«Entscheidende Woche für die Diplomatie»: Darum sind die Friedensgespräche am Scheideweg
Die Gespräche für eine Beendigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gehen in dieser Woche in eine neue Phase. Der erste 28-Punkte-Plan der USA geriet schnell als «russische Wunschliste» und «Kapitulationsurkunde» für die Ukraine in die Kritik. Kiew und führende Politiker aus der EU liessen deshalb das Papier entlang von ukrainischen und europäischen Sicherheitsinteressen nachverhandeln und erreichten Änderungen. Nun sind auch erstmals offizielle Gespräche mit Russland über die strittigen Punkte geplant.
Zu den Erfolgsaussichten die wichtigsten Fragen und Antworten:
Wie ist der Stand bei den Gesprächen?
In den USA arbeiteten ukrainische und amerikanische Unterhändler am Sonntag an offenen Fragen eines möglichen Friedensplans. US-Aussenminister Marco Rubio sprach anschliessend von «weiteren Fortschritten», betonte aber auch, es bleibe noch viel zu tun. Präsident Donald Trump gab sich optimistisch: «Ich denke, es gibt eine gute Chance, dass wir einen Deal machen können», sagte er an Bord der Präsidentenmaschine Air Force One.
Der vorläufige 28-Punkte-Plan der USA war vorletzte Woche durch Medienberichte bekannt geworden. Führende europäische Staaten, EU-Vertreter und die ukrainische Delegation drangen daraufhin vor gut einer Woche bei einem Treffen mit US-Unterhändlern in Genf auf Anpassungen. Danach war die Rede von einem abgeänderten Papier mit 19 oder 20 Punkten.
Beide Versionen – die ursprüngliche und die Genfer Neufassung – liegen nach Angaben des Kreml auch Russland vor. Der russische Staatschef hatte den ersten US-Plan als Grundlage für mögliche Friedensverhandlungen gelobt. Moskau hat sich aber vehement gegen die europäische Einmischung und alle später vorgenommenen Änderungen ausgesprochen.
Wer verhandelt mit wem?
Auf ukrainischer Seite führt der Sekretär des Nationalen Rates für Sicherheit und Verteidigung, Rustem Umjerow, das neunköpfige Verhandlungsteam. Er hat in diesem Jahr bereits bei den ersten direkten Verhandlungen seit 2022 mit der russischen Seite in Istanbul gesprochen. Moskaus Chefunterhändler Wladimir Medinski ist weiter Putins erster Mann für die Gespräche; er hat mit Umjerow erfolgreich Austausche von Gefangenen und getöteten Soldaten ausgehandelt.
Nach den Gesprächen zwischen Kiew und Washington über ein Ende des Ukraine-Kriegs erwartet Kremlchef Wladimir Putin den US-Sondergesandten Steve Witkoff am Dienstag zu Verhandlungen in Moskau. Das Treffen werde in der zweiten Tageshälfte stattfinden, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge vor Journalisten.
Steve Witkoff hat nicht nur Putin wiederholt getroffen, er pflegt auch zu dessen Wirtschaftsexperten Kirill Dmitrijew enge Kontakte, der mehrfach zu Gesprächen über eine mögliche Beendigung des Krieges in den USA war. Dmitrijew lockt mit Wirtschaftskontakten, sollten die Kampfhandlungen enden und die Sanktionen fallen. Während er Anweisungen von Putins aussenpolitischem Berater Juri Uschakow befolgt, steht Witkoff in der Kritik, weil er sich von den Russen die Bedingungen für einen Waffenstillstand diktiert haben lassen soll.
Nicht direkt beteiligt an den Verhandlungen sind die Europäer, die sich angesichts des folgenschweren Krieges direkt vor ihrer Haustür aber dennoch immer wieder zu Wort melden. Die EU betont, dass die beiden Grossmächte USA und Russland nicht allein über das Schicksal der Ukraine und auch nicht über europäische Sicherheitsinteressen entscheiden könnten. Sie versuchen, Einfluss geltend zu machen und nicht auf die Rolle als Zuschauer reduziert zu werden.
Worum geht es bei den Gesprächen?
Beide Seiten bekunden die Bereitschaft zu Friedensverhandlungen. Aber sie wollen unterschiedliche Wege gehen. Die Ukraine strebt einen bedingungslosen Waffenstillstand an und will danach alles andere verhandeln. Russland hingegen will zuerst eine grundsätzliche Regelung des Konflikts.
Moskau dürfte einem Waffenstillstand nur zustimmen, wenn dafür bestimmte Bedingungen erfüllt sind – allen voran ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine und ein Stopp der Mobilmachung für den Krieg. Unerschütterlich scheint dabei die Position Russlands, das auf einem Rückzug ukrainischer Truppen aus dem gesamten Donbass besteht - also jenen Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk, die Moskau nicht kontrolliert.
Sowohl Russland als auch die Ukraine versuchen jeweils, sich Trump gegenüber friedensbereit zu zeigen und ihn damit wohlwollend zu stimmen. Zugleich sind sie vorsorglich bemüht, dem Kriegsgegner die Schuld anzulasten, sollten die Gespräche scheitern. Trump scheint vor allem daran interessiert, das für ihn leidige Kriegsthema durch einen Kompromiss zu beenden und wieder zu Geschäften vor allem mit der Rohstoffgrossmacht Russland zu kommen.
Kritiker werfen den USA vor, nur dieses Ziel im Blick zu haben und darüber den konkreten Inhalt eines Deals zur Beendigung des Krieges zu vernachlässigen. US-Aussenminister Rubio hingegen sagte vor den Gesprächen mit den Ukrainern in den USA, seinem Land gehe es nicht nur um das blosse Kriegsende an sich, sondern um eine Garantie, dass die Ukraine souverän, unabhängig und wohlhabend sein werde und keinen Krieg mehr erleben müsse.
Wo sind rote Linien?
Eine Kapitulation lehnt die Ukraine ab. Für Kiew sind mindestens drei Punkte nach bisherigem Stand nicht verhandelbar: Gebietsabtretungen in jeglicher Form gelten als ebenso indiskutabel wie der von Moskau geforderte Verzicht auf das Recht eines Nato-Beitritts und von Russland diktierte Beschränkungen der Truppenstärke und Waffengattungen des ukrainischen Militärs. Da es sich dabei um russische Maximalforderungen handelt, geht es auch um die Frage, wer zuerst seine roten Linien aufgibt.
Für Russland wäre es schon ein Erfolg, wenn zumindest die USA die bereits 2014 einverleibte ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim und den 2022 annektierten Donbass zwar nicht hochoffiziell, aber doch wenigstens faktisch als russisches Gebiet anerkennen.
Was können die Ergebnisse sein?
Die kommenden Tage könnten nach Einschätzung der EU-Aussenbeauftragten Kaja Kallas richtungsweisend für die US-Bemühungen werden. Man habe gehört, dass die jüngsten Gespräche in den USA schwierig, aber konstruktiv gewesen seien, sagte Kallas am Montag am Rande eines EU-Verteidigungsministertreffens in Brüssel. «Es könnte eine entscheidende Woche für die Diplomatie werden.» Zur Frage, ob sie den Amerikanern vertraue, dass sie eine gute Lösung für die Ukraine finden, sagte Kallas, wenn die Ukrainer in den Gesprächen gemeinsam mit den Europäern sitzen würden, wären sie definitiv viel stärker. Sie vertraue aber darauf, dass die Ukrainer für sich selbst einstehen könnten.
Bisher deutet indes wenig darauf hin, dass es schon bald zu einem tragfähigen Friedensplan kommt, weil die Positionen der Kriegsgegner sehr weit auseinanderliegen. Sollte sich die in die Defensive gedrängte Ukraine auf Russlands Maximalforderungen einlassen, wird in Kiew und in der EU eine Art Kapitulationseffekt befürchtet. Washington und Moskau dagegen betonen die Chancen eines Kriegsendes. Druckmittel der USA haben vor allem die ukrainischen Verteidiger zu befürchten, für die es ein schwerer Schlag wäre, sollten die Amerikaner die Weitergabe von Waffen und von Aufklärungsdaten für Angriffe im russischen Hinterland stoppen.
Doch selbst nach einem Komplettstopp jeglicher US-Hilfe könnte die Ukraine bei fortgesetzter oder sogar verstärkter Unterstützung aus Europa den Kampf fortsetzen. Denkbar wäre dann, dass Kiew darauf setzt, bis zum Herbst 2026 durchzuhalten und dann bei einer Niederlage von Trumps Republikanern bei den Kongresswahlen mit Hilfe der Demokraten wieder neue Unterstützung aus den USA zu erhalten. Jedoch verschlechtert sich die ukrainische Position an der Front vor allem aufgrund des chronischen Soldatenmangels zusehends, daran würde auch ein Stimmungsumschwung in den USA nichts ändern.
Um die Situation der Ukrainer am Verhandlungstisch zu stärken, könne die EU nun den Druck auf Russland weiter erhöhen. Dies sei unter anderem mit weiteren Sanktionen sowie mit der Nutzung von in der EU festgesetztem russischem Staatsvermögen für die Ukraine möglich. Vor dem sogenannten Reparationsdarlehen hätten die Russen grosse Angst, ergänzte Kallas am Montag.
Wie lang ist der Weg zum Frieden?
Der Weg zu einem Kriegsende wäre selbst bei einer Einigung auf einen Friedensvertrag sehr lang - auch weil Kremlchef Putin einen Waffenstillstand selbst verfügen kann, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski die Bedingungen für einen Frieden hingegen absegnen lassen muss und dafür auch die Unterstützung des Parlaments braucht. Gemäss Verfassung müssten die Ukrainer vielen Entscheidungen - wie Gebietsabtretungen - selbst zustimmen.
Auch ein Abbruch der Gespräche mit einer Wiederaufnahme im Frühjahr ist nicht unwahrscheinlich. Die grundlegenden Entscheidungen werden derzeit eher auf dem Schlachtfeld getroffen als am Verhandlungstisch. In der jetzigen Situation dürfte sich selbst bei einem unwahrscheinlichen Abgang Selenskis kein seriöser ukrainischer Politiker finden, der sich und seine Karriere opfert, indem er die russischen Bedingungen für ein Kriegsende akzeptiert.
Gleichzeitig fehlen der ukrainischen Seite die Hebel, Russland zum Nachgeben vor allem in den Gebietsfragen zu zwingen. Und Moskau hat auch nach Einschätzung westlicher Militärexperten derzeit die Initiative auf dem Schlachtfeld und erobert immer neue Gebiete. Die Kämpfe könnten also mindestens bis zur vollständigen Eroberung der Gebiete Donezk und Luhansk durch russische Truppen weitergehen.
Wie wahrscheinlich ist eine Fortsetzung des Krieges?
Eine Fortsetzung des Krieges ist nach aktuellem Stand sehr wahrscheinlich, auch wenn Russland nicht zuletzt infolge der Sanktionen zunehmend wirtschaftliche Probleme hat. Vermutet wird, dass der russische Machtapparat den Krieg noch Jahre führen kann, ohne dass das Land kollabiert. Für die Ukraine besteht somit das Risiko, die Kontrolle über ihr Staatsgebiet immer weiter zu verlieren.
Die Ukraine ist ebenfalls bereit, den Kampf fortzusetzen. Die Mehrheit der EU-Staaten will zudem Milliarden aus eingefrorenem russischen Staatsvermögen und anderen Quellen mobilisieren, um die Ukraine in ihrem Abwehrkampf zu unterstützen. Parallel dazu können zwar weiterhin Gespräche geführt werden. Doch ist ohne Klärung der beiden Hauptkonfliktpunkte des Nato-Beitritts und der Gebietsfragen kein schnelles Kriegsende zu erwarten.
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