Jack White bringt Montreux zum Beben
Er wurde zur Rocklegende, indem er die Vergangenheit umarmte. Der Blues vom Mississippi Delta hat ihn genauso beeinflusst wie die Country-Lady Loretta Lynn, Bob Dylan oder Led Zeppelin. Jetzt versucht der Gitarrenheld herauszufinden, wie sich die musikalische Zukunft anfühlt und beschreitet digitale Pfade.
Für sein jüngstes Soloalbum „Boarding House Reach“ musste White viel Kritik einstecken. Während die starken Songs der Vorgängerplatten vor allem von ihren Melodien lebten, fehlen beim dritten Solowerk des Amerikaners ähnliche Kaliber. Statt Lo-Fi präsentiert er Hip-Hop-Mutationen und computergesteuertes Beiwerk.
Jack mit den Scherenhänden
Jack White ist detailverliebt und überlässt nichts dem Zufall. Auch am Dienstagabend in Montreux will der 43-Jährige die volle Aufmerksamkeit der Menge und verbietet kurzerhand die Verwendung von Kameras. Auch die Fussball WM bleibt draussen: Sein grösster Gassenhauer „Seven Nation Army“, der inzwischen durch jedes Fussballstadion rund um den Globus schallt, lässt er im Gepäck.
Jack White macht keine Witze. Wenn er bei seinen Song zwischen Trash, Rock und Hip-Hop hin und her wandert, meint er es todernst. Der Multiinstrumentalist strotzt geradezu vor kreativem Output: Ob mit The White Stripes, The Raconteurs, The Dead Weather oder solo.
Gleich zu Beginn des Konzerts zündet White ein Feuerwerk: Mit eleganten Glam-Rock-Elementen wandelt er mit dem Song „Over and Over and Over“ auf den Spuren von T. Rex und Queen. „Seid ihr bei mir“, ruft der bleiche Musiker dem Publikum entgegen. Und gleich hinterher: „Es ist so friedlich hier in Montreux.“
Elektrisierend, eigensinnig, widerspenstig - Jack White erinnert in seinem virtuosen Gitarrenspiel an eine Version von Tim Burtons „Edward mit den Scherenhänden“. Seine Soli, von denen es an diesem Abend reichlich gibt, drehen sich nicht nur um Technik und Show, sondern um Emotionen und Revolution, ganz ohne Netz und doppelten Boden.
Schrill und authentisch
Zu Jack White gehören aber auch Tradition und Handwerk. Am Montreux Jazz Festival spielt er einige seiner früheren Solo-Nummern völlig gradlinig, aber niemals im Autopilot.
Andere White Stripes Klassiker sind in überraschende Formen gegossen, auch dank den neuen Mitstreitern Quincy McCrary und Neal Evans, beide am Keyboard. Carla Azar (Schlagzeug) und Dominic Davis (Bass), alte Weggefährten von White, komplettieren das explosive Quintett.
Whites Stimme ist schrill, kunstvoll und authentisch. Einer der intimsten Momente ist, als der Frontmann alleine auf der Bühne steht und dem Publikum eine Atempause von der emotionalen Achterbahnfahrt gönnt, die süchtig macht. (sda)
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