Avenir Suisse stellt Agrarpolitik in Frage
Avenir Suisse bezifferte in der am Freitag in Bern vorgestellten Studie die volkswirtschaftlichen Kosten für Landwirtschaft und Ernährung in der Schweiz auf über 20 Milliarden Franken im Jahr.
Knapp 3,7 Milliarden Franken oder 5,1 Prozent der Bundesausgaben entfallen laut Eidgenössischer Finanzverwaltung im kommenden Jahr auf den Sektor "Landwirtschaft und Ernährung". Rund drei Viertel dieser Ausgaben sind Direktzahlungen.
"Privilegienliste"
Avenir Suisse zählt 148 Millionen Franken "agrarwirtschaftlich motivierte" Ausgaben hinzu. Ausserdem stockten die Kantone die Bundesbeiträge um 267 Millionen Franken auf, heisst es in der Studie. Pro Kopf bezahle die Bevölkerung in der Schweiz 1,34 Franken pro Tag für die Agrarpolitik gegenüber 32 Cent in der EU.
Die Denkfabrik zählt zu den volkswirtschaftlichen Kosten der Landwirtschaft aber auch Kosten für den Grenzschutz, Nachteile beim Export wegen fehlender Freihandelsabkommen und Umweltschäden. Die Studie enthält eine "Privilegienliste" mit über 100 Positionen, "ohne Anspruch auf Vollständigkeit", wie es heisst.
Mit einem Zehn-Punkte-Programm könnten diese volkswirtschaftlichen Kosten um rund 14,4 Milliarden Franken pro Jahr gesenkt werden, hat Avenir Suisse errechnet.
Das grösste Potenzial sieht die Denkfabrik beim etappenweisen Abbau des Grenzschutzes für Agrargüter bis 2030. 7,1 Milliarden Franken der volkswirtschaftlichen Kosten könnten so eingespart werden, zu Gunsten von Konsumenten und Unternehmen. An erster Stelle für Freihandelsabkommen nennt die Studie die USA und die Mercosur-Länder.
"Diskussion führen"
Weiter fordert Avenir Suisse, gemeinwirtschaftliche Leistungen neu zu definieren und gegenüber heute noch etwa halb so viele Direktzahlungen auszurichten. Die sichere Versorgung will Avenir Suisse auch auf ausländische Produkte stützen, mit möglichst vielen Quellen, um im Krisenfall rasch reagieren zu können.
Um Quereinsteigern den Weg in die Landwirtschaft zu erleichtern, verlangt Avenir Suisse ein modernisiertes bäuerliches Bodenrecht. Änderungen bei der Fusionskontrolle könnten in konsolidierten Märkten wie dem Detailhandel Übernahmen einschränken.
Weitere Vorschläge sind Verzicht auf Absatzförderung, der Abbau von strukturerhaltenden Transferzahlungen sowie eine "Agrarbremse" analog der Schuldenbremse. Ziel wäre, die Agrarlobby davon abzubringen, den Abbau des Grenzschutzes zu blockieren.
Auch die Umweltkosten will die Denkfabrik drücken, etwa mit an die Standorte besser angepasste Landwirtschaft, Lenkungsabgaben auf umweltschädlichen Hilfsstoffen und technischen Neuerungen.
Avenir Suisse will mit der Studie Transparenz schaffen und eine Diskussion führen, wie Direktor Peter Grünenfelder sagte. Die Politik entscheide, welche Punkte aufgenommen würden. "Die Diskussion muss geführt werden, statt dass wir auf die nächste Volksinitiative warten, die die Flexibilität der Bauern weiter einschränkt."
Kritik der Branche
Beim Bauernverband kam die Studie schlecht an: Die Errechnung der volkswirtschaftlichen Kosten sei "Zahlenakrobatik" mit völlig unrealistischen Annahmen, schrieb er. Die Landwirtschaft bewege sich in einem teuren Kostenumfeld; Direktzahlungen seien an Umwelt- und Tierwohlauflagen gebunden. Auch habe die Landwirtschaft einen Wert für den Tourismus.
Die Branchenvereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor (Sals) nannte die Ideen "veraltet" und "vom dogmatischen Ideal des Agrarfreihandels geprägt." Freihandel klappe nur auf dem Papier. Die Schweiz sei eine Hochlohn-Insel und Grenzschutz letztlich ein Schutz der Löhne.
"Der befreite Bauer"
Dass Avenir Suisse auf offene Grenzen und weniger Regulierungen für die Landwirtschaft pocht, ist nicht neu: 2006 - noch vor dem Ende der Milchkontingentierung 2009 - hatte Avenir Suisse mit dem Buch "Der befreite Bauer" einen agrarpolitischen Richtungswechsel angeregt und ebenfalls Kritik von Seiten der Bauern geerntet.
Einzelne Reformen seien seither zwar umgesetzt worden, sagte Studien-Mitautor Patrick Dümmler dazu. Doch insgesamt sei man "nicht einmal auf halbem Weg stehen geblieben", begründete er die neue, knapp 150 Seiten starke Studie. (sda)
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