Die Illusion im Nebenzimmer
VON BETTINA FRICK
Nur mit einem Slip bekleidet räkelt sich die Stripperin an der Tanzstange in der Mitte des Lokals. Mit beiden Händen hält sie die Stange, öffnet langsam ihre Beine und rutscht aufreizend in den Spagat. Noch lasziver als ihre Bewegungen ist ihr Blick, den sie auf die Gesichter der Lokalbesucher richtet – aber noch lange nicht von allen Besuchern erwidert wird. Während die paar weiblichen Gäste die Ungehemmtheit ebenso wie die Gelenkigkeit der Tänzerin auf den acht Zentimeter hohen Hacken bestaunen, scheinen sich die Männer hingegen zu scheuen, der Stripperin zuzuschauen. Manchen fällt plötzlich ein, eine SMS schreiben zu müssen, andere werden just in diesem Moment auf die Dekoration des Lokals aufmerksam und es wird eine Luftschlange nach der anderen genauer unter die Lupe genommen. Unbeirrt wirft die Tänzerin ihre langen blonden Haare in den Nacken, gibt all ihre weiblichen Reize zum Besten. Sie weiss, dass sich die noch zurückhaltende Stimmung im Laufe des Abends ändern wird – es ist erst kurz nach 21 Uhr in einem Fasnachtslokal in Liechtenstein.
Wie viele dekorierte Lokale mit Striperinnen es in Liechtenstein gibt, kann die Landespolizei laut Pressesprecherin Tina Enz nicht abschätzen, weil laufend neue hinzukommen. Sogenannte ordentliche Kabaretts gibt es gemäss Auskunft der Polizei sieben in Liechtenstein. Folglich liegt die Zahl der Lokale mit Tänzerinnen in der Fasnachtszeit höher.
Die Tänzerinnen können jedoch nicht einfach so vom Lokalbesitzer angestellt werden: «Zum einen brauchen die Lokale eine gewerberechtliche Bewilligung sowie eine Aufführbewilligung für die Stripperinnen. Zum anderen brauchen auch die Tänzerinnen eine Bewilligung, sollten sie länger als acht Tage in einem Lokal in Liechtenstein auftreten.» Unter acht Tagen brauchen EU-Bürgerinnen keine Bewilligung. «In den meisten Fällen arbeiten die Frauen auf selbstständiger Basis und bieten ihre Dienstleistungen hier an», sagt Tina Enz.
Neben der Stripperin an der Stange versucht eine weitere Tänzerin, auf ihre Reize aufmerksam zu machen. Bekleidet mit schwarzem Slip und BH zieht die junge Frau von Tisch zu Tisch und setzt sich in die Männerrunden. «Läufts?», fragt sie die Besucher mit einem fordernden Augenaufschlag. Die Männer antworten mit verstohlenem Blick auf ihr Dekolleté. Ziel der jungen Frau ist es, den Männern einen Striptanz direkt an ihrem Tisch zu verkaufen. Sie bleibt erfolglos. Nur ein Besucher scheint sich für das Tattoo auf ihrer linken Brust zu interessieren. Vor lauter Faszination scheint er wohl vergessen zu haben, dass man nur mit den Augen schaut. Die junge Frau erhebt ihren Zeigefinger: «So weit sind wir noch nicht», sagt sie und verlässt den Tisch.
Gegen 23 Uhr füllt sich an diesem Donnerstagabend das Lokal. Insgesamt sind es nun vier Tänzerinnen, die ihre Dienste anbieten. Dazu gehört offensichtlich mehr als der Stangentanz im Hauptraum des Lokals. Auch in einem geschlossenen Zimmer im Nebenraum wird getanzt – beim sogenannten Privat Dance geht es etwas intimer zu und her: Die Tänzerin bietet nicht nur den Oben-ohne-Service, auch ihren Slip lässt sie fallen. Sie setzt sich auf den Schoss ihres Kunden, lässt diesen ihren nackten Körper bewundern und räkelt sich um den Mann.
Chantal B.* ist eine der vier Tänzerinnen. Die Kölnerin ist 28 Jahre alt und seit sieben Jahren als Tänzerin tätig. Noch drei Jahre wolle sie diesen Job machen, schliesslich spare sie für eine schöne Wohnung. Die Tanzerei sei ziemlich lukrativ: «Es gibt Abende, an denen ich rund 700 Euro verdiene», erzählt sie. In diesem Lokal kostet ein Privat Dance 60 Franken. Davon muss sie 15 Franken ihrem Chef abgeben. Dies sei in Ordnung, sagt sie. Die grosse Blondine wirkt sehr selbstbewusst. Nur ihrer Mutter hat sie von ihrem Job nie etwas erzählt. «Sie würde mich nicht verstehen», sagt sie.
Sehr stolz ist sie auf ihre Brüste, «auch wenn sie gemacht sind», sagt sie. Aber: Anfassen darf sie keiner ihrer Kunden. «Wer es wagt, fliegt raus, das ist fix!», sagt sie energisch. Auch beim Rauswerfen hat die Blondine Übung: «Es gibt immer wieder Männer, die sich einfach nicht benehmen können.» Auch allgemein hat die deutsche Stripperin kein gutes Bild von Männern: «Wenn überhaupt, sind höchstens zehn Prozent treu», ist sie überzeugt. Auch sei sie sich sicher, dass sie sich nie und nimmer in einen Kunden verlieben könnte. «Was will ich denn mit einem Mann, der sich einen Privat Dance bei anderen Frauen holt?» Der Chef habe für Chantal B. die entsprechende Bewilligung eingeholt. «Kürzlich hat uns sogar die Landespolizei an einem Abend besucht, um die Bewilligung zu kontrollieren», erzählt sie. «Bei allen Tänzerinnen waren die Papiere in Ordnung.»
Die Landespolizei macht zusammen mit dem Ausländer- und Passamt mehrere fasnachtsspezifische Kontrollen. Die Betriebe werden gleich mehrmals kontrolliert. «Wir waren bislang an zwei Abenden vor allem in dekorierten Lokalen auf Kontrollgang», sagt Kripo-Chef Jules Hoch. Kontrolliert wurden Arbeits- und Aufenthaltsbewilligungen sowie der Jugendschutz. «Alles war in Ordnung», sagt Jules Hoch.
Gemäss Strafgesetzbuch ist die Prostitution in Liechtenstein nicht erlaubt. Ob es in all den Separées auch beim blossen Bestaunen der nackten Körper bleibt, sei für die Landespolizei nur schwer zu kontrollieren. Deshalb wird die Prostitution sozusagen geduldet, solange sie nicht sichtbar ist und kein öffentliches Ärgernis darstellt. Die Polizei könne kaum etwas gegen die verborgene Prostitution tun. Man vermute, dass in den sogenannten Separées der Nachtclubs kaum nur Beine gezeigt werden, sagte Jules Hoch im Oktober im Rahmen einer Gesprächsrunde in Schaan.
Warum nicht nur Singles, sondern auch Männer, die in einer festen Beziehung oder Ehe sind, das Abenteuer mit Stripperinnen suchen, ist eine Frage an die Sexualtherapeutin und Sexualpädagogin Patricia Matt: «Die Gründe können vielfältig sein: Ein Übermass an Alkoholkonsum, etwas anderes erleben als mit dem eigenen Partner oder einfach nur etwas ‹Geiles› erleben wollen oder in der Enthemmtheit der Fasnachtszeit Sex ohne Bindung und Verpflichtung zu leben.» Schnell sind die Grenzen überschritten und die Ungehemmtheit endet nicht selten mit einem One-Night-Stand. Dies zeigt laut Patricia Matt auch die Erfahrung in dieser Zeit am deutlich höher frequentierten anonymen Beratungstelefon der fa6, die Fachstelle für Sexualfragen und HIV-Prävention. «Diese Beratungsgespräche unterstreichen, wie wichtig es ist, gerade in dieser närrischen Zeit die Safer-Sex-Regeln fest einzuplanen», macht Patricia Matt aufmerksam.
Für Chantal B. sind One-Night- Stands kein Thema, wie sie mehrmals betont. Auch für ihre Kolleginnen gilt das Prinzip: Kein Sex mit Kunden. «Ich verkaufe auch beim Tanzen den Männern nicht meinen Körper – sondern nur eine entsprechende Illusion.»
* Name von der Redaktion geändert