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Kanada - eine Adressänderung

Die beiden Auswanderer Hanni und René Steiger erzählen von ihrem Leben in Kanada, von den Mentalitätsunterschieden und kulinarischen Traditionen.

Calgary. - Es gibt Dinge im Leben, die ereignen sich einfach. Zufall? Geplant? Von allem ein bisschen. So ist es Hanni und René Steiger ergangen. Nicht einfach auf und davon. Hanni arbeitete in der Exportabteilung einer grossen Firma in Schaan und René hatte sein eigenes Büro. «An den Werktagen sahen wir uns am Abend und die Wochenenden waren vielfach mit Hausarbeit ausgefüllt. Sollte es das für den Rest des Lebens sein?

Eine komplett neue Umgebung

Unsere Hochzeitsreise führte uns 1995 nach Westkanada. Auf unserer Reise legten wir in Rocky Mountain House einen Halt ein. Die Gegend liegt zwischen den grossen Wäldern im Westen und der weiten Prärie im Osten. Der Kanada-Virus hatte uns erwischt. Im Frühling 1999 war es so weit: Wir packten unsere Habseligkeiten in einen Container und ab ging die Post. Bei einem Liechtensteiner in Calgary konnten wir ein Zimmer beziehen. Zwei Tage später gingen wir auf die Suche nach einem Haus, in welches wir am 1. Mai einzogen. Der Container kam am gleichen Tag. Das war ein Gefühl: Unsere vertrauten Möbel in komplett neuer Umgebung. Der Umzug war erfolgreich vollbracht. Es dauerte nicht lange und wir erhielten Besuch von Reisenden aus der alten Heimat. Besuche erfreuten uns auch in den kommenden Jahren immer wieder. Unseren typisch kanadischen Stadtbungalow unterzogen wir einer Renovation. Bei der Beschaffung von Baumaterial lernten wir viel über die Stadt kennen. Vor allem die Distanzen waren am Anfang wirklich recht beeindruckend.

Ein anderer Menschenschlag

Von der kleinsten Gemeinde in Liechtenstein ging es in eine Metropole mit fast einer Million Einwohnern! Nun wollten wir entdecken, was uns die Kanadier als das beste Land zum Leben auf der ganzen Welt anpriesen. Wir entdeckten einen Lebensmittelgrossmarkt und fanden dort neben allerlei feinen Gewürzen auch Schweizer Schokolade. Appenzeller- und Greyerzerkäse muss ein spezielles Käsegeschäft liefern. Nebenbei lernten wir langsam den kanadischen Lebensstil kennen. Einmal wurden wir von Kanadiern liechtensteinischer Abstammung belehrt: In zwei Jahren werdet ihr das Viertel, in dem ihr wohnt, nicht mehr verlassen. Das sollte sich nicht bewahrheiten. Eine wichtige Entscheidung für unsere Zukunft wurde gefällt: Wir verkauften das Haus und zogen aufs Land hinaus. Zufall oder nicht – im Clearwater County, dessen Zentrum Rocky Mountain House ist, fanden wir ein Grundstück mit einer Ranch. In etwa die Grösse von Planken, nämlich ein Viertel «Section». Das ist die kleinste Grundstückseinheit für Farmen oder eine Ranch. Wir konnten einziehen. Wir erlebten eine unliebsame Überraschung oder, mit anderen Worten, wir lernten den Menschenschlag kennen.
Frühling 2002: Unsere erste Saison stand vor der Türe. Das eine oder andere war noch zu reparieren. Mit eingefrorenen Wasserleitungen und Stromunterbrüchen hatten wir uns über den Winter abgemüht. Wir verspürten so etwas wie Pioniergeist. Holzofen und Petrollaterne. Im Juli begannen wir mit dem Neubau der Garage/Werkstatt. Fundament betonieren, Ziegel aufmauern, Holzrahmen für die Wände zimmern und aufrichten. Ein Projekt, geplant für vier Hände. Schnee im August brachte die Planungen vorerst komplett durcheinander. Zäher Einsatz war gefordert. Im Herbst konnten wir das Gebäude eindecken und fertigstellen. Ein Meilenstein? Für uns war es der Beweis: Wir werden es schaffen.
Mit diesem Bauwerk lernten wir, wie «do hena» gebaut wird. Dieselbe Rahmenbauweise wird auch an Häusern angewandt. Was uns immer wieder erstaunte, war die Tatsache, dass auf Qualität kaum Wert gelegt wird. Wir waren jahrelang auf Dienstleistung und Qualität getrimmt worden und jetzt drehte sich alles ums Billige. Direkt war die Aussage, mit welcher wir konfrontiert wurden: jetzt baut ihr zuerst eine Garage und dabei wohnt ihr in so einem alten «Glump». Ein Beispiel, wie unterschiedlich die kanadische und die liechtensteinische Mentalität sein kann. Was sich auch in Komentaren zum Tännchen zur Aufrichte ausdrückte. Es gäbe noch viele Geschichten zu erzählen.

Oberflächliche Gesellschaft

Die Schreinerwerkstatt ist die Grundlage für weitere Projekte. Für den Sommer 2004 hatten wir einen Anbau an unser bisheriges «mobilhome» geplant. Mit ein paar Holzlatten und Platten ein Gebäude errichten, das hatten wir bereits mit der Garage geprobt. Wieder einmal Zufall oder nicht – ein junger Berufsmann aus dem Unterland kam zu uns und half nicht nur mit seiner Arbeitskraft, sondern auch mit vielen Ratschlägen. Dieser Anbau erhielt eine komplett europäische Note. Schöne Böden, Täfer und Decken mit Holz aus dem eigenen Wald. Täglich erfreuen wir uns an dem, was wir in all den Jahren geschaffen haben. Auf der Ranch haben wir im Sommer «cow/calf pairs», also Mutterkühe mit ihren Kälbchen. Sahen wir zwei uns in Planken eher nur gelegentlich, sind wir nun seit Jahren täglich 24 Stunden zusammen. Kann das gut gehen? Unsere Arbeitsteilung hilft ganz sicher. Hanni ist Manager für Haus und Garten. Renés Bereich ist der Ranchbetrieb und die Werkstatt. Für spezielle Arbeiten ziehen wir Handwerker bei. Einer davon, inzwischen ist es ein guter Freund von uns geworden, meinte einmal: «You Swiss, you are so organized.» Schweiz und Liechtenstein, das trennt man hier nicht so genau. Die nordamerikanische Gesellschaft liebt ihren «small talk». Für uns Alemannen ist es unglaublich, wie oberflächlich diese Gesellschaft ist. In Calgary war Hanni in einem sogenannten «newcomers club» für Frauen. Herzlichste Begrüssung und dann nichts mehr. Ebenso erging es René in seinem Klub von Modelleisenbahnern. Auf die euphorische Frage, woher man komme, wird sofort klar, dass der kanadischen Schulbildung eine Langzeitwirkung in Geografie fehlt.
Nach unserer Ankunft bemühten wir uns sofort und suchten Kontakt zu Kanadiern. Als dieses Vorhaben kläglich scheiterte, kamen wir mit Europäern zusammen. Wir pflegen unsere angestammte Kultur, Sprache und Lebensstil. Auf dem Menüplan finden sich weder Fast Food noch Burger. Auch der langweilige «turkey» zu jedem Fest kann uns gestohlen bleiben. Käsknöpfle, «Repple met Krutt», Rösti und Bratwurst, Fondue oder Rebl lassen uns aufleben.

Repple met Krutt

Sogar Sauerkraut können wir hier kaufen. Eine kulinarische Schande ist hingegen das vorgeschnittene, im Plastiksack verpackte Brot. Deshalb backen wir jede Woche verschiedene Brote, Zopf und Kuchen.
Vor Einladungen wird vorher noch ein paar Mal hin und her telefoniert. Mit unseren europäischen Freunden ist das ganz einfach, kurz und bündig: Wann machen wir Fasnachtsküachle und bei mir oder bei dir? Seit ein paar Jahren treffen wir eine Schweizerin zu gemütlichen Nachmittagen. Im Sommer flattert vor unserem Haus die Liechtensteiner Fahne. Unser Nikolaus bringt Weihnachtskrömle, welche selbstverständlich nach alten europäischen Rezepten gebacken wurden.

Keine Wirtshauskultur

Mit unseren Familien und Freunden stehen wir vor allem durch das Internet in gutem Kontakt. Das Telefon wirkt fast altmodisch. Etwas bestellen und unsere Freunde schicken es uns. Die Post kommt von Übersee schneller, als wenn wir etwas in Calgary bestellen. Jeden Morgen wird gecheckt: Hat jemand geschrieben? Es ist eine Seltenheit, wenn die Mailbox leer ist.
Wir haben auch schon darüber diskutiert, was uns hier wirklich fehlt. Das soziale Leben ist in Liechtenstein viel ausgeprägter. Frauen treffen sich zum spontanen «Lädala» und die Herren zu einem Bier am Stammtisch. Sowas kennt man hier nicht. Die Distanzen sind grösser und eine Wirtshauskultur gibt es überhaupt nicht. Solche Höhepunkte erleben wir dann umso intensiver, wenn wir in die Ferien fahren. Alle Freunde sehen, was ein voller Terminkalender über alle vier Wochen bedeutet. Deshalb ist für uns nach den Ferien immer schon wieder vor den Ferien.
Unsere Ranch ist etwa sieben Kilometer vom nächsten Dorf entfernt mit dem Pioneer General Store. Das ist ein Gemischtwarenladen für Lebensmittel und Werkzeug. Monatlich machen wir in der Stadt einen Grosseinkauf für Lebensmittel und Ersatzteile. Wieder zurück auf der Ranch, erfreut uns die Ruhe. Wildtiere kommen bis an unsere Treppenstufen. Elche trimmen den Apfelbaum, die Rehe bedienen sich am Vogelfutter, das Geheul der Kojoten ist im Sommer Abendunterhaltung und wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, sind auch Hirsch, Wolf und Bär nicht weit.
Den Jahresablauf erleben wir in einem eher kurzen Frühling, ein bisschen Sommer und Herbst und lange, kalte Winter. Und das alles so lange, bis wieder einmal eine Adressänderung ansteht …» (zvg/bfs)

Serie «Auswanderer - Goodbye Liechtenstein»: Zum Dossier

 

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