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«Ich spiele so, wie das Herz es mir sagt»

Wenn auf einer Kirchenorgel der Region traditionelle japanische Musik erklingt, ist dafür mit grosser Wahrscheinlichkeit die japanische Organistin Aki Funakoshi verantwortlich. Ein besonderes Klangerlebnis und eine Begegnung mit einer Frau, die in Europa die Musik neu entdeckt hat.

Die letzten Klänge, die die Orgel in der Kathedrale Vaduz von sich gibt, hallen noch lange nach. Nicht nur in den Ohren, sondern vor allem im Kopf, wo auch nach dem Konzert Bilder und Farben entstehen, angeregt von Mu­sik, die höchst selten von einer Kirchen­orgel zu hören ist. Es sind die Klänge des Stücks von Takashi Sakai, einem japanischen Komponisten. Das Stück trägt den Titel «Sakura – Kirsch­blüte» und ist Aki Funakoshis Lieblings­stück.

Für ihr diesjähriges Benefizkonzert für Japan im März wählte die japanische Or­ganistin ausschliesslich Musik von japa­ni­schen Komponisten. Sie mag die pentatonischen Tonleitern, wie sie in der traditionellen japanischen Musik verwendet werden, sie liebt die Klangfar­ben, die dadurch entstehen, und sie liebt es vor allem, die japanische Musik neu zu interpretieren – auch auf einer Kir­chen­orgel. Nicht ohne Grund setzte sie das Stück «Sakura» ganz ans Ende ihres Konzerts. «Ein Kirschbaum in voller Blüte sollte den Abschluss machen», sagt Aki Funakoshi. «Es soll ein Zeichen sein.» Die Kirschblüte ist eines der wichtigsten Symbole der japanischen Kultur. Sie steht für Schönheit und Aufbruch.

Seit dem verherenden Erdbeben und dem Tsunami denkt Aki Funakoshi sehr oft an ihr Heimatland. Die Bilder der Katastrophe lassen sie nicht los. «Für mich ist es noch immer unfassbar», sagt die Japanerin, die seit über zehn Jahren in Feldkirch wohnt. Glücklicherweise ist ihrer Familie und ihren Bekannten nichts passiert, dennoch spürt sie eine grosse Verbundenheit und Solidarität mit den Menschen vor Ort. Sie weiss, dass in Japan heute noch nichts ist, wie vor dem 11. März 2011, dass die Menschen noch immer unter den Folgen des Tsunamis leiden. Ein Benefizkonzert sei nur ein «kleines Zeichen», wie Aki Funakoshi sagt. Aber es sei wenigstens etwas, um zu helfen und nicht tatenlos zusehen zu müssen. Sie wünscht sich für die Men­schen in Japan, dass sie wieder ohne Angst draussen sitzen können – unter den Kirschbäumen, wo sie den Duft der Blüten geniessen können.

Fast die Hälfte aller Laubbäume in japanischen Städten sind Kirschbäume. Je­den Frühling verwandelt sich das Land in ein rosa-weisses Blütenmeer. Ein Schau­spiel, an das Aki Funakoshi gerne denkt. Dennoch möchte sie zurzeit nicht zurück nach Japan. Sie liebt Europa – Österreich, wo sie wohnt, und Liech­tenstein, wo sie arbeitet. «Ich genies­se es, hier zu sein.» Auch des Essens wegen. Es müsse nicht immer Sushi sein. Ihre dunklen Augen strahlen, wenn sie sagt: «Ich koche Käsespätzle mit richtigem Käse!» Und das Brauhaus-Weizenbier liebe sie über alles.

Sie wollte immer weg von Japan. Um gewissen Zwängen zu entkommen? Um freier zu sein? Um die Musik erst richtig kennenzulernen? Als sie Japan verliess, war ihr das alles nicht bewusst. Heute ist sie aber überzeugt davon, dass ihr Europa Türen öffnete, vor allem in der Musik.

Aki Funakoshi ist in Kyoto, eine der geschichtlich und kulturell bedeutends­ten Städte Japans, aufgewachsen. Als sie drei Jahre alt war, sah und hörte sie, wie ihre damalige Nachbarin Orgel spielte. «Ich wollte auch Orgel lernen», er­zählt sie bei einer Tasse Latte Macchiato im Kunstmuseum Liechtenstein, wo sie als Aufsichtsperson arbeitet. So kam es. Die Dreijährige besuchte die Kavai-Musik­schule und schnell war klar, dass die Kleine nicht nur wollte, sondern auch Talent hatte. Neben Orgel lernte Aki Funakoshi auch, Klavier zu spielen. Sie nahm an Wettbewerben teil und gewann Preise. Ein Thema, bei dem sie sich nicht lange aufhält und abwinkt: «Das ist alles nicht so wichtig.» Später im Gespräch verrät sie, dass sie eigentlich nie an diese Wettbewerbe wollte, dass sie nicht viel von Musikschulen halte, die ihre Schüler zum Üben zwingen. «Es soll einfach nur Spass machen.»

In Japan beendete sie ihre Schul- und Studienzeit und mit einem pädagogischen Diplom, mit dem sie Orgel und Klavier unterrichten kann. Dies in der Ta­sche, machte sie sich mit 18 Jahren auf, in die Welt zu ziehen.
Der Zufall wollte es, dass sie nicht, wie eigentlich geplant, in einem englischsprachigen Land landete, sondern in Feldkirch. Dort hatte sie eine Bekannte und lernte kurz darauf eine Professorin des Musikkonservatoriums kennen.
Ohne ein Wort Deutsch zu können, entschloss sich Aki Funakoshi, am Konser­vatorium in Feldkirch zu studieren. Mit grossem Erfolg. Sie lernte nicht nur Deutsch, sondern auch die Musik neu kennen. «Plötzlich war es nicht mehr richtig oder falsch, was ich spielte», sagt sie, die in Japan so spielte, wie es der Lehrer von ihr verlangte. Früher musste sie nie erklären, warum sie etwas spielte, wie sie es spielte. «Ich habe erst hier gelernt, ein Stück so zu interpretieren, wie das Herz es mir sagt.» Sie spiele heu­te ganz anders als früher. Scheue sich auch nicht, ihr Innerstes in der Musik auszudrücken, ihre Lebenserfah­rung musikalisch umzusetzen. Ab­schieds­schmerz, Liebesglück, Heimweh, Freude über ein neues Leben – «All diese Gefühle kann ich erst beschreiben, wenn ich sie erlebt habe». Sie lacht ein fröhliches, sympathisches Lachen. Es scheint fast so, als ob sie und ihr Talent erst hier richtig aufblühen konnten – ähnlich wie eine Kirschblüte im Früh­ling.

Gerne würde sie mehr Konzerte geben, mehr musikalische Herausforderungen annehmen. Zeitlich sei es jedoch schwierig, alles unter einen Hut zu bringen. Sie will auch nicht alles auf die Karte Musik setzen. Finanzielle Gründe spielen eine Rolle, sie kann sich aber auch nicht vorstellen, sich nur in der Welt der Musik zu bewegen und dort zu leben. Sie möchte raus, «unter die Leute gehen», wie sie sagt. Musik bedeute auch, oft alleine zu sein, stundenlang alleine zu üben. Diese Einsamkeit kann einer lebenslustigen und kontaktfreudigen Person wie Aki Funakoshi den Glanz nehmen. Daher schätzt sie ihren Job im Kunstmuseum, wo sie Menschen trifft, viel über Bildende Kunst lernt und nach Gemeinsam­keiten zur Musik sucht. Sehr oft übersetze sie die Bildende Kunst in Musik, «das ist das, was ich verstehe». Auf ihrer elektronischen Hausorgel übt sie dennoch täglich ein paar Stunden, denn sie will sich weiterentwickeln und musikalisch neue Wege wagen. (jak)

Artikel: http://www.vaterland.li/importe/archiv/kul/ich-spiele-so-wie-das-herz-es-mir-sagt-art-47944

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