«Kirche ist immer reformbedürftig»
MIT PFARRER CHRISTIAN VOSSHENRICH SPRACH JANINE KÖPFLI
Herr Pfarrer Vosshenrich, Sie scheinen jede Gelegenheit zu nutzen, die Liechtensteiner und vor allem die Eschner besser kennenzulernen, in den vergangenen Wochen waren Sie an zahlreichen Veranstaltungen. Ist das Ihre Strategie, um sich möglichst schnell an einem Ort wohlzufühlen?
Pfarrer Christian Vosshenrich: Strategie würde ich nicht sagen, es ist vielmehr eine Lebenseinstellung von mir. Ein Pfarrer, der sich im Pfarrhaus verbunkert, bleibt den Leuten fremd und das darf wirklich nicht sein. Somit habe ich alle Einladungen gerne angenommen, die ich in den vergangenen Wochen erhalten habe. Das waren so viele, dass ich überrascht war, aber mich natürlich sehr gefreut habe. Ich habe viele Menschen kennengelernt, auch Leute, die jahrelang keinen Gottesdienst mehr besucht haben.
Was hat Ihnen an Eschen sofort gefallen?
An Eschen hat mir die Pfarrkirche sofort gefallen. Ich finde, diese Kirche hat sich noch viel an Sakralität bewahrt. Wir haben diesen wunderschönen Hochaltar, der Kreuzweg ist noch drin, es gibt viele Statuen – das gibt sofort eine Gebetsatmosphäre. In Eschen gefällt mir auch der Ortskern. Es gibt nicht einfach eine Schnellstrasse mit Durchgangsverkehr, der durch den Ort rauscht, sondern es gibt einen echten Dorfkern, ein Café – ich fühle mich sehr wohl hier.
Besteht die Hoffnung, dass wieder mehr Menschen in die Kirche gehen?
Wenn die Leute nicht mehr zu uns kommen, dann müssen wir zu den Leuten gehen. Indem ein Pfarrer viele Einladungen annimmt und versucht, überall dort zu sein, wo die Menschen vor Ort einander begegnen, kommt er mit den Menschen ins Gespräch. Und es ist ganz erstaunlich, wie die Leute sich dann auf einmal öffnen und dem Pfarrer Dinge anvertrauen, die sie sonst nicht erzählen würden. Man kann nach wie vor sehr tiefe Gespräche führen über Gott, den Glauben, die Sorgen und Nöte. Das ist ein sehr positiver Ansatz. Ich bin optimistisch, was die Zukunft des Gottesdienstbesuches angeht.
Sie sind jung, dynamisch, humorvoll – hübsch. Sie passen irgendwie nicht ins Bild, das man normalerweise von einem Pfarrer hat. Hilft es Ihrer Arbeit, wenn Sie nicht gleich als Pfarrer erkannt werden, oder ist das eher hinderlich?
Dadurch, dass ich immer Priesterkleidung trage, ist eigentlich klar, dass ich Pfarrer bin. Damit habe ich auch immer ganz positive Erfahrungen gemacht. Beispielsweise war ich vor einiger Zeit mit einem anderen Pfarrer nobel essen. Als wir bezahlen wollten, sagte der Kellner, dass eine unbekannte Person bereits für uns bezahlt habe. Diese Person hatte sich gefreut, dass dort im Restaurant zwei junge Priester anwesend waren. So etwas kommt natürlich selten vor, zeigt aber, dass es den Leuten gefällt, wenn wir im Ortsbild vorkommen. Der Pfarrer ist da und versteckt sich nicht. Auch hier in Eschen sagten mir Leute nach einem Monat ohne Pfarrer: «Gut, dass jetzt wieder ein Pfarrer im Ort ist.» Der Pfarrer scheint ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Ich habe ganz, ganz selten negative Erfahrungen gemacht. Ich sage mir aber auch immer: «Wer sich einsetzt, setzt sich aus.» Da muss man damit rechnen, dass man vielleicht vom einen oder anderen verlacht wird. Aber da stehe ich drüber.
Die Kirche heute verliert zunehmend an Attraktivität, was hat Sie gereizt, trotzdem den Beruf Pfarrer zu wählen?
Das ist ganz schwierig zu erzählen. Ich sage gern: Es war nicht meine Idee, sondern die Idee vom lieben Gott. Ich habe ganz stark das Element der Berufung erfahren.
Schon als junger Mensch?
Schon als kleiner Bub wollte ich immer Priester sein. Da war eine starke innere Sehnsucht. Das war spannend für mich. Ich hatte auch lange eine Freundin und so, aber die Sehnsucht, diesen Weg zu gehen, ist immer geblieben. Man spürt dabei natürlich auch, dass dieser Weg mit Verzicht zu tun hat. Gerade weil es aber ein Verzicht ist, spürt man genauso, dass es etwas ganz Wertvolles ist, um das man auch ringen muss. Ich komme aus einer ganz normalen katholischen Familie, meine Eltern waren im ersten Augenblick eher besorgt, als dass sie in die Luft gesprungen wären, als sie erfuhren, dass ihr Sohn Pfarrer werden möchte. Aber sie liessen mir alle Freiheit. Ich wurde also keineswegs zu etwas gedrängt. Es war wirklich eine innere Sehnsucht, der ich nachgeben musste.
Die katholische Kirche ist aufgrund verschiedener Missstände zur Zeit häufig in den Schlagzeilen. Sprechen die Menschen Sie offen auf solche Probleme an?
Die Leute sprechen das sehr offen an, da bin ich auch sehr dankbar dafür. Es wäre ja schlimm, wenn alle verstummen würden, wenn der Pfarrer kommt und keiner sich traut, kritische Dinge anzumerken. So hat man auch die Möglichkeit, gewisse Dinge klar zu stellen und zu argumentieren. Ich sage immer gerne zu den Leuten: «Ein Baum, der umfällt, macht immer mehr Lärm, als ein ganzer Wald, der wächst.» Man darf das Versagen Einzelner nicht gleichsetzen mit der ganzen Gemeinschaft der Kirche. Ich glaube, dass die Kraft des Evangeliums, die Kraft des Guten und Heiligen viel stärker ist als das Versagen Einzelner. Das glaube ich nicht nur, das weiss ich. Die Medien stürzen sich natürlich auf jene, die etwas verbrochen haben, Dinge getan haben, die scharf zu verurteilen sind.
Findet auch mit den Eschnern ein aktiver Dialog statt?
Ich habe das Gefühl, dass die Eschner ein ganz offenes Völkchen sind. Die Leute sagen, was sie denken. Ein kleines Mädchen kam nach der ersten Messe auf mich zu und sagte: «Herr Pfarrer, sie haben eine schöne Messe gelesen, aber das nächste Mal bitte ein bisschen lauter.» Diese Art, die Dinge beim Namen zu nennen, finde ich sehr hilfreich und auch schön. So kann man auch reagieren und man hat nicht das Gefühl, dass hinter dem Rücken getuschelt wird.
Sehen Sie Reformmöglichkeiten der Kirche?
Ich denke, die Kirche ist immer reformbedürftig. Das war sie immer und wird sie immer sein. Wenn man sich auf das Evangelium einlässt, auf das, was Christus gelehrt hat, muss man immer in Bewegung bleiben, muss sich immer wieder darum bemühen. Ich bin allerdings sehr kritisch, wenn einzelne Grüppchen oder einzelne Lobbys der Kirche etwas aufzudrängen versuchen, was gerade modern ist oder dem Zeitgeist entspricht. Das bedeutet noch lange nicht, dass dies eine Reform wäre, die der Kirche gut tut. Wir müssen zunächst auf den Anspruch des Evangeliums schauen. Reformbedürftigkeit sehe ich mehr für den Einzelnen. Wenn sich der Einzelne bemüht, Christus ähnlicher zu werden, dann wird die ganze Kirche erneuert.