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Die gehörlose Ramona entdeckt die Welt

Vor wenigen Jahren erfüllte sich Ramona Marxer einen lang gehegten Traum: sie begab sich auf Weltreise. Von ihrer Tour um den Globus brachte sie jedoch mehr mit als nur Erinnerungsfotos und Souvenirs. Sie ist selbstbewusster und gelassener im Umgang mit ihrer Hörbehinderung geworden.

Wombats streicheln in Australien, Elefantenreiten in Thailand und Baden auf den Bahamas: Vor rund fünf Jahren entdeckte die Nendlerin Ramona Marxer das Reisen für sich. Erst verbrachte sie sieben Monate auf dem australischen Kontinent, um dann zwei Jahre später ihren grossen Traum zu verwirklichen und auf Weltreise zu gehen. Ihre Tour um den Globus gehört zu jenen Erfahrungen, die ihr Leben verändern sollten. Denn von klein auf ist Ramona Marxer gehörlos und erst durch ihre Reisen lernte die sympathische junge Frau ihre Behinderung besser anzunehmen. Heute ist sie fröhlicher und unbeschwerter als je zuvor: «Mir macht es nichts mehr aus, dass ich nichts höre. Ich komme gut mit meiner Behinderung zurecht und wenn andere dies nicht können, stört es mich nicht», meint die 28-Jährige selbstbewusst.

Folgenschwere Diagnose

Als Ramona Marxer auf die Welt kam, war sie ein gesundes, aufgewecktes Baby. Im Alter von drei Monaten wurde die kleine Ramona jedoch krank. Sie litt unter sehr hohem Fieber. Die Ärzte diagnostizierten eine Grippe, gaben Medikamente und meinten, dass die Symptome sich bald bessern sollten. Das war jedoch nicht der Fall, denn statt einer einfachen Grippe hatte Ramona eine schwere Hirnhautentzündung. Es dauerte einige Zeit, bis die richtige Diagnose gestellt und somit auch die richtige Therapie in die Wege geleitet wurde. Ramona überlebte zwar die gefährliche Krankheit, doch ihr Gehör wurde irreversibel geschädigt und sie verlor ihre Hörfähigkeit.
Den Kindergarten besuchte Ramona noch in ihrer Heimatgemeinde Nendeln, die Primar- und Sekundarschule absolvierte sie jedoch in einer speziellen Schule für Gehörlose in Dornbirn. Dort lernte sie Lippenlesen und Gebärdensprache. Für ihre Berufsausbildung musste sie dann nach Zürich, denn in der Nähe gibt es nirgends ein Ausbildungsangebot für Hörbehinderte. Dort machte sie eine dreijährige Lehre zur Büroangestellten, obwohl sie eigentlich lieber Grafikerin geworden wäre. «Leider gibt es für gehörlose Menschen nur eine begrenzte Auswahl ans Berufsausbildungsmöglichkeiten», erklärt sie. Auf die Frage, ob es manchmal schwer gewesen sei, als Hörgeschädigte das Leben zu bewältigen, antwortet sie gelassen: «Eigentlich nicht». Doch ganz so einfach muss es dann doch nicht gewesen sein. Ihre grosse Schwester Eveline kann sich jedenfalls noch an Situationen erinnern, in denen Ramona durchaus mit ihrer Behinderung zu kämpfen hatte: «Manchmal kam sie vom Kindergarten und war traurig darüber, dass sie von den anderen Kindern nicht verstanden wurde, obwohl diese sich sehr Mühe gaben, sie zu integrieren.» Und auch als Ramona älter wurde, habe es immer wieder solche Momente gegeben. Wenn sie beispielsweise von den Verkäuferinnen in einem Laden nicht verstanden wurde oder ihre Arbeitskollegen vergassen, Hochdeutsch zu sprechen und ihr so das Lippenlesen erschwerten.

Eine lebensverändernde Reise

Bereits seit ihrer Lehre hat Ramona auf ihre erste grosse Reise gespart. Angetreten hat sie diese dann vor fünf Jahren ? es ging für sieben Monate nach Australien. Dort habe sie das erste Mal die Erfahrung gemacht, wie einfach das Leben als gehörlose Person sein könne. «Ich habe überraschenderweise nie Probleme gehabt, mich zu verständigen. In Aus­tralien sind die Menschen nicht nur sehr hilfsbereit, sondern haben auch keine Hemmungen im Kontakt mit Gehörlosen ? es ist ganz anders als hier», erzählt sie.
Natürlich habe es aber auch hin und wieder kritische Situationen gegeben. So kam es beispielsweise, dass Ramonas Mietwagen bei einem Ausflug ins Outback liegen blieb. Da weder sie noch ihre gehörlose Reisebegleiterin zum Telefon greifen und um Hilfe rufen konnten, blieb den beiden nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dass jemand vorbeikam. Zu ihrem Glück kam nach einigen Stunden tatsächlich jemand des Weges, der die beiden abschleppte und für sie mit der Mietwagenfirma Kontakt aufnahm. Doch anstatt sich von solchen schwierigen Momenten entmutigen zu lassen, tankte Ramona Marxer durch deren Bewältigung Selbstvertrauen. «Von dieser ersten grossen Reise hat sie viel mehr mitgebracht als nur Souvenirs und Erinnerungsfotos. Sie ist selbstbewusster und gelassener im Umgang mit ihrer Behinderung geworden», stellt Ramonas Schwester fest.

Ramona entdeckt die Welt

Nach ihrer Rückkehr aus Australien war für Ramona Marxer schnell klar, dass sie gerne noch mehr von der Welt sehen möchte. Zwei Jahre dauerte es, bis sie dieses Vorhaben in die Realität umsetzen konnte und erneut ihre Koffer packte. Ihre Reise um die Welt führte sie von Indien über Hawaii bis nach Kanada. «Besonders interessant war es für mich, andere Gehörlose zu treffen und deren Kultur kennenzulernen. In Indien besuchten wir beispielsweise eine Gehörlosenschule. Auf Bali war unser Guide selbst gehörlos und in Bangkok haben wir sogar bei einer gehörlosen Familie übernachtet», erzählt die Weltenbummlerin. Besonders spannend war für die Liechtensteinerin auch, dass in vielen der besuchten Länder auch hörende Menschen die Gebärdensprache beherrschen: «In den USA konnten wir im Restaurant auf Gebärdensprache bestellen ? das war eine tolle Erfahrung. Leider ist Europa diesbezüglich noch nicht so weit», erzählt die aufgeweckte junge Frau.
Ähnlich wie bereits ihre Australienreise hat auch die Weltreise Ramonas Einstellung zum Leben beeinflusst. Während sie früher beispielsweise noch Hörgeräte trug ? mit ihnen konnte sie wenigstens noch ein paar Geräusche wahrnehmen ?, entschied sie sich, diese nicht mehr zu benutzen. «Ohne sie fühle ich mich freier», erklärt sie. «Ausserdem fühle ich nicht mehr den Zwang, mich an die hörende Welt anpassen zu müssen.» Zudem sei sie selbstständiger geworden. Während ihr früher oft ihre Eltern oder ihre Schwester bei gewissen Dingen unter die Arme griffen, erledigt sie heute alles in Eigenregie. Unabhängig davon, ob ihre Hörbehinderung ihr etwas erschwert oder nicht.

Wünsche für die Zukunft

So gelassen Ramona Marxer mittlerweile mit ihrer Behinderung umgeht, ist es dennoch nicht leichter für sie geworden, in dieser Welt zu bestehen. Nach ihrer Rückkehr hatte sie beispielsweise grosse Probleme, eine neue Stelle zu finden. «Viele Arbeitgeber scheuen sich, eine gehörlose Person einzustellen», weiss sie. Derzeit hat sie zwar eine Anstellung bei einem ihrer früheren Arbeitgeber, doch ihr Arbeitsvertrag läuft im Oktober aus. «Ich hoffe, ich darf noch länger bleiben oder aber finde bald eine neue Stelle ? bezüglich Stellensuche müssen wir Gehörlose eben mehr Geduld beweisen als andere», erklärt sie.
Neben einer unbefristeten Arbeitsstelle wünscht sich Ramona Marxer aber auch ein Umdenken in der Gesellschaft. «Es wäre schön, wenn die Menschen weniger Hemmungen im Kontakt mit Gehörlosen hätten und sich auch mit der Thematik etwas stärker auseinandersetzen würden.» Auf ihren Reisen habe sie schliesslich herausgefunden, dass es von hörenden Menschen nicht viel brauche, um Hörbehinderten das Leben zu erleichtern. «Etwas Geduld und Hilfsbereitschaft wären toll. Und wenn sich mein Gegenüber auch noch Mühe gibt, Hochdeutsch zu sprechen, damit ich von den Lippen lesen kann, dann wäre vieles für mich einfacher.» Es wäre Ramona Marxer zu wünschen, dass ihr Anliegen in Erfüllung geht. Und wer weiss, vielleicht wird ihr Mut, sich einem «Liewo»-Porträt zu stellen, belohnt und jene, die nun ihre Geschichte kennen, werden sich das nächste Mal im Kontakt mit einem Gehörlosen an ihre Worte erinnern. (sb)

Steckbrief
Name: Ramona Marxer
Wohnort: Nendeln
Alter: 28
Beruf: Büroangestellte
Hobbys: Kino, Fotografieren, Freunde treffen
Leibspeise: Raclette und Käsefondue
Getränk: Cola, Wasser, Radler
TV-Vorliebe: Krimis (natürlich mit Untertiteln)
Musik: alles mit viel Bass («damit ich die Vibrationen spüre»)
Lektüre: «OK», «inTouch»
Stadt/Land? Beides
Sommer/Winter? Sommer
Stärke: «Ich bin lebensfroh ?
Schwäche: ? und ungeduldig»
Kontakt: rami@gmx.li

 

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