Die Mär vom benachteiligten Kleinstaat

Widersprechen sich allerdings die Interessen kleiner und grosser Staaten, so kann der Grundsatz der Staatengleichheit rasch zu einer politischen Leerformel werden. Entsprechend überrascht es nicht, dass sich in Liechtenstein immer wieder einzelne Akteure über den internationalen Druck auf Liechtenstein beklagen. Doch sind diese Klagen wirklich berechtigt?
Bei genauer Betrachtung gibt es etliche Beispiele, wo die internationale Staatengemeinschaft Liechtenstein Privilegien einräumte, um dessen politische und wirtschaftliche Integration zu erleichtern. Kein anderer der 31 Mitgliedstaaten im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verfügt über ähnlich viele und weitreichende Ausnahmen wie Liechtenstein. Die Kleinräumigkeit ist dabei oftmals das entscheidende Argument.
Bereits Liechtensteins Beitritt zum EWR war nur dank zahlreicher Zugeständnisse der Europäischen Union (EU) möglich. Dies gilt allen voran für die parallele Verkehrsfähigkeit, welche es Liechtenstein erlaubt, trotz EWR-Mitgliedschaft weiterhin eine Zollunion mit der Schweiz zu bilden. Auch die im Jahr 1999 verhandelte Sonderlösung Liechtensteins im freien Personenverkehr mit der EU wurde wesentlich mit der Kleinräumigkeit Liechtensteins begründet. Ein weiteres Beispiel ist die sogenannte Trilateralisierung zwischen der Schweiz, der EU und Liechtenstein, die im Jahr 2007 unterzeichnet wurde. Dadurch muss Liechtenstein in bestimmten Bereichen EWR-Recht nicht länger selber umsetzen, sondern kann automatisch Schweizer Recht
anwenden, solange die Schweiz und die EU über ein solches bilaterales Abkommen verfügen.
In diesem Zusammenhang ist zusätzlich das Abkommen zwischen Liechtenstein und Österreich über die automatische Anerkennung von in Österreich zugelassenen Arzneimitteln in Liechtenstein zu nennen. Auch dieses Abkommen dient der korrekten Anwendung von EU-Recht in Liechtenstein – verhinderte aber gleichzeitig die Schaffung Dutzender neuer Stellen in der Landesverwaltung.
Daneben lassen sich diverse weitere Ausnahmen mehrheitlich auf die Kleinräumigkeit Liechtensteins zurückführen. Konkret handelt es sich um Ausnahmen, welche die eingeschränkten Verwaltungsressourcen oder die geringe Marktgrösse Liechtensteins berücksichtigen. Im Bereich Statistik werden zudem oftmals Ausnahmen mit Rücksicht auf den Datenschutz gemacht, welcher bei einer kleinen Population eine zentrale Rolle spielt. Schliesslich gibt es durch die Kleinräumigkeit bedingte gesellschaftliche und geografische Faktoren wie den begrenzten Siedlungsraum, das Fehlen natürlicher Ressourcen oder das erhöhte Interesse am Schutz der nationalen Identität, welche von der EU als Erklärungen für Ausnahmen akzeptiert wurden.
Solche Ausnahmen können mitunter auch kritisch betrachtet werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn damit eine Kosten-Nutzen-Abwägung zwischen regulatorischer Souveränität und administrativer Effizienz vorgenommen wird. Demnach wird die Umsetzung internationaler Verpflichtungen faktisch an einen anderen Staat delegiert, um so die eigenen Verwaltungskosten zu limitieren. Im Falle Liechtensteins schont dies zweifelsohne den Staatshaushalt, macht Liechtenstein aber gleichzeitig auch verwundbarer, indem – wie beispielsweise im Falle der Trilateralisierung – eine Abhängigkeit von der Schweizer Europapolitik geschaffen wird. Zudem drängt sich die Frage auf, inwieweit solche Ausnahmen die Rechtssicherheit im EWR schwächen. Dies mag ein Grund sein, warum mit Norwegen der grösste EWR/EFTA-Staat einem EWR-Beitritt der Mikrostaaten Andorra, San Marino und Monaco sehr kritisch gegenübersteht, da diese wohl noch mehr Ausnahmen als Liechtenstein benötigen würden.
Im Ergebnis sind solche Ausnahmen aber vor allem Ausdruck dafür, dass grosse Staaten und internationale Organisationen die besonderen Bedürfnisse kleiner Staaten durchaus berücksichtigen. Zumindest im europäischen Kontext gibt es deshalb nur wenige Anzeichen dafür, dass grosse Staaten ihre politische Macht gegenüber Kleinstaaten ausspielen. Vielmehr geniesst gerade Liechtenstein diverse Privilegien und einen
breiten Rechtsschutz, welche dessen Zugang zum europäischen Binnenmarkt erst ermöglichen.
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