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«Meine Heimat ist dort, wo ich mich wohlfühle»

Es sollte nur ein Auslandsaufenthalt in Quito, der besterhaltenen ehemaligen Kolonialstadt Südamerikas werden. Es folgten jedoch 20 weitere Jahre in Ecuador ? sowie ein Mann, ein Haus, drei Söhne und die Finca «El Molino.»

Quito/Vaduz. – «Ab und zu donnert es, als ziehe ein Gewitter auf, und alles im Haus wackelt.» Dann weiss Annette Gappisch, dass der nur 40 Kilometer entfernte Vulkan Tungurahua wieder mal eine Aschewolke zum Himmel schickt. Seit 20 Jahren lebt die 48-Jährige in Ecuador. In der Provinz Guano kauften sie und ihr Mann ein Stück Land, bauten, heirateten und bekamen drei Söhne. Ganz anders als Annette Gappisch es eigentlich geplant hatte. Denn ursprünglich reiste sie im Januar 1991 mit einem Anstellungsvertrag vom Liechtensteinischen Entwicklungsdienst in Ecuadors Hauptstadt Quito. Zwei Jahre lang wollte die gelernte Heilpädagogin in einem Kinderheim arbeiten.

Aufenthalt verlängert

Ecuador sollte vorerst das letzte grössere Abenteuer sein, bevor Annette Gappisch wieder in Liechtenstein ins Berufsleben einsteigen wollte. Thomas hiess der Mann, der ihr damals einen Strich durch die Rechnung machte: Annette Gappisch verliebte sich in den Schweizer, der mit Trinkwasser und Bewässerungsprojekten ebenfalls im Entwicklungsbereich tätig war und noch ist. Anstatt nach Liechtenstein zurückzukehren, verlängerte sie ihren Aufenthalt und unterschrieb bei Interteam Schweiz einen Vierjahres-Vertrag. Dabei verpflichtete sie sich, bei der indigenen Bevölkerung auf dem Land Frauenarbeit zu leisten. «Weil dort die männliche Bevölkerung vermehrt abwandert, war es das Ziel, die Frauen mit verschiedensten Projekten zu unterstützen», sagt Annette Gappisch. Dabei zeigte sie den Frauen im Haus- oder Handarbeitsbereich Arbeitsmöglichkeiten auf, mit denen sie sich und ihre Familien über Wasser halten konnten.

Lehmhaus in Eigenregie gebaut

Während sich Annette Gappisch für die Frauen auf dem Land einsetzte, wechselte Thomas zur schweizerischen Hilfsorganisation Swissaid über. Schliesslich entschieden sie sich, auf dem gekauften Stück Land mit dem Bau eines alternativen Lehmhauses zu beginnen. Ohne Architekten, alles in eigener Planung. Es entstand ein zweistöckiges Haus mit Grasdach, in dem Annette Gappisch heute mit ihrem Mann Thomas und ihren drei Söhnen Jonas (15), Dominik (11) und Pascal (9) lebt.
Nach und nach begann das Auswandererpaar mit Hilfe von einheimischen Landarbeitern mit biologischem Gemüsebau und weitete diesen aus. Es entstand schliesslich die Finca El Molino. Heute ist es so, dass grosse Geschäfte in Riobamba – dreieinhalb Autostunden von Quito entfernt – Abnehmer des Gemüses aus dem Bioanbau sind. Auch betreibt die gesamte Familie seit einigen Monaten jeweils samstags einen Marktstand, wobei alle mithelfen. Annette Gappisch hat ausserdem noch ein zweites Standbein: Innerhalb eines Krankenhauses macht sie an zwei halben Tagen in der Woche Abklärungen für lernschwache Kinder.

Fehlende Jahreszeiten

«Ecuador ist ein Land der Vielfalt – geografisch wie auch kulturell», sagt Annette Gappisch. Sie ist derzeit mit ihren zwei Söhnen auf Heimaturlaub bei ihren Eltern. Der älteste Sohn, Jonas, blieb mit seinem Vater zu Hause, um ihm bei der Arbeit auf der Finca zu helfen. Die vielen Gemüsesorten sowie die Kühe, Pferde, Schafe, Hunde, Katzen und Hühner geben Arbeit.
Die Liechtensteinerin geniesst die Zeit bei ihren Eltern – und diese geniessen ihre Tochter und vor allem ihre Enkelkinder in vollen Zügen. Annette Gappisch versucht, alle zwei, drei Jahre in ihre Heimat zu kommen – ihre Eltern nehmen die Reise einmal im Jahr auf sich. Die restliche Zeit wird mit E-Mails und Skype überbrückt.
Neben ihrer Familie gibt es noch etwas, das die Auswanderin auch nach 20 Jahren im Ausland noch vermisst: «Die vier Jahreszeiten.» In Ecuador sei das Klima immer in etwa gleich – es gebe weder Frühling noch Herbst, weder Sommer noch Winter.

Keine Fixpunkte

Annette Gappisch lässt es offen, ob sie ihre Zelte in Ecuador irgendwann einmal abbrechen und wieder in ihre Heimat zurückkehren wird. «Im Leben gibt es nie Fixpunkte», sagt sie aus Erfahrung. Auf alle Fälle wird sie solange ihre Kinder noch zur Schule gehen, in Ecuador bleiben. «Dann wird sich zeigen, wohin uns der Weg führt.»
Für Annette Gappisch wurde Ecuador zu ihrer neuen Heimat – ihre alte Heimat Liechtenstein wird sie aber nie vergessen. «Meine Heimat ist dort, wo ich bin und mich wohlfühle», sagt sie. Wohl fühlt sich die Liechtensteinerin hier bei ihren Eltern, wo sie aufgewachsen ist, wie auch in Ecuador, wo sie ihre eigene Familie gründete. Auch wenn es dort ab und zu mal wackelt und donnert, seit der Vulkan vor bereits zehn Jahren wieder aktiv wurde. «Das macht mir überhaupt nichts aus – in der Zwischenzeit gehört das schon zu meinem Leben, so wie der Föhn in Liechtenstein zu meinem früheren gehörte.» (bfs)

 

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