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Die «Freundnachbarschaftlichkeit»?

Die Nase endgültig voll von Luftverschmutzung durch Mehrverkehr, wie ihn ein Stadttunnel in Feldkirch erzeugen würde, haben zahlreiche Petitionäre.              

Herr Sele, Frau Matt, die Frage «Darf ein Land sein Verkehrsproblem auf ein anderes abwälzen?» stand bereits anlässlich der Pressekonferenz zum Start der Petition im Raum.

Georg Sele: Und dort steht sie noch. Also, mein Ziel ist ganz einfach Feldkirch und Liechtenstein zu entlasten! Wir stimmen alle überein, dass wir Feldkirch entlasten müssen, aber wir sollten erreichen, dass das auf beide Länder gleichermassen zutrifft.

Das impliziert die Anerkennung eines Verkehrsproblems in Feldkirch. Warum die Petition, welches Ziel hat sie?

Andrea Matt: Auch ich habe Verständnis für jeden, der dort wohnt und sich weniger Stau und Lärm wünscht. Doch welcher Weg ist der richtige? Wir müssen auf ein Miteinander setzen. Und nicht darauf, dass die einen zu den Gewinnern und die anderen zu den Verlierern zählen. Mit der Petition fordern wir die Politik auf, die Auswirkungen durch den Strassen-Mehrverkehr auf unser Land von unabhängigen Experten untersuchen zu lassen.

Was sind die zentralen Forderungen der Petition?

Georg Sele: Das sind im Wesentlichen drei Punkte. Erstens: Wie viel Mehrverkehr wird auf das Strassennetz Liechtensteins zukommen? Wo werden bestehende Stausituationen verschärft und wo könnten sich neue Staus bilden? Zweitens: Handelt es sich bei dem Projekt Stadttunnel Feldkirch um eine Schnellstrasse beziehungsweise um ein hochrangiges Strassenprojekt für den inneralpinen Verkehr, sodass die Alpenkonvention zur Anwendung kommt? Und drittens: Wie wird sich die Luft- und Lärmbelastung in Liechtenstein durch den Mehrverkehr verändern und wie stark kann sich dies auf die Gesundheit der Bevölkerung in Liechtenstein auswirken?

Existiert eine vernünftige Alternative zum Stadttunnel?

Georg Sele: Definitiv. Es existiert eine Alternative, die bereits untersucht wurde: die «0+ Variante». Statt des Strassenbaus setzt sie auf den Ausbau des öffentlichen Verkehrs mit der Bahn als Rückgrat. Der erste Schritt hierbei ist der Ausbau der Strecke Buchs?Feldkirch zur S-Bahn F.L.A.CH im Halbstundentakt während der Hauptverkehrszeit. Der zweite Schritt ? statt des Tunnels ? ist eine Südeinfahrt Feldkirch von Tosters via Reichenfeld zum Bahnhof. Dies ergibt eine 15-minütige Taktung in der Hauptverkehrszeit bis Schaan.

Was sind die Vorteile dieser Lösung?

Andrea Matt: Wenn einem Klimaschutz und eine bessere Situation auch für die Menschen, die kein Auto haben, wichtig sind und wenn man sich bessere Luft und weniger Lärm für die gesamte Region wünscht, dann gewinnt eindeutig die Bahn. Unser Strassensystem ist schon sehr gut ausgebaut. Es kann nur mit sehr hohen Investitionen merklich verbessert werden. Nachholbedarf besteht jedoch beim öffentlichen Verkehr. Eine Investition in die Bahn ist somit auch wirtschaftlich gesehen viel interessanter.
Georg Sele: Der grosse Unterschied zur Strassenbauvariante ist, dass bei «0+» wirklich beide Seiten gewinnen, weil der motorisierte Individualverkehr in der ganzen Region stark zurückgehen wird. Mit dem Tunnel hingegen verlieren alle ? ausser das Zentrum von Feldkirch.

Weshalb hat man sich trotz der Vorteile gegen «0+» entschieden?

Georg Sele: Weil die Politik den Tunnel wollte, so einfach ist das.
Andrea Matt: Dazu muss man aber wissen, dass neben dem Strassentunnelprojekt immer auch die Bahnpläne weiterverfolgt werden sollten. Ob dem so ist, wissen wir allerdings nicht.
Georg Sele: Wir haben diesbezüglich Anfang November eine Anfrage an Landesstatthalter Rüdisser gestellt, die er noch nicht beantwortet hat.

Der Stadttunnel weist ja doch gewisse Ähnlichkeiten mit dem Letzetunnel-Projekt 2005 auf.

Andrea Matt: Ich glaube, ein Punkt, dessen sich Vorarlberg nicht bewusst ist, ist, dass schon jetzt die Alarmgrenzwerte auch in Liechtenstein überschritten sind. Es staut sich, wir haben zu viel Feinstaub und Stickoxid. Sämtliche Belastungen, die durch den Verkehr entstehen, haben heute auch hier schon die Schmerzgrenze übertreten. Aus diesem Grund sind die Untersuchungen, die wir mit unserer Petition einfordern, auch so wichtig. Bereits 2005 hat eine Studie anlässlich des Letztetunnel-Projekts nachgewiesen, dass es hier zu Staus kommen wird. Allen war zudem klar, dass die Alpenkonvention zur Anwendung kommt. Darauf stoppte die Landesregierung Vorarlberg das Projekt. Mit dem Wissen, dass dieses Projekt nicht realisierbar war, rechnete man den «Letztetunnel neu» nun systematisch klein, indem man Schönheitskorrekturen vorgenommen hat.
Georg Sele: Aus Liechtensteiner Sicht ist der Stadttunnel eigentlich nur ein neuer Letztetunnel, der nun zwei Stadtausfahrten dazubekommen hat.

Warum sollte man unterzeichnen?

Andrea Matt: Mit seiner Unterschrift setzt man ein Zeichen, dass man die Bevölkerung ? vor allem im Liechtensteiner Unterland und in Schaan ? schützen möchte. Es geht darum, eine adäquate Analyse der Auswirkungen auf Liechtenstein anzufertigen. Wenn der Tunnel einmal gebaut ist, dann ist es einfach zu spät. Und die Wahrscheinlichkeit einer Mehrbelastung ist extrem hoch. Die Unterschriftensammlung läuft noch bis 22. Januar. (kid)

Zur Person


Andrea Matt
, Jahrgang 1961, ist Geschäftsführerin der Liechtensteinischen Gesellschaft für Umweltschutz (LGU). Von 2005 bis 2009 war sie für die Freie Liste Abgeordnete im liechtensteinischen Landtag. Politisch aktiv wurde sie mit ihrem Engagement gegen den Letzetunnel. Als Abgeordnete gehörte sie ab 2005 als Mitglied der Geschäftsprüfungskommission der EWR-Kommission und der Parlamentarier-Kommission Bodensee an.  Infos: www.lgu.li

Georg Sele, Jahrgang 1945, ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und dreifacher Grossvater. Der pensionierte Experimentalphysiker hat nach seinem Studium bei international tätigen Hightech-Unternehmen gearbeitet. Er ist Präsident des Verkehrsclubs Liechtenstein (VCL) und engagiert sich in dieser Position besonders bei Themen, welche die Mobilität und die Energie betreffen. Zudem setzt er sich für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs ein. Infos: www.vcl.li

 

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