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Mit dem Glauben im Gepäck auf Lebensreise

Pfarrer Johannes Jung ist ein Mensch, der Herausforderungen sucht ? als Theologiestudent entschied er sich gegen die Kirche seines Vaters. Als Armeeseelsorger war er im Afghanistan-Einsatz und vergangenes Jahr hat er eine Stelle in einem Land angenommen, welches seine Kirche nicht einmal anerkennt.

«Ich bin ein Heimatloser», erzählt Johannes Jung irgendwann während des Interviews mit der «Liewo». Die Unterhaltung mit ihm ist intellektuell und fordernd, gleichzeitig aber auch leicht und vertraut. Er erzählt über die Herausforderungen seines Berufes, die Zeit als Militärseelsorger bei einem Afghanistan-Einsatz und weshalb er sich selbst überhaupt als heimatlos bezeichnet. Johannes Jung ist ein angenehmer Gesprächspartner, was er sagt, hat Gewicht und ist wohlüberlegt. Offen spricht er über sein Leben und seine Erlebnisse ? ein Rollentausch der besonderen Art, denn für gewöhnlich ist er nicht der Erzähler von Lebensgeschichten, sondern derjenige, der ihnen lauscht. Denn als Pfarrer der evangelischen Kirche Liechtenstein ist dies unter anderem seine Aufgabe.

Eine rastlose Kindheit

«In meinem Leben habe ich nie länger als siebeneinhalb Jahre an einem Ort gewohnt. Das Wort Heimat kann ich mit keiner Stadt und keinem Dorf verbinden ? das ist der Grund, weshalb ich mich selbst als Heimatloser bezeichne», führt Johannes Jung weiter aus. Mit seinen Worten will er jedoch kein Mitleid heischen, sondern vielmehr das Ergebnis seiner rast­losen Kindheit beschreiben. Bedingt durch den Beruf seinen Vaters, hatte Jung in seiner Kindheit nämlich so manchen Wohnortwechsel miterlebt. So hat er in der Stadt Giessen, wo er geboren wurde, nie gelebt. Die ersten Jahre seines Lebens verbrachte er in Gummersbach in der Nähe von Köln. Als Fünfjähriger zog er mit seiner Familie nach Berlin, nur um wenige Jahre später nach Bremen und dann nach Bochum weiterzureisen.
Am ehesten wäre die Ruhrstadt Bochum noch jene Station in seinem Leben gewesen, welche einer Heimat wohl am nächsten kommt. Hier hat er die eben erwähnten siebeneinhalb Jahre verbracht. Hier hat er sein Abitur abgelegt und die Entscheidung gefällt, Pfarrer zu werden. Und vor allem hat er hier auch seine Frau getroffen. «Als ich Beate kennengelernt habe, war ich 16 Jahre alt. Wir waren beide im gleichen kirchlichen Bläserchor», berichtet der heute 51-Jährige schmunzelnd. Sie habe Waldhorn gespielt, er Trompete.
Mittlerweile sind die beiden schon seit über 28 Jahren verheiratet, mit Beate hat er eine Gefährtin gefunden, die ihn auf seiner Lebensreise begleitet. Eine Reise, in der Bochum eben nur eine Zwischenstation war und die ihn letztlich über Afghanistan bis nach Liechtenstein führte.

Der Sohn eines Pfarrers

Nachdem Johannes Jung in Bochum sein Abitur ablegte, zog er nach Wuppertal, wo er sein Theologiestudium in Angriff nahm. Religion und Glaube spielten in Jungs Leben schon immer eine wichtige Rolle ? nicht zuletzt auch weil sein Vater selbst als Pfarrer tätig war. Auf die Frage, ob dieser daran «schuld» sei, dass auch er eine ähnliche Laufbahn eingeschlagen habe, meint Jung lachend: «Da müsste man wohl einen Tiefenpsychologen fragen ? aber mein Vater hat mich bestimmt geprägt und ich kann mir schon vorstellen, dass sein Werdegang auch den meinen beeinflusst hat.»
Ganz in die Fussstapfen seines Vaters ist der gebürtige Hesse jedoch nicht getreten. Während Karl Jung einer baptistischen Freikirche angehörte, ist Johannes Jung heute Pfarrer der evangelischen Kirche. Eine ungeahnte, aber dennoch glückliche Wendung aus Sicht des heute 51-Jährigen: «Eine Freikirche setzt voraus, dass man irgendwann die bewusste Entscheidung trifft, in die Kirche einzutreten. Als Jugendlicher habe ich mich stets gefragt: Bin ich fromm genug? Bin ich weit und bekehrt genug für diesen Schritt? All diese Fragen haben mich nie wirklich fröhlich sein lassen», erzählt er. Das stetige Hinterfragen habe ihn in eine Krise gestürzt. Eine Krise, die er dank seines Theologiestudiums bewältigen konnte und die letztlich dazu führte, dass er seine Kirchenzugehörigkeit wechselte. «Heute bin ich ein fröhlicher Christ. In meinem Studium habe ich entdeckt, dass ich mich auf das, was unabänderlich ist und auf das, was mir geschenkt wurde, verlassen darf. Diese Entwicklung und das damit verbundene Vertrauen haben mich sozusagen von meiner Ursprungskirche wegzogen und zur evangelischen Kirche gebracht.»

Raketen und Minen

Im Jahr 1992 promovierte Jung zum Doktor der Theologie und im Oktober des gleichen Jahres wurde er ordiniert. Als Vikar und Pfarrer war er in verschiedenen Kirchengemeinden in Deutschland tätig, bevor er 1999 Armeeseelsorger wurde. «Als ich das Angebot bekam, als Bundeswehrpfarrer tätig zu werden, konnte ich mir das anfangs überhaupt nicht vorstellen», erzählt er. Doch als er sich über die Tätigkeit als Militärgeistlicher genauer informierte, habe er festgestellt, dass ihn die Herausforderung durchaus fasziniere. Und so kam es, dass er Pfarrer bei der deutsch-französischen Brigade des Eurokorps wurde und mit Ausnahme vom Dienst an der Waffe dasselbe Ausbildungsprogramm durchlief wie seine Soldaten.
Schon damals war Jung bewusst, welche Konsequenzen diese Entscheidung mit sich bringen würde. «Man kann nicht A sagen und dann nicht B sagen wollen. Mir war klar, dass ich mit meinen Soldaten irgendwann auch in einen Militäreinsatz geschickt werde.» Im Juli 2004 war es dann so weit und Johannes Jung und seine Schützlinge wurden nach Afghanistan gesandt. Mehr als ein halbes Jahr leistete er in dem krisengebeutelten Land Dienst. Raketen am Himmel und Minen am Boden gehörten zum Alltag. Täglich war man der Gefahr ausgesetzt, einem Anschlag zum Opfer zu fallen und wurde mit Todesfällen konfrontiert, die einen persönlich berührten. Eine Situation, die Menschen Unmenschliches abverlangt und in der so mancher Soldat an seine Grenzen stösst. Johannes Jung war für diese Soldaten da ? nicht als belehrender Geistlicher, sondern vielmehr als Gesprächspartner. Bei ihm durften die Soldaten Mensch sein und Dinge aussprechen, die ausserhalb des Kirchenzelts keinen Platz fanden.

Die Rückkehr in die Realität

Heute bezeichnet Johannes Jung seinen Einsatz in Afghanistan als die intensivste Zeit seines Lebens. Nach seiner Rückkehr sei es ihm schwergefallen, wieder in den Alltag zurückzufinden: Beim pfeifenden Geräusch der Kreissäge eines Nachbars schaute er instinktiv nach oben ? er rechnete damit, dass eine Rakete im Anflug war. Beim Spaziergehen mit seiner Frau geriet er in Panik, sobald ein Stopp eingelegt wurde ? denn wer stehen bleibt, bietet ein perfektes Angriffsziel. Und als er seine Söhne auf dem Rasen Fussball spielen sah, stürzte er sich auf sie und warf sie zu Boden ? auf dem unbefestigten Boden vermutete er Minen. «Ich musste erst lernen, wieder in dieser Realität anzukommen», erklärt er. Und das hat er glücklicherweise auch geschafft. Wenn er heute an seine Zeit in Afghanistan zurückdenke, so würden ihn nicht die Erinnerungen an die extremen Situationen prägen, sondern die Arbeit mit den Soldaten. Und trotzdem, einige Macken sind ihm geblieben: So klopft er noch heute seine Stiefel aus, bevor er sie anzieht ? auch wenn es in Liechtenstein keine frei lebenden Skorpione gibt. «Solange mich diese Eigenarten in meiner Lebensqualität nicht einschränken und auch meine Familie nicht belasten, will ich damit zufrieden sein», gibt er sich versöhnlich.

Sein Leben in Liechtenstein

Nach seinem Einsatz in Afghanistan verschlug es Johannes Jung und seine Familie über einige Zwischenstationen ? wie könnte es auch anders sein ? nach Liechtenstein. Im April des vergangenen Jahres übernahm er die Stelle als Pfarrer der evangelischen Kirche und ist seither für rund 2600 Gemeindemitglieder zuständig. «Ich empfinde die Aufgabe hier in Liechtenstein als herausfordernd und sehr reizvoll», begründet er seinen Stellenantritt. Nicht zuletzt auch, weil seine Kirche in Liechtenstein nicht anerkannt wird. So fehlen beispielsweise viele Strukturen, die der Pfarrer aus Deutschland und der Schweiz gewohnt ist: «Von offiziellen Stellen erhalte ich beispielsweise keine Daten über Neuzuzüge ? dabei erwarten evangelische Christen aus Deutschland und der Schweiz, dass ihre Kirche sich nach einem Zuzug bei ihnen meldet. Und wenn jemand aus meiner Gemeinde verstirbt, dann werden in der Regel meine katholischen Kollegen informiert, da sie für das Organisatorische zuständig sind», erklärt Jung die Sondersituation, in der er sich wiederfindet. Es sei daher manchmal recht hinderlich, nicht zum «richtigen» Pfarramt zu gehören ? wie dies ein unvorsichtiger Gemeindemitarbeiter einmal ausdrückte.
Trotz oder gerade wegen dieser erschwerenden Umstände mag der Pfarrer seine Arbeit in Liechtenstein. «Die Menschen hier sind sehr freundlich und ich fühle mich hier wohl.» So wohl, dass er sich sogar vorstellen kann, für eine längere Zeit als siebeneinhalb Jahre seine Zelte aufzuschlagen. «Alle meine Vorgänger waren mehr als 15 Jahre im Amt ? das könnte ich mir auch gut vorstellen», sagt er mit einem Augenzwinkern. Und wer weiss, vielleicht kann der bisher heimatlose Johannes Jung einmal von sich behaupten: «In Liechtenstein habe ich meine Heimat gefunden.» (sb)

Steckbrief
Name: Johannes Jung
Wohnort: Vaduz
Alter: 51
Beruf: Pfarrer
Leibspeise: Nudelauflauf
Getränk: Kaffee
Musik: Wolfgang Amadeus Mozart, aber auch Leonard Cohen und Mark Knopfler
Lektüre: Zurzeit Jonas Jonassons «Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand» sowie Johannes Calvins «Institutio Religionis Christanae»
Stadt/Land? Stadt
Sommer/Winter? Sommer
Lieblingsort: Bei meiner Familie
Stärke: Einige meiner Schwächen zu kennen
Schwäche: Dies oder das für meine Stärke zu halten
Kontakt: pfarramt@kirchefl.li

 

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