Es ist eine Frage der Lebenseinstellung
Herr Jermann, heute spricht jedermann von guten Zinssätzen, was heisst das konkret?
Rolf Jermann: Wenn man in die 80er- und Anfang 90er-Jahre zurückblickt, lagen die Zinsen im Bereich von 6,5 und 7 Prozent. Festsatzhypotheken waren sogar noch höher. 5 Prozent erachtete man daher als einen guten Hypothekarzins. Heute erhält man beispielsweise eine fünfjährige Festssatzhypothek für rund 1,5 Prozent. Die Zinsen befinden sich historisch betrachtet immer noch nahe den rekordtiefen Niveaus.
Wie lange kann mit den tiefen Hypothekarzinsen noch gerechnet werden?
Zinsentwicklungen zu formulieren, ist sehr herausfordernd. Die Vermischung realer Fakten und emotionaler Empfindungen führt dazu, dass Prognosen fast täglich variieren. Die Europäische Zentralbank versucht zurzeit, gute Stimmung zu machen, während Jean-Claude Juncker, scheidender Vorsitzender der Euro-Gruppe, bezüglich der niedrigen Zinsen eher zur Vorsicht mahnt. Gemäss unseren Experten gibt es allerdings keine Anzeichen dafür, dass die Zinsen in den kommenden Monaten merklich ansteigen.
Welche Faktoren sind ausschlaggebend für die tiefen Zinsen?
Die tiefe Inflation und eine relativ stabile Schweizer Wirtschaft. Zudem ist keine Geldschöpfung vorhanden. Das heisst, die Banken verfügen über ausreichend Liquidität. Auch die Schweizerische Nationalbank hält die Liquidität hoch und stellt den Banken ausreichend Geld zur Verfügung. Die Währungsthematik spielt auch eine Rolle – es gilt, den Euro über 1,20 Franken zu halten.
Welche Auswirkung hätten steigende Zinsen für den Kreditnehmer und welche für die Bank?
Bei steigenden Zinsen sinkt erfahrungsgemäss der Konsum, denn damit verändert sich die Zinsbelastung für den Kreditnehmer. Bei einem allzu starken Anstieg der Zinsen könnte die Tragbarkeit nicht mehr oder nur noch teilweise gegeben sein. Entsprechend würden ausserordentliche Amortisationen ausbleiben, womit letztlich weniger Geld für neue Kredite zur Verfügung stünde. Dies könnte sich negativ auf die Immobilienpreise auswirken.
Lohnt es sich durch die momentan begünstigte Zinslage, eine Immobilie zu erwerben?
Grundsätzlich ja, denn im aktuellen Umfeld ist Kaufen oftmals günstiger als Mieten. Gleichzeitig steht ausser Frage, dass die Zinsen irgendwann wieder ansteigen werden. Die Tragbarkeit der Schuldenlast muss auch dann gegeben sein. Zudem muss dem Käufer bewusst sein, dass man sich durch den Erwerb einer Immobilie fester bindet als dies im Mietverhältnis der Fall ist. Es ist somit auch eine Frage der Lebenseinstellung, der beruflichen und familiären
Situation.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung der Immobilienlandschaft Liechtensteins?
Bei der VP Bank war die Nachfrage nach Hypotheken im letzten Jahr so hoch wie nie zuvor. Bezogen auf Liechtenstein sind wir in unseren Bewertungen jedoch vorsichtiger geworden. Es macht für uns einen Unterschied, ob die Liegenschaft gewerblich genutzt wird, oder ob ein Einfamilienhaus gebaut wird. Bei Wohnliegenschaften sind wir noch verhalten optimistisch. Den Markt für gewerblich genutzte Liegenschaften erachten wir mittlerweile als gesättigt.
Weshalb stehen mehrere Liegenschaften zum gewerblichen Gebrauch leer? Besteht da schlichtweg keine Nachfrage?
In Liechtenstein war man sich über Jahre hinweg gewöhnt, zu bauen im Wissen, dass alles bereits vermietet oder verkauft ist. Im gängigen Schweizer Immobilienmarkt würde man so etwas als «lucky punch» bezeichnen. In der Schweiz ist ein Objekt bei Baubeginn vielleicht zu 40 bis 50 Prozent vermietet, es wird also grundsätzlich mit anfänglichen Leerständen gerechnet.
Wie könnte die gewerbliche Situation wieder verbessert werden?
Die politische Stossrichtung geht klar in Richtung «Aufbau eines Werkplatzes Liechtenstein». Wenn es gelingt, zunehmend neue Firmen in Liechtenstein anzusiedeln, dann hat auch der gewerbliche Teil zukünftig wieder bessere Chancen. Aber das ist ein sehr langer Weg. Mit Steuern etc. gestaltet das Land einen attraktiven Werkplatz, doch der Erfolg wird sich erst in ein paar Jahren einstellen.
Ist ein Szenario, wie es sich in Spanien oder Griechenland abspielt, hierzulande auch denkbar?
Nein, denn wir befinden uns in Liechtenstein und in der Schweiz in einer sehr guten Situation, was die Verschuldung der Privaten anbelangt. Auf der anderen Seite haben wir ein äusserst gut funktionierendes Bankensystem. Die hiesigen Banken haben ihre Hausaufgaben bezüglich Bewertungen von Liegenschaften gemacht. Daher ist ein solches Szenario völlig auszuschliessen.
Sie sehen in Liechtenstein also keine Blasenbildung am Immobilienmarkt?
Bei den Immobilien hatten wir im Land einen permanenten Preisanstieg über die letzten 50 Jahre, das ist Fakt. Es handelt sich jedoch nicht um einen überrissenen Anstieg. Ein reger Immobilienhandel könnte zu einer Blase führen, doch ein solcher ist weder in der Schweiz noch in Liechtenstein flächendeckend existent. Es ist eher mit einem Abflachen der Preiskurve zu rechnen.
Können Sie ein Beispiel für eine typische Immobilienblase nennen?
Ende der 80er-Jahre gab es in der Schweiz eine Immobilienblase. Liegenschaften wurden gekauft und oft noch am selben Tag mit einem satten Gewinn weiterverkauft. Durch die rege Nachfrage einerseits und ein hohes Angebot andererseits hat sich die Spirale zu drehen begonnen und die Preise stiegen in die Höhe. Heute verkaufen die Leute sowohl in Liechtenstein wie in der Schweiz kaum ihre Liegenschaften.
Weshalb wird nicht verkauft?
Beim Verkauf einer Immobilie fallen Steuern an. Diese nehme ich dann in Kauf, wenn ich die frei gewordenen Mittel sinnvoll reinvestieren kann. Da zu wenige attraktive Liegenschaften auf dem Markt sind, die Verzinsung auf dem Sparkonto gering ist und viele noch immer der Börse gegenüber skeptisch sind, bleiben die Investoren in ihren bisherigen Liegenschaften-Investments. «Da weiss man was man hat.»
Welche Überlegungen macht sich das Geldinstitut bei der Kreditvergabe?
Klassisch wird zwischen Kreditfähigkeit und -würdigkeit unterschieden. Also, ist der Kunde in der Lage, Zinsen und Amortisationen zu leisten? Das überprüfen wir mit der Tragbarkeitsberechnung, sprich der Gegenüberstellung von Lasten aus dem Kredit und dem Einkommen. Die Kreditwürdigkeit beurteilt die Person des Schuldners, aber auch die Sicherheiten, in diesem Fall die Liegenschaft.
Nach welchen Kriterien wird von der Bank eine Hypothek für den Kauf einer Immobilie gewährt?
Die Bank bewertet das Bauobjekt nach Grösse, Ausbaustandard, Landanteil, Alter der Liegenschaft sowie deren Zustand. Zudem muss die Bank wissen, welchen Eigenmittelumfang der Bauherr hat und ob die Tragbarkeit mit dem kalkulatorischen Zinssatz als Sicherheitsmarge eingehalten werden kann.
Die Tragbarkeit ist also der wesentliche Anspruch der Bank?
Unabhängig davon, ob eine Firma oder eine Privatperson einen Kredit beansprucht: Für die Bank steht an erster Stelle, ob die Tragbarkeit durch den Kunden gegeben ist. Für den Kunden heisst das, kann er die Zinsen und die Amortisationen sowie die Nebenkosten wie Versicherungen, Elektrizität, Heizung, Wasser, Reparaturen zahlen. Der zweite relevante Faktor ist das Eigenkapital. Es muss eine gesunde Verhältnismässigkeit bestehen zwischen dem, was der Kunde an Eigenkapital einbringt, und dem, was die Bank belehnt. Erfahrungsgemäss ist eine Belehnung von 80 Prozent durch die Bank realistisch. Die Kredithöhe richtet sich primär nach der Tragbarkeit für den Kunden und zusätzlich nach der Objektbeurteilung.
Wie sieht das im Fall eines Neubaus aus? Welche Voraussetzungen müssen hier gegeben sein, um als Kunde einen Baukredit beantragen zu können?
Wenn jemand ein Bauvorhaben umsetzen möchte, benötigt die Bank für die professionelle Beurteilung eine gute Dokumentation. Angefangen von den Bauplänen über Kostenvoranschlag, Handwerkerverzeichnis bis hin zur Baubewilligung.
Welche Folgen hat es für den Kunden, wenn die Baukosten überschritten werden?
Der Kunde sollte umgehend das Gespräch mit der Bank suchen, um die Finanzierung der Kostenüberschreitung sicherzustellen. Es stellt sich die Frage, ob insgesamt Kosten eingespart werden können oder ob es eine Anschlussfinanzierung braucht. Für letztere ist wiederum ein Kreditbewilligungsprozess bezüglich Tragbarkeitsbeurteilung, weiterem Einsatz von Eigenmitteln, Objektbewertung etc. erforderlich.
Gibt es andere Möglichkeiten als einen Bankkredit, um ein Haus zu finanzieren?
Ja, beispielsweise bei Nicht-Geldinstituten wie Pensionskassen. Zudem gibt es die Möglichkeit – wenn auch nicht in Liechtenstein – bei Versicherungsgesellschaften eine Hypothek zu erhalten. Dabei muss man sich allerdings bewusst sein, dass man ein reines Produkt abholt. Es gibt weder Beratung noch Unterstützung durch diese Kreditgeber. Zudem ist der Kunde dort stark in der Belehnungshöhe eingeschränkt. Eine weitere Möglichkeit, um sein Eigenheim zu finanzieren, kann auch ein Erbvorbezug innerhalb der Familie sein.
Welche Unsicherheiten haben neue Bauherren beim Hausbau?
Jeder, der das erste Mal in eine Liegenschaft einsteigt, hat gewisse Unsicherheiten. Man weiss nicht, welche Kosten auf einen zukommen, wie es steuerlich vor sich geht und welche Unterhaltsarbeiten und Reparaturen zu Mehraufwendungen führen. Im persönlichen Gespräch mit dem Kundenberater lassen sich die entscheidenden Fragestellungen jedoch oftmals klären.
Welche Tipps können Sie jungen Bauherren geben?
Die Zinsen sind momentan zwar tief, gerechnet werden sollte jedoch mit einem Niveau von 4,5 Prozent. Mit diesem kalkulatorischen Zinssatz rechnet auch die Bank. Mein Tipp für die Kreditnehmer ist somit Sparen, damit sie nicht an ihre Grenzen stossen.
Was ist die 1. und 2. Hypothek?
Die Belehnung bis 66 Prozent erfolgt mit einer 1. Hypothek. Hier geht die Bank grundsätzlich davon aus, dass sie diese Belehnung zurückerhält, sollte das Objekt verkauft werden. Die 2. Hypothek entspricht der Differenz zwischen 66 und 80 Prozent. Da hier unter anderem das Risiko erhöht ist, muss die zweite Hypothek in einer Zeitspanne von 15 Jahren abbezahlt werden. Die Bank verlangt vom Kunden in der Regel jedoch nicht, dass er die erste Hypothek amortisiert.
Was kann man sich unter Zinsbindung vorstellen?
Bei einer Zinsbindung wird mit der Bank ein fixer Zinssatz über eine bestimmte Periode fixiert. Wenn man davon ausgeht, dass die Zinsen in nächster Zeit ansteigen werden, dann ist es sinnvoll, den Zinssatz bereits heute via Festsatzhypothek zu fixieren. Besonders beliebt sind Laufzeiten von vier bis fünf Jahren, da diese dem Wirtschaftszyklus am ehesten Rechnung tragen. Da mit einer Festsatzhypothek der Zinssatz über die gesamte Laufzeit unverändert bleibt, ist die Zinsbelastung – im Gegensatz zu einer Geldmarkthypothek – somit klar budgetierbar. Die Erfahrung zeigt, dass hauptsächlich junge Bauherren meistens an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gehen. Sich über einen bestimmten Zeitraum abzusichern, ist hier sicher kein Fehler, wobei zu bedenken gilt, dass ein allfälliger frühzeitiger Ausstieg teuer zu stehen kommen kann.
Stichwort Geldmarkthypothek, wie funktioniert diese?
Wer eher spekulativ vorgehen möchte, kann aktuell durchaus noch von der zinsgünstigen Geldmarkthypothek profitieren. Die VP Bank bietet die Möglichkeit, bei Anzeichen eines Zinsanstiegs einmalig und kostenlos in eine Festsatzhypothek zu wechseln. Da die Geldmarkthypothek jedoch immer wieder nur auf einen gewissen Zeitraum fixiert werden kann, beispielsweise auf 6 Monate hinaus, besteht grundsätzlich das Risiko, dass allfällige Zinsanstiege mitgenommen werden
müssen.
«Risikobewusste Kunden wählen in der Regel ein Splitting von zwei unterschiedlichen Laufzeiten», kommentierten Sie in Ihrer Gastkolumne im «Liechtensteiner Vaterland». Wie sieht so ein Splitting aus, und für welche Kunden kommt es infrage?
Nehmen wir an, der Kunde hat sich entschieden eine Hypothek aufzunehmen und stellt sich nun die Frage, welche Hypothekarform er wählen soll. Bei Erwartung von steigenden Zinsen schliesst man eher eine Festsatzhypothek ab, bei Erwartung von gleichbleibenden oder sogar leicht sinkenden Zinsen tendiert man zu einer variablen Hypothek oder einer Geldmarkthypothek. Da jedoch niemand mit Sicherheit weiss, wie sich die Zinsen entwickeln werden, ist ein Splitting der Kreditsumme sinnvoll. Um das Risiko eines raschen Zinsanstiegs zu streuen, empfehlen wir einen Teil der Finanzierung durch eine Festsatzhypothek abzudecken. Dabei würden wir zwei oder mehrere unterschiedliche Laufzeiten wählen, um künftige Zinsschwankungen möglichst optimal zu glätten. Denkbar ist natürlich auch die Kombination einer Festsatzhypothek mit einer Geldmarkthypothek. So erwischt man zwar nicht den besten Zinssatz, läuft aber auch nicht Gefahr, dass man Hochzinsphasen vollends mittragen muss. Wichtig ist, dass es beim Abschluss einer Hypothek für den Kunden stimmt. (lb)
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