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«Eine Stunde abschalten»

Am 2. November startet der Kreis- und Gruppentanzkurs für Krebspatienten und ihre Angehörigen. Brigitte Leuthold Kradolfer von der Krebsliga St. Gallen-Appenzell in Buchs erklärt, wieso Betroffenen Musik und Bewegung guttut.

Frau Leuthold, was bedeutet die Diagnose Krebs?

Brigitte Leuthold: Die Diagnose Krebs ist für Betroffene ein grosser Schock. Viele erzählen mir, dass sie sich wie im falschen Film vorkommen. Sie haben Existenzängste und fragen sich, wie es weitergeht, was mit der Arbeitsstelle passiert und wie sie ihre Angehörigen informieren sollen. Für die Angehörigen bedeutet die Diagnose gefühlsmässig etwa das Gleiche – mit dem Unterschied, dass sie eine Doppelfunktion haben: Einerseits wollen sie der erkrankten Person beistehen und sie unterstützen, andererseits sind sie Partner, Kind oder Geschwisterteil mit all den dazugehörenden Gefühlen.

Wann setzt die Sozialberatung der Krebsliga ein?

Sobald sich Menschen mit Krebs oder ein Angehöriger bei uns melden. Unser Angebot ist freiwillig und kostenlos. Ausserdem unterliegt die Sozialberatung der Schweigepflicht. Erkrankte Menschen werden oft von Ärzten oder Betroffenen, die bereits von unserem Angebot Gebrauch machen, auf die Krebsliga aufmerksam gemacht. Unsere Dienstleistungen können grob in fünf Bereiche unterteilt werden: Unser Angebot umfasst das Herz, das heisst, die betroffenen Menschen können ihre ganze Gefühlspalette von Angst bis Wut äussern und sich bei uns offen mit ihrer Krankheit auseinandersetzen. Ausserdem kümmern wir uns, wenn gewünscht, um rechtliche und finanzielle Bereiche. Wir kommunizieren zum Beispiel mit der Krankenkasse und klären eine mögliche finanzielle Unterstützung durch die Krebsliga ab. Dazu kommt die Triagefunktion. Wir vermitteln andere Stellen, wie zum Beispiel Psychotherapie oder Amtsnotariat, wenn man ein Testament erstellen möchte. 

Wie gehen Sie mit der Situation um, dass Ihre Patienten sterben könnten?

Ich arbeite bereits seit neun Jahren auf dieser Beratungsstelle und akzeptiere mittlerweile, dass Krankheiten zum Tod führen können. Der Tod gehört nun einmal zum Leben. Ich habe gelernt, nicht mehr mitzuleiden, sondern mitzufühlen. Ich habe auf jeden Fall eine grosse Achtung vor den Menschen, die mit diesem Schicksal leben und versuchen, das Beste daraus zu machen. Ich weiss, dass es mir nicht immer gleich gut gelingt, die nötige Distanz zu wahren, aber im Grossen und Ganzen denke ich schon.

Die Beratungsstelle in Buchs hat jahrelang einen Tageskurs für Angehörige organisiert. Wieso wird er zurzeit nicht mehr angeboten?

Wir mussten die geplanten Kurse oft wegen mangelnder Anmeldungen absagen. Ziel der Tageskurse war es, Angehörigen Raum für ihre Gefühle, Ängste und Hoffnungen zu geben, da sie meistens untergehen, weil die erkrankte Person im Mittelpunkt steht. Wir mussten feststellen, dass es kein grosses Bedürfnis mehr ist, sich in einer Gruppe auszutauschen. Ausserdem gibt es heute durch das Internet viele Möglichkeiten, anonym miteinander über Probleme zu sprechen. Aus diesem Grund haben wir uns etwas anderes überlegt und organisieren jetzt einen Kurs für Kreis- und Gruppentanz für Krebspatienten und ihre Angehörigen.

Was wollen Sie mit dem Kreis- und Gruppentanz erreichen?

In diesem Kurs steht nicht das Gespräch im Vordergrund. Es geht darum, sich miteinander zu unterschiedlicher Musik zu bewegen. Gemeinsam werden traditionelle, rockige und meditative Kreis- und Gruppentänze aus aller Welt getanzt. Musik und Bewegung entspannen, beeinflussen das Wohlbefinden und fördern die Lebensqualität. Ziel ist es, sich einmal auf etwas anderes als die Krankheit zu konzentrieren – einfach einmal eine Stunde abschalten. Das tut den erkrankten Personen und ihren Angehörigen gut. Ausserdem hat die Erfahrung gezeigt, dass diejenigen, die sich austauschen wollen, dies nach dem Kurs ohnehin tun.

Das heisst, Sie haben bereits einen Tanzkurs durchgeführt?

Genau, im März letzten Jahres. Die Rückmeldungen waren gut. Die Teilnehmenden fanden den Kreis- und Gruppentanz bereichernd und wohltuend. Es muss niemand Bedenken haben, dass man nicht mitkommt. Die Kursleiterin Odile Lüthi aus Sevelen passt das Tempo den Teilnehmenden an. Vorkenntnisse werden keine benötigt und wenn jemand einmal eine Runde aussetzen möchte, ist das kein Problem. Es geht nicht um den perfekten Tanz, sondern um das gemeinsame Erleben.

Wann beginnt der Kurs und wie lange dauert er?

Der Kreis- und Gruppentanz findet an fünf Mittwochabenden im November im evangelischen Kirchgemeindesaal in Räfis statt. Er beginnt am 2. November und dauert jeweils von 17.30 bis 18.30 Uhr. Die Teilnehmenden benötigen nur lockere Kleidung und bequeme Schuhe. Anmelden können sich Interessierte bis 29. Oktober bei mir per E-Mail (siehe Infobox) oder unter der Telefonnumer 081 756 28 57. (hl)

Persönlich

Brigitte Leuthold Kradolfer, Jahrgang 1956, wohnt in Buchs, ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. Nach der kaufmännischen Lehre besuchte sie die Schule für Sozialarbeit in St. Gallen. Anschliessend arbeitete sie unter anderem als Sozialarbeiterin in einer Kirchgemeinde, bei Pro Infirmis und im Frauenhaus Liechtenstein. Seit 2002 ist sie für die Sozialberatungsstelle der Krebsliga St. Gallen-Appenzell in Buchs zuständig. Dabei bildete sie sich berufsbegleitend zur psychoonkologischen Beraterin SGPO in Basel weiter. Kontakt: b.leuthold@krebsliga-sg.ch

Artikel: http://www.vaterland.li/importe/archiv/liewo/eine-stunde-abschalten-art-75460

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