«Beim Fasten gibt es keine Mangelerscheinungen»
Ernährungsberater Christoph Erne findet Fasten eine gute Sache. Vorausgesetzt, es wird richtig gemacht: «Es gibt viele Missverständnisse rund ums Fasten. Diese sollte man ausräumen, bevor man das Projekt in Angriff nimmt.»
Herr Erne, wie fastet man richtig?
Christoph Erne: Es gibt unendlich viele Varianten des Fastens. Einige Menschen üben über eine gewisse Zeit den Verzicht auf lieb gewonnene Lebensmittel, andere meiden Alkohol, wiederum andere schränken sich beim Rauchen ein. Dann gibt es solche, die für eine gewisse Zeit ihre Ernährung radikal umstellen, indem sie nur noch Gemüse- oder Obstsäfte trinken oder basische, entgiftende Lebensmittel essen. Die Königsdisziplin des Fastens ist es sicher, gar nichts mehr zu essen und nur Wasser und Tee zu sich zu nehmen.
Gar nichts essen und nur Wasser trinken? Ist das nicht gefährlich?
Nicht grundsätzlich. Wenn jemand gesundheitlich angeschlagen oder ständig hohem Stress ausgesetzt ist, empfiehlt sich der Verzicht auf Nahrung sicher nicht. Ausserdem kommt es auch noch darauf an, wie lange man es durchzieht. Jeder Mensch hat andere Voraussetzungen. Aber grundsätzlich tut so eine drei- bis siebentägige Kur sogar gut.
Was passiert im Körper, wenn man gar nichts mehr isst?
Es gibt schon viele Studien darüber, was alles passiert. Aber man hat noch lange nicht alle Wirkungen erforscht. Man muss dazu auch sagen, dass die Effekte sehr individuell und unterschiedlich sind, je nachdem, was für ein Typ Mensch das Fasten durchführt. Eine Untersuchung, die ich sehr spannend fand, besagt, dass sich während einer Fastenzeit gesunde Zellen wie ein Schutzmantel umlegen und kranke Zellen freigelegt werden, damit das Immunsystem sie entfernen kann. Man weiss auch, dass sich der Stoffwechsel verändert und mehr von den Reserven zehrt. So braucht das Verdauungssystem weniger Energie, was zum Beispiel den Entgiftungsorganen zugutekommt.
Viele versprechen sich vom Fasten auch eine Gewichtsabnahme. Ist die Hoffnung berechtigt?
Jein. Gewichtsverlust gibt es in den meisten Fällen, wo auf Energiezufuhr verzichtet wird. Wer also in einer Woche vier Kilo abnimmt, mag sich vielleicht freuen. Doch gilt es zu bedenken, dass das nicht nur reines Fett ist, sondern auch viel Wasser gespeicherte Reserven an Kohlenhydraten, sogenanntes Glycogen. Auch über einen längerem Zeitraum ist die Muskulatur das Erste, was bei weniger Energiezufuhr abgebaut wird. Dann hat man am Schluss am falschen Ort Energie gespart. Meiner Meinung nach ist Fasten ungeeignet, um auf eine gesunde Weise Gewicht zu verlieren. Hierfür sind gezielte, individuelle Ernährungsumstellungen weitaus nachhaltiger und eher zu empfehlen.
Und was sind die körperlichen Konsequenzen fürs Wohlbefinden des Fastenden?
Grundsätzlich empfindet fast jeder Fastende die ersten zwei bis drei Tage als hart, danach fühlt man sich besser. Man hat mehr Zeit, weil man keine Gadanken ans Essen verlieren muss, und man fühlt sich einfach sehr wohl in seiner Haut. Wenn aber jemand unter Stress leidet oder sonstige Defizite hat, kann es auch negative Auswirkungen haben. Dann wird er Mangelsymptome wie Krämpfe oder Energielosigkeit spüren. Man sollte das Unterfangen dann abbrechen oder Rücksprache mit einem Spezialisten halten.
Wie lange kann man in dieser Form fasten?
In der Regel nicht lange. Denn nach einer gewissen Zeit werden beim «Normalbürger» Mangelerscheinungen auftreten. Deshalb rate ich niemandem, solche extremen Kuren länger als 10 Tage durchzuziehen ? schon gar nicht ohne professionelle Beratung eines Arztes, Naturheilpraktikers oder Ernährungsberaters.
Haben Sie selbst auch schon gefastet?
Ja, und auch schon durchgehalten (lacht). Ich mache das jährlich einmal. Es ist erstaunlich, wie sich dieses Erlebnis auch psychisch auswirkt. Man kann sich selbst beobachten, wie Geist und Körperbedürfnisse gegeneinander kämpfen, bis beide eine Lösung gefunden haben und den Verzicht akzeptieren. Ausserdem nimmt man nach der Fastenzeit das Essen wieder viel bewusster wahr und schätzt es wieder mehr, wenn man alles essen kann. Auf die psychologisch «reinigende» Komponente beruft sich vor allem auch das religiöse Fasten. Die Kernaussage: Dieses Ritual führt zu Erfolgserlebnissen und zeigt einmal mehr, dass wir in der Überflussgesellschaft gut daran tun, auch einmal auf die eine oder andere Mahlzeit zu verzichten, ohne dass der Körper gleich Probleme bekommt.
Und nach der Kur macht man einfach weiter wie zuvor?
Nein. Beim Fastenbrechen würde ich immer mit leicht verdaulichen Speisen wie z. B. Apfelmus beginnen. Man muss berücksichtigen, dass ganz vieles im Körper sich biochemisch verändert hat. Optimal wäre es dann auch, Darmbakterien einzunehmen, welche die natürliche Darmflora wieder optimal aufbauen. Das Wichtigste beim Fasten ist, mit dem Körper zu arbeiten und nicht gegen ihn.
Immer wieder gibt es Medienberichte über Menschen, die sich nur von Licht ernähren. Halten Sie das für realistisch?
Ja. Das sind aber nicht mehr Menschen wie du und ich. Man geht davon aus, dass sich solche Menschen in einem anderen oder erweiternden Bewusstseinszustand befinden ? ähnlich einer Meditation. Ich durfte solch einen Menschen bei meiner Indien-Reise sehen und es war für mich sehr mystisch, diesen Mann wahrzunehmen. Ich kann mir also vorstellen, dass es funktioneren kann ? in der modernen heutigen Gesellschaft, in welcher wir leben, würde ich allerdings keinem raten, so etwas zu machen. (mw)
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