«Mich kann man nicht einfach verpflanzen»
Von Niki Eder (Text) und Daniel Schwendener (Bilder)
Herr Fritsche, alle Blicke liegen auf Ihnen. Wie sieht es an Tagen aus, an denen Marco Fritsche nicht ganz so gut gestylt ist? Haben Sie sich schon mal vermummt wie ein Hollywood-Star, damit Sie niemand erkennt?
Marco Fritsche: Je mehr man sich verkleidet, desto mehr wird man erkannt. Diesen Druck habe ich mir nie gemacht. Ich war schon ziemlich desolat unterwegs im Zürcher Nachtleben. Glücklicherweise hat das zu meinem früheren Rocker-Image sogar gepasst (lacht). Ausserdem bin ich es von meiner Jugend in Appenzell gewohnt, dass mich jeder kennt. Ich war eigentlich nie inkognito unterwegs.
Sie moderieren auf 3+ «Bauer, ledig, sucht...», dann haben Sie Ihre eigene Sendung «Fritsche» auf Tele Ostschweiz, stellen internationale Kleinkunst im Casinotheater Winterthur vor und sind als Moderator an diversen Events unterwegs. Wie bewältigen Sie diesen Termin- kalender?
Man muss schon aufpassen, dass keine Ermüdungserscheinungen auftreten. Zum Beispiel im vergangenen Jahr habe ich bis November ohne Ferien durchgearbeitet. Das machte sich schon bemerkbar und ich spürte, dass ich langsam ungemütlich werde. Ich kann nur nett sein, wenn es mir gut geht. Und dafür brauche ich Auszeiten.
Wie frei sind Sie denn in Ihren Entscheidungen, einen Job anzunehmen oder abzulehnen ?
Seit April diesen Jahres bin ich zu 100 Prozent Kleinunternehmer. Vorher war ich noch bei Tele Ostschweiz angestellt. Die Freiheit, mein eigener Chef zu sein, geniesse ich sehr. Ich habe grundsätzlich kein Problem, viel zu arbeiten, aber ich habe es nicht gerne, wenn mir jemand vorschreibt, was ich wann, wie und wo zu tun habe.
Und wo tanken Sie in Ihrer knapp bemessenen Freizeit Energie ?
In meiner Freizeit vergrabe ich mich im Appenzell. Ich fühle mich meiner Heimat sehr verbunden und erhole mich in dieser geschützten Umgebung am besten. Die Abwechslung zwischen meiner Wohnung in Zürich und dem elterlichen Bauernhaus ist ideal.
In Appenzell leben Sie im gleichen Haus mit Ihrer Mutter. Geht das gut, Mutter und Sohn unter einem Dach?
Absolut. Meine Mutter ist super. Sie ist eine einfache, sehr lebensbejahende Frau. Wenn ich nicht weiss, ob etwas eine gute oder schlechte Idee ist – gerade in Jobfragen – kann ich mich 100-prozentig auf ihr Urteil verlassen. Sie weiss, wie ich ticke.
Während Ihrer Tätigkeit als Moderator verschiedener TV-Formate haben Sie etliche Prominente getroffen. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?
Am meisten beeindruckt haben mich interessanterweise meist jene Personen, von denen ich es im Vorfeld am wenigsten erwartet hätte – wie zum Beispiel amtierende Missen. Mittlerweile arbeite ich sogar mit Ex-Missen zusammen, wie zum Beispiel Melanie Winiger für die Swiss Music Awards oder Christa Rigozzi für «Bauer, ledig, sucht...».
Und welche Begegnungen haben Sie am meisten enttäuscht ?
Oft waren die grossen Namen enttäuschend. Chris de Burgh war eines der grauenhaftesten Interviews meiner Viva-Zeit. Er benahm sich komplett arrogant und hat ständig meine Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche ergänzt. A-Ha war auch ziemlich übel – vor allem Morten Harket, den ich als Kind so toll fand. Natürlich verstehe ich, wenn Stars keine Lust mehr auf Interviews haben. Aber dann sollen sie es sein lassen.
Gibt es eine spezielle Person, die Sie einmal vor der Kamera interviewen möchten?
Grundsätzlich finde ich ältere Personen interessant, weil sie viel zu erzählen haben. Zum Beispiel die Appenzeller Kunstmalerin Roswitha Dörig. Sie zog als junge Frau aus, um sich ihren Traum zu erfüllen, Künstlerin zu werden. Kein einfacher Weg in jener Zeit. Heute ist sie eine international renomierte Künstlerin, die in Paris arbeitet und lebt.
Haben Sie eine besondere Affinität zu Kunst?
Ja, schon als ich angefangen habe, Geld zu verdienen, fand ich es cool, es in Kunst zu investieren. Mittlerweile habe ich bereits ein paar tolle Bilder und Fotografien ergattert. Da gehen meine sauer verdienten Franken schnell weg.
Auch Ihre Tätowierungen sind ein wahres Kunstwerk. Haben sie eine besondere Bedeutung?
Mit 24 Jahren entschied ich mich, dass ich eine Tätowierung wollte. Tribals kamen nicht in Frage, da sie damals jeder trug. Ich wollte etwas Besonderes und so stiess ich auf die japanisch-traditionelle Tätowierkunst. Sie hat Substanz, einen kulturellen Hintergrund und ist nicht nur eine Modeerscheinung. Damit kann ich mich identifizieren.
Sie stehen mit Ihrem Job in der Öffentlichkeit. Haben Sie sich diesen Aspekt überlegt, als Sie sich damals tätowieren liessen?
Das habe ich mir sogar sehr überlegt. Die Tätowierungen waren so etwas wie ein Akt der Auflehnung – im Sinne von: Ich lasse mich nicht völlig von meinem Job korrumpieren. Als Moderator wird einem gerne vorgeschrieben, was man darf und was nicht. Auch wenn ich den Job gerne mache, sollten meine Tätowierungen deutlich machen, dass es kein Wunschkonzert ist.
Hatten Sie schon mal Probleme, weil die Tätowierungen nicht in ein TV- Format passten?
Bei einer Anfangsstaffel von «Bauer, ledig, sucht...» war eine Realisatorin der Ansicht, dass man die Tätowierungen nicht sehen dürfe. Da wurde ich aber mal richtig laut auf dem Set. Ich liess sofort eine Telefonkonferenz einberufen und erklärte, dass ich so keinen Satz mehr vor der Kamera sagen würde. Und siehe da, am Ende war alles kein Problem.
Ich schätze am Schweizer Format sehr, dass die Bauern nicht so lächerlich dargestellt werden wie auf dem deutschen Privatsender. Hat das Schweizer Fernsehen diesbezüglich einfach mehr Niveau?
Die Macher von «Bauer, ledig, sucht...» haben schnell eingesehen, dass dieses Konzept in der Schweiz nicht funktioniert. Der Schweizer will sich nicht für seine Landsleute schämen. Er will höchstens ein bisschen mitleiden und sich vielleicht manchmal an den Kopf greifen. Dann braucht es unbedingt wieder eine Auflösung der Situation. Der Schweizer will sympathische Bauern, auf die er stolz sein kann.
Wie nahe gehen Ihnen die Schicksale der einzelnen Bauern? Leiden Sie mit?
Oh, ich leide sogar sehr mit – mit jedem einzelnen. Manchmal verfolgen mich meine Bauern sogar im Traum. Ich habe kaum einen Job gemacht, bei dem ich emotional so verwickelt war.
Eine Erfolgsgarantie für eine erfolgreiche Vermittlung der Bauern gibt es ja leider keine.
Da bleibt immer ein Fragezeichen. Aber bei vielen geht während der Dreharbeiten ein Knopf auf. Bauer Cony ist ein Paradebeispiel. Bei unserem Interview war er so schüchtern, dass er mir nicht mal in die Augen sehen konnte. Und mittlerweile ist er mit Natascha verheiratet und absolut cool unterwegs. Bei der Hochzeit hat er seine Frau sogar mit einem Flesh-Tunnel-Piercing überrascht, weil sie es an mir so schön gefunden hat. Ich war Trauzeuge. Da sehen Sie, wie emotional verwickelt ich bin.
Könnten Sie sich für sich persönlich vorstellen, über ein TV-Format nach der grossen Liebe zu suchen?
Nein, ich bin froh, das nicht vor der Kamera tun zu müssen. Aber dieser Meinung bin ich wahrscheinlich nur, weil ich Moderator bin. In diesem Job muss man eh schon genug exhibitionistisch veranlagt sein. Da gehe ich mit privaten Informationen lieber spartanisch um.
Mal ehrlich, wie gross ist der Nervfaktor, wenn Sie in jedem Interview auf das Thema Homosexualität angesprochen werden – wie jetzt auch?
Unterdessen nervt es mich eigentlich nicht mehr so. Nur wenn es gross in der Schlagzeile steht, bin ich nicht gerade erfreut, da es nichts mit meinem Beruf zu tun hat.
Haben Sie es schon mal bereut, dass Sie sich öffentlich geoutet haben?
Nein, denn man kann auch Unterstützung bieten. Zum Beispiel werde ich immer wieder von Menschen, die kurz vor dem Outing stehen, oder von Eltern, die homosexuelle Kinder haben, um Rat gefragt. Ich sage immer, dass das Ganze nicht verkompliziert werden sollte. Mein Onkel, der selbst homosexuell ist, sagte einmal zu mir: «Homosexualität ist weder eine Schande noch ein Adelstitel. Man darf sich nichts darauf einbilden, aber man muss auch nicht das Gefühl haben, dass man sich verstecken muss.» Das finde ich eine sehr gute Haltung. Leider sind nicht alle dieser Meinung.
Denken Sie nicht, dass mit der jungen Generation mehr Toleranz ins Spiel kommt?
Ich bin mir nicht sicher. Ich habe schon heftige Diskussionen mit jungen Menschen geführt. Viele sprachen sich zum Beispiel für das Partnerschaftsgesetz aus. Beim Thema Adoption hörte aber die Toleranz auf. Dabei geht es ja nicht darum, dass man irgendwem irgendwelche Kinder stiehlt. Sondern es werden Kinder adoptiert, die kein Zuhause haben. Denen geht es bei gleichgeschlechtlichen Paaren allemal besser als in einem Heim.
Was kann man auf dem Weg zu mehr Toleranz tun?
Mir scheint, es herrscht die Angst, dass die Homosexuellen die Weltherrschaft übernehmen könnten. Diese Angst dürfen wir nicht schüren. Je lauter man als Gruppierung wird, je mehr beschweren sich die Gegner wegen des Lärms. Die Geschichte lehrt uns, dass alles Extreme nicht gesund ist – egal ob es religiöse Anhänger oder Homosexuelle sind. Jede Gruppierung sollte sich so verhalten, dass es für die anders denkende Umwelt erträglich ist.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Wo sehen Sie sich in 20 Jahren?
Auf jeden Fall nicht mehr als Moderator vor der Kamera. Als ich 2009 zu meinem 10-Jahre-TV-Jubiläum den Ostschweizer Medienpreis überreicht bekam, beschloss ich, dass dies meine Halbzeit sein würde. Nach der wunderbaren Laudatio von Kurt Felix sagte ich zu meiner Mutter: «Eigentlich sollte ich jetzt sofort den Job hinschmeissen, denn so gut wird nie mehr jemand von mir reden.» Ich bin sowieso der Meinung, dass das Leben viel zu kurz ist für nur einen Job. Mich würde noch vieles andere interessieren.
Was zum Beispiel?
Ein Studium der Anglistik und Geschichte. Aber höchstwahrscheinlich fehlt mir dafür das nötige Sitzleder (lacht). Ich habe ja bereits mein Publizistik-Studium abgebrochen, weil ich viel lieber arbeitete als im Hörsaal zu sitzen. Ansonsten fände ich Dokumentationsfilme ein spannendes Thema. Ich könnte mir gut vorstellen, einmal auf der anderen Seite der Kamera zu stehen, als Redaktor oder Realisator von Geschichten, die ich als erzählenswert empfinde. Pläne funktionieren bei mir eh nicht. Ich mache meistens das im Leben, was ich nicht unbedingt wollte. Finde es dann aber völlig o. k., wenn ich drinstecke (schmunzelt).
Ein Ausflug in die deutsche Fernsehwelt würde Sie nicht reizen?
Ich denke, ich bin zu alt, um Klinken zu putzen und wieder von ganz unten anzufangen. Ausserdem müsste ich einen Job haben, der es mir erlaubt, mindestens einmal im Monat nach Appenzell zurückzukehren. Mich kann man nicht einfach nach Köln oder Berlin verpflanzen.
Somit ist wohl eines klar, in 20 Jahren werden Sie ...
... auf jeden Fall immer noch in Appenzell wohnen.