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«Liechtenstein hat bereits über 50 000 Seelen»

Die Einwohnerzahlen steigen jährlich, die Wirtschaft floriert und gleichzeitig entstehen immer mehr Wohn- und Geschäftshäuser. «bauen+wohnen» hat sich mit Professor Peter Droege, Inhaber des Lehrstuhls für nachhaltige Raumentwicklung an der Universität Liechtenstein, über die Themen Raumplanung, Verkehr und Bevölkerungswachstum unterhalten.

Liechtenstein hat eine Fläche von 160 km2. 42 Prozent davon sind aufgrund geografischer Gegebenheiten nicht bebaubar. Über 36 000 Menschen leben in Liechtenstein. Für wie viele Menschen bietet Liechtenstein effektiv Platz?
Peter Droege:  «Platz» haben gemäss diesen Zahlen Hunderte Male so viele. Wäre Liechtenstein so dicht bevölkert wie Monaco auf der gesamten, theoretisch bebaubaren Fläche, würden hier beinahe 1,7 Millionen Menschen leben. Monaco hat ungefähr so viele Einwohner wie unser Land – auf nur 2 km2 – also einem Zwanzigstel der bebaubaren Fläche. Aber unsere wachsende Siedlungsfläche ist erst etwas über zehn Prozent unserer Landesgrösse; all das ist nur ein Gedankenspiel und geht an den Kernfragen des Landes vorbei.

Welches sind denn die Kernfragen des Landes?
Zunächst: Siedlungsdruck hat wenig zu tun mit Bevölkerungswachstum: seit 1950 stieg die Siedlungsfläche im Land zehnmal so schnell an wie die Bevölkerung selbst. Der Raumbedarf pro Einwhoner selbst ist eklatant und auch in nicht immer nachhaltiger Weise gestiegen. Die Kernfragen des Landes sind zudem die der besten Entwicklungsperspektiven. Und diese sind nicht unbedingt vereinbar mit starkem flächigem oder Bevölkerungswachstum. Wirtschaftsstärke muss auch nicht einhergehen mit Bevölkerungswachstum im Land selbst – das ist ein Missverständnis. Wenn man ein ungewöhnlich kleines, aber wirtschaftlich dynamisches Land hat, dann enstehen unausweichlich grosse Grenzbewegungen – das ist ein einfaches, verzerrendes geografisches Faktum und nicht vergleichbar mit Migrationsfragen wie in den USA, Russland oder China.

Können Sie ein Beispiel geben?
Es wäre so, als ob wir um die Innenstadt von München oder Wien eine Grenze ziehen würden. Dann wären plötzlich 90 Prozent der Angestellten dort Grenzgänger. Man kann nicht verlangen, dass alle in dem Kern wohnen. Wir haben eben die Besonderheit einer kleinen Grenze: Grosse Grenzbewegungen sind ganz normal und auch gut für uns. Zwei Drittel der Arbeitnehmer, die hier täglich über die Grenzen hin und her wandern, kommen aus weniger als 25 Kilometern Abstand. In Wien oder München wären das Nahpendler. Auch in Liechtenstein kommen die meisten aus nächster Nähe. Eine weite Entfernung ist bereits Bregenz: Nur wenige kommen noch von ‹so weit› her. Wäre das Land nur etwas grösser, hätten wir wesentlich weniger Pendler aus dem Ausland.

Dieser Umstand hat also auch Vorteile für Liechtenstein?
Liechtenstein hat ganz klar einige Vorteile. Diese betreffen nicht bloss die Bevölkerungsentwicklung, sondern die landschaftliche Qualität, die natürlichen Attraktionen und die einfache und praktische Tatsache, dass wir nicht alle regionalen Einrichtungen hier duplizieren müssen: eine Autobahn zum Beispiel oder einen Flughafen. Ausblicke, wie man sie in Triesenberg und anderen Lokationen geniessen kann, wären kaum so attraktiv, wenn sie verbaut wären. Das gilt auch für die Wirtschaft. Wenn plötzlich ein Riesenboom dadurch entstünde, dass wir alles und jeden im Lande selbst unterbringen würden, sodass ein Verkehrsstau von Balzers bis nach Schaanwald entstünde, dann würde die Wirtschaft auch leiden.

Wie würde Liechtenstein aussehen, wenn 100 000 Menschen hier leben würden?
Wir könnten in Liechtenstein rein räumlich leicht 100 000 Personen unterbringen, denn genug Bauland ist ja auch bereits ausgewiesen. Man kann 100 000 Einwohner jedoch nur unauffällig und ohne Wertverlust unterbringen, wenn man es geschickt anstellt. Das geht nicht nur durch das Ausweisen von Bauland. Siedlungsraum muss gut und koordiniert geplant sein, damit dieser Zuwachs gut untergebracht ist. Die Strassen- und Freiräume müssen menschlich gestaltet sein, das Verkehrsnetz muss einwandfrei und fussgänger- und velofreundlich funktionieren und es darf nichts an Freiraum verloren gehen. Aber dazu braucht es eben auch eine Landesplanung. Doch diese gibt es auf Landesebene nur bedingt – die Gestaltung der Siedlungen wird bis jetzt primär auf Gemeindeebene begleitet. (lb)

Lesen Sie mehr zum Thema Bauboom und Raumplanung in Liechtenstein im «bauen+wohnen»-Magazin.

 

 

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