«Staubsaugen erledige ich immer noch selber»
Herr Geisser, wie kamen Sie dazu, sich mit Zen-Buddhismus zu beschäftigen?
Marcel Geisser: Ungefähr so überraschend wie die Jungfrau zum Kind. In meinem Umfeld oder meiner Familie wusste niemand etwas von Zen oder Buddhismus. Dennoch war da ganz eindeutig ein Ruf – daher kommt wohl auch das Wort Berufung, also von tief innen heraus.
Am 24. März sind Sie von der Gesundheitskommission der Unterländer Gemeinden als Referent eingeladen. Worüber werden Sie Auskunft geben?
Über die Paradoxe des Lebens: Wie kommt es, dass wir durch das Bewusstwerden der Vergänglichkeit nicht melancholisch oder depressiv werden, sondern die Kostbarkeit des Lebens wertschätzen und geniessen lernen? Wie kann Achtsamkeit uns aus Oberflächlichkeit oder Depression befreien? Ist Glücklichsein ein Zufall?
Ganz kurz: Was ist Zen?
Das Leben selbst. Doch sehen wir oft nicht, wie es wirklich ist. Zen bedeutet auch, die Welt wirklich anders zu sehen, ansonsten würde ich Zen ja nie gerecht. Wäre da nicht die Sicht in die grössere Dimension des Lebens, so wäre ich ein Psychologe oder ein Sozialarbeiter – was nicht mehr oder weniger wert wäre! Aber es wäre nicht Zen.
Wie viel Glaube steckt hinter Zen? Betet man hier auch Gottheiten an oder hat es nichts mit religiösen Autoritäten zu tun?
Glaube oder Vertrauen? Sicher, es braucht Vertrauen in die Einsichten des Buddha, damit wir sie selbst nachzuprüfen und zu erkunden bereit werden. Zen heisst nicht blinder Glaube, sondern im Gegenteil: die Dinge und den eigenen Geist selbst zu erforschen. Auch wenn wir nicht an Gottheiten glauben, so ist uns doch bewusst, dass wir gemeinsam mit dem ganzen Kosmos verbunden sind.
Welche Glaubensrichtung geben Sie an, wenn Sie nach Ihrer Konfession gefragt werden?
Buddhismus.
Wie sieht ein Tag im Leben eines Zen-Meisters aus?
Ich bin eine Lerche und damit stehe ich sehr früh auf, trinke einen Tee oder Kaffee und setze mich zur Meditation, rezitiere die Texte unserer Tradition. Danach kommt viel Schreibarbeit: Täglich warten viele E-Mails auf Antwort. Dann hat unsere Stiftung zwei Liegenschaften und damit zwei grosse, parkähnliche Gärten, die ich selbst bewirtschafte und pflege. Unter der Woche sehe ich kaum Menschen, an den Wochenenden gebe ich Medi-tationskurse.
Was kann der Zen-Buddhismus, was europäische Religionen nicht können?
Die beste Antwort geben wohl die vielen Christen, die heute Zen praktizieren. Kaum ein christliches Kloster, in dem nicht Zen-Meditation praktiziert wird. Buddha war ein enorm praktischer Mensch, er hatte nicht nur einen tiefen Einblick ins Wesen des Bewusstseins, sondern hat diese auch in Form von bis heute praktikablen Übungen und Hilfsmitteln an uns weitergegeben. Zen steht in einer überlieferten und lebendigen Tradition des Buddha.
Wie fühlt man sich mit der Autorität, ein Zen-Meister zu sein?
Staubsaugen, den Boden aufnehmen und den Abwasch erledige ich immer noch selber.
Viele Europäer werden von der asiatischen Mystik angezogen. Ist es nicht schwierig, Zen als Trend wie ein Hobby auszuüben?
Solange Zen ein Hobby bleibt, offenbart es uns kaum, was es zu bieten hat. Zen kann aber unser Leben werden. Dennoch: in einer Höhle mag für viele Tausend Jahre Dunkelheit geherrscht haben. Es bedarf nur eines Augenblicks des Lichtes, und die Dunkelheit ist verschwunden.
Sie haben ein Meditationszentrum und einen wachsenden Kundenstamm. Sie schreiben Bücher und lehren die Menschen. Dies sind finanziell sicher einträgliche Geschäfte?
Mit «Spiritualität», Stress, Burn-out und Meditation lassen sich gute Geschäfte machen. Wir bieten unsere Kurse jedoch zu reinen Selbstkostenpreisen an, für die Verpflegung sorgt jemand aus unserer Gemeinschaft unentgeltlich, als Übung von Grosszügigkeit. Die Lehrenden bei uns leben nach dem sogenannten Dana-Prinzip: also auf reiner, anonymer Spendenbasis, als eine Übung eines «Lebens in Unsicherheit». Die Landeskirchen klagen zwar über einen abnehmenden Kundenstamm, sie bieten ihren Seelsorgern dennoch eine beachtliche finanzielle Absicherung. (mw)
Persönlich
Marcel Geisser, Jahrgang 1952, ist Zen-Meister in der Tradition der Sati-Zen-Sangha. Er praktiziert seit 1968 Zen und Vipassana und lernte bei mehreren Meistern in Asien, Europa und den USA. Seine wichtigsten Lehrer waren ausser Thich Nhât Hanh (der ihn 1994 zum Dharmachãrya autorisiert hat) der indische Meditationslehrer Goenka, Zen-Meister Ku San in Südkorea und Joseph Goldstein/USA. Ausgebildet in Gestalttherapie und Bioenergetischer Analyse, leitete er 17 Jahre lang Gruppen in humanistischer Psychologie. Er gibt seit 1983 Zen- und Vipassana-Kurse. 1986 gründete er das Meditationszentrum Haus Tao und ist seit 1990 vollamtlicher Dharmalehrer.
Weitere Infos: www.haustao.ch
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