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«Klare Kompetenzen führen zu Effizienz»

Morgen lädt die Flüchtlingshilfe Liechtenstein zur Feier zum Gedenken an den Weltflüchtlingstag. Die «Liewo» sprach mit Geschäftsführer Thomas Lendi über aktuelle Herausforderungen und die Asyl-Abstimmung in der Schweiz.

Herr Lendi, wo sind die aktuellen Brennpunkte, wenn es um die Flucht von Menschen geht?

Thomas Lendi: Mit dem grössten Appell aller Zeiten machte die UNO diese Woche auf die Millionen Vertriebenen allein im Syrienkonflikt aufmerksam. Viele Krisenherde auf der Welt schwelen konstant, die Tendenz dazu ist eher zunehmend. Verstärkt wird diese Tendenz durch die Radikalisierung der Religionen einerseits, welche auch politisch ausgetragen wird, aber auch durch wirtschaftliche Krisen. Die Einschätzungen der UNO gehen von stark steigenden Zahlen von bedrohten Personen weltweit aus.

Wie ist das Verhältnis zwischen den Flüchtlingen und denen, die effektiv nach Europa gelangen?

Gemäss UNHCR verlässt jeweils nur ein kleiner Prozentsatz der Vertriebenen das eigene Heimatland. Von diesen Flüchtlingen wiederum bleiben über 80 Prozent im benachbarten Ausland. Es sind also nur wenige, gemessen an der Gesamtzahl, welche überhaupt nach Europa migrieren. Oder anders gesagt: Die ärmsten Länder in den Krisenregionen nehmen die meisten Flüchtlinge auf.

In der Schweiz stimmte das Stimmvolk am vergangenen Wochenende für die Revision des Asylgesetzes. Was heisst das nun in der Praxis?

Als Schweizer Stimmbürger erlaube ich mir, etwas auszuholen. Das Schweizer Volk will eine Lösung der Asylproblematik, diese Aussage ist klar. Der Weg zur Lösung ist leider nicht so einfach und wird kontrovers diskutiert ? oft mit wenig Sachkenntnis. Diese Abstimmung wird keine Verkürzung der Verfahren bringen wie erhofft. In der Schweiz sind allein schon die Wege oft entschieden länger als in Liechtenstein. Den Rechtsweg darf man nicht antasten und die entsprechenden Fristen mit den entsprechenden Instanzen sind in einem Rechtsstaat zu akzeptieren, das ist bei uns in Liechtenstein nicht anders. Allerdings sind die Betroffenen und die eventuell notwendigen Übersetzer hier viel schneller erreichbar, was ein grosser Vorteil für die Behandlung der Verfahren gegenüber der Schweiz ist, wo der Aufenthalt der Personen oft unbekannt ist.

Kritik äussern die Revisions­gegner an der Handhabe der «renitenten» Asylsuchenden.

Das Errichten von speziellen Zentren für renitente Personen ist ein sehr heikles Thema. Die Kriterien für eine Zuweisung sind äusserst schwierig festzulegen. Gelten diese Kriterien auch für renitente Mitbürger? Straftaten werden für alle Personen in einem Rechtsstaat gleich geahndet. Dafür haben wir das Strafgesetz und den entsprechenden Vollzug. Wenn wir bedenken, welche Kosten solche speziellen Zentren verursachen, gilt es meines Erachtens schon abzuwägen, ob entsprechendes Fehlverhalten nicht durch engere Betreuung vermieden werden kann. Dies jedenfalls trifft für Liechtenstein zu und hat sich bei uns bewährt. Personen ohne richterlichen Spruch einfach wegzusperren, entspricht weder schweizerischem noch liechtensteinischem Recht und verbessert das Verhalten nicht. Ein weiterer Vorschlag ist, das Bundesamt für Migration (BfM) bis zum Abbau der vielen Verfahren personell aufzustocken. Überlastung führt zu hoher Personalfluktuation, Führungsfragen, einem schwierigen Arbeitsklima mit den daraus resultierenden Konsequenzen: Es passieren Fehler und die Qualität der Verfahren leidet. Das muss dann wieder auf dem Rechtsweg korrigiert werden.

Nach dem grossen Ansturm aus Eritrea und Somalia ist es recht ruhig geworden rund um das Asylzentrum in Vaduz. Was sind die neusten Entwicklungen?

Im Jahr 2011 registrierten wir 19648 Übernachtungen, im Jahr 2012 waren es 15719. Momentan betreut die Flüchtlingshilfe 47 Personen, darunter befinden sich auch 17 Kinder. Mit 12 Personen ist die Gruppe aus Somalia die grösste, gefolgt von Rumänen mit 8 Personen, Russen und Menschen aus Bosnien-Herzegowina mit je 6 Personen. Eritrea, Armenien und China (Tibet) ist mit je vier Personen vertreten, und schliesslich kommt je eine Person aus Algerien und Afghanistan. Am 31. Dezember 2012 betreuten wir 33 Personen. Seither registrierten wir 48 Neueintritte ? inklusive einer Zwillingsgeburt. Von diesen verliessen 29 Personen (insgesamt 34 Austritte) Liechtenstein bereits wieder.

Bei Asylfragen steht auch immer die Frage im Raum, wie die Kooperation zwischen Flüchtlingshilfe und Staat aussieht. Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit aktuell?

Die Regierung betraute die Flüchtlingshilfe mit der Betreuung der Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen in Liechtenstein, während sie das Ausländer- und Passamt mit der Durchführung der Verfahren dieser Personen beauftragte. Eine gute Zusammenarbeit aller Akteure führt immer mehr dazu, dass die Aufteilung der verschiedenartigen Aufgaben transparent und sinnvoll wird. Klare Strukturen mit entsprechenden Kompetenzen führen zu mehr Effizienz. Gerade heute sind dies nicht nur Schlagworte, sondern bedürfen der Umsetzung.

Morgen findet von 11.30?14 Uhr die Feier zum Weltflüchtlingstag auf dem Peter-Kaiser-Platz in Vaduz statt. Was ist die Idee dahinter?

Am 20. Juni ist Weltflüchtlingstag. Er ruft uns die vielen Millionen Menschen in Erinnerung, die keine Stimme haben, die oft nichts mehr ausser ihr nacktes Leben haben, deren Namen und deren Schicksal wir nicht kennen. Wir möchten mit der Völkertafel ein Zeichen setzen, dass wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen und miteinander diese schwierigen Themen angehen, denn sie gehen uns etwas an. Je länger, desto mehr. Bei all diesen Fragen dürfen wir die Menschlichkeit nicht vergessen. Es gibt überall Menschen, die vielleicht nicht immer so perfekt sind, wie wir es uns wünschen und trotzdem unseres Schutzes und unserer Hilfe bedürfen. Im Namen der Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen und Schutzbedürftigen in Liechtenstein danke ich all jenen herzlich für die Solidarität und vielfältige Unterstützung, die uns in Form von Arbeit, Spenden und vielen anderen Zeichen der Verbundenheit das ganze Jahr hindurch halfen. Ein herzliches Vergelts Gott gebührt auch den Frauen vom Soroptimist International Club Liechtenstein und den Mannen vom Tiefbauamt wie auch den vielen weiteren Helfern, die uns morgen tatkräftig unterstützen. (mw)

Persönlich
Thomas Lendi ist seit 2010 Geschäftsführer der Flüchtlingshilfe Liechtenstein. Die Flüchtlingshilfe Liechtenstein betreut ankommende Asylsuchende im Flüchtlingszentrum Vaduz, organisiert Deutschkurse und bringt sich bei der Asylgesetzgebung ein. Lendi besuchte ein humanistisches Gymnasium, wurde an der Uni Fribourg zum Sekundarlehrer der Naturwissenschaften ausgebildet und war anschliessend Rektor einer Privatschule mit Internat in Zug. Später wurde er Leiter der Personalabteilung der Ritter & Partner Holding und Schulleiter der Oberstufe der Gemeinde Wartau.

 
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