Trotz seines jahrelangen Engagements im sozialpsychologischen Bereich zeigt Matthias Brüstle «noch immer professionelle Neugierde an Lebensgeschichten und an der Möglichkeit, Menschen zu entwickeln.» In seiner ruhigen, unaufgeregten Art erklärt er, dass er dabei versuche, den Horizont des Betreffenden zu erweitern. «Ich mache Licht oder klopfe an Türen, zeige damit Wege, Möglichkeiten auf. Ob das Gegenüber schliesslich den Weg gehen will, ist ganz seine Entscheidung.»

Er habe vieles ausprobiert in seinem Leben, war mehrere Sommer auf einem Bergbauernhof zum Arbeiten, um seine physische Belastbarkeit zu erfahren, hat sich mit anderen, fremden Wertsystemen vertraut gemacht und dabei gelernt: «Es funktioniert, sich an guten Beispielen anderer zu orientieren.» Für Matthias Brüstle gehören Erlebnisse mit buddhistischen Mönchen zum wichtigen Erfahrungsschatz; wie unvoreingenommen diese ihn in ihrer Mitte aufgenommen hatten, teilhaben liessen an ihren Ritualen, ohne seine Beweggründe zu hinterfragen – ihn einfach gewähren liessen und ihm darüber hinaus ihre ganze Wertschätzung entgegenbrachten, erzählt er noch heute, Jahre danach, mit grosser Bewunderung.

Als selbstständiger Psychologe ist sein Tätigkeitsgebiet nun viel grösser geworden und Matthias Brüstle sagt: «Die Vielfalt, die dadurch möglich ist, tut mir gut.» Nach wie vor betreut er, vor allem im Rahmen des Vereins NetzWerk, Hilfe- und Ratsuchende; daneben aber bleibt Zeit für die Vorbereitung von Vorträgen, fürs Coaching, zum Verfassen von Artikeln für Fachzeitschriften und nicht zuletzt für eine weitere Ausbildung. Bald wird er als Antiaggressionstrainer mit mehrfach straffälligen Jugendlichen und Erwachsenen arbeiten können.

«Der schönste Lohn für meine Arbeit ist, wenn Menschen ihre Würde wiedererlangen, sich selbst wieder schätzen lernen und Sinn in ihrem Dasein sehen.» Matthias Brüstles eifrigstes Streben bleibt, mit sich selbst in Einklang zu kommen, sich und sein Leben zu schätzen, denn: «Letztlich ist jeder alleine auf der Welt, keine noch so gute Partnerbeziehung kann das verändern. Bestenfalls ist sie eine gelungene Draufgabe zum Leben.» Und schön an seinem Beruf sei schliesslich auch, dass nicht nur seine Klienten von ihm profitieren können, sondern nicht selten auch er von ihnen. «Selbstverständlich an das Ende des Lebens denken, aber genauso selbstverständlich das Leben bis zu seinem Ende leben», ist eine jener Weisheiten aus dem Mund eines Schicksalsgebeutelten, die Matthias Brüstle gerne auf seinen weiteren Weg mitnimmt.
 

 

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