­
­
­
­

Reichart: «Wir müssen es den Kindern vorleben»

Judith Reichart ist Koherausgeberin des neuen Nachhaltigkeitsmagazins «Original». Die Bregenzer ÖVP-Stadträtin will nachhaltiges Denken in Wirtschaft und Alltag nicht mit der Brechstange erzwingen, sondern mit Beispielen fördern. «Wir sind nicht Einsiedler im Wollpullover», sagt Judith Reichart.

Frau Reichart, wann ist eine Welt aus ihrer Sicht lebenswert?

Judith Reichart: Wenn Kinder in Familie und Gesellschaft einen Platz haben, der eine gesunde Lebensführung und eine gute Ausbildung garantiert. Sie sollen sich so bewegen dürfen, wie es Kinder tun, ohne zwanghafte Einschränkungen. Denn Kinder haben ein Recht auf eine sichere Zukunft. Dafür müssen wir die notwendigen Schritte setzen.

Die da wären?

Wir müssen den Kindern Verhaltensweisen vorleben, die praxisnah und für sie nachahmbar sind. Verhaltensweisen, die es auch nachfolgenden Generationen ermöglichen, in einer intakten Umwelt gesund und glücklich zu sein. Und da wird es sicherlich zu Einschnitten und Veränderungen kommen müssen. Unser Komfortdenken sollten wir überdenken. Die Frage ist: Was macht uns glücklich?

Diese Frage beschäftigt die Menschen schon lange.

Das Komfortdenken ist völlig übertrieben. Wir machen uns abhängig von Sachen, von denen wir glauben, dass wir sie unbedingt im Überschuss brauchen. Ist man glücklich, weil man die neueste Tasche gekauft hat? Oder ist man glücklich, wenn man mit seiner Familie einfach nur Zeit verbringen kann. Ist es mehr wert, mehr zu besitzen? Oder ist es ein Wert, Zeit für sich und für die Familie zu haben. «Weniger ist oft mehr» klingt abgedroschen, hat aber einen wahren Kern.

Bitte ein Beispiel.

Der Einkauf von Trinkwasser in Plastikflaschen in Vorarlberg. Unser Leitungswasser ist von bester Qualität. Trotzdem kaufen Menschen importiertes Wasser. Braucht es das? Diese Verpackungslawine? Wir brauchen eine neue Haushaltswirtschaft, die ohne immer noch mehr Verpackungen auskommt. Ein Supermarkt in Deutschland lebt das vor. Dafür benötigen wir saisonale Lebensmittel von Bauern aus der Region.

Wer soll dafür den Anstoss geben?

Hier ist die Wirtschaft gefragt. Sie gibt in vielen Bereichen mit ihren Produkten vor, wie wir leben sollen. Und die Wirtschaft weiss, dass sie sich ändern muss. Das zeigen uns Gespräche mit Unternehmern. Sie wissen auch, dass sich die Konsumenten nicht mehr länger täuschen lassen.

Die Macht der Wirtschaft geht von den Konsumenten aus. Haben die keine Mitverantwortung?

Natürlich. Aber die Menschen müssen sensibilisiert werden. Derzeit beschäftigt sich nur ein Drittel der Bevölkerung mit nachhaltiger Lebensweise. Der Grossteil kann den eingeschlagenen Weg aus unterschiedlichsten Gründen noch nicht verlassen. Es ist leider eine Erscheinung unserer Zeit, dass Konsum zu einem Bedürfnis geworden ist. Egal, ob man 20 T-Shirts braucht oder nicht. Die Wirtschaft muss also Alternativen anbieten, sonst kann man sich nur schwer anders verhalten. Logischerweise geht das nur Schritt für Schritt.

Hat Sie das dazu bewogen, mit der Grafikerin Evi Ruescher als Magazin-Herausgeberin tätig zu sein?

Ja. Wir wollen sensibilisieren. Aber nicht mit der Brechstange, nicht mit dem erhobenen moralisierenden Zeigefinder. Wir zeigen in unserem Magazin positive Beispiele für nachhaltige Lebensführung anhand von Menschen, von Pionieren des Alltags. Es ist möglich, dass jeder seinen Beitrag dazu leistet. Grosse Veränderungen finden im Kleinen statt. Viele Zeitschriften streifen das Thema oberflächlich, weil sie einen Zeitgeisttrend sehen. Nachhaltigkeit benötigt aber ein ernsthaftes Profil, eine ehrliche Auseinandersetzung.

Jede Zeit hat ihre Helden und ihre Dämonen. Derzeit gehört Nachhaltigkeit zu den Helden. Haben Sie mit «Original» eine offene Tür eingerannt?

Es ist kein Geheimnis, dass die Tendenz zu einem bewussteren Leben zunimmt. Es gibt zahlreiche innovative Unternehmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen in einem seriösen Umfeld platzieren möchten. Um Trittbrettfahrern keine Plattform zu bieten, prüfen wir genau, was wir berichten.

Nachhaltigkeit ist in der Wirtschaft ein Thema. Man wird aber das Gefühl nicht los, dass vieles davon ein Marketinggag ist. Täuscht dieser Eindruck?

Das sind die Trittbrettfahrer. Aber es gibt auch ehrliche Beispiele. In unserer nächsten Ausgabe präsentieren wir einen Vorarlberger Unternehmer, der sein Unternehmen völlig umgestellt hat und damit erfolgreich ist. Denn eines ist klar: Es ist nicht verboten, mit Nachhaltigkeit Geld zu verdienen. Nachhaltigkeit wird ein neues Lebensgefühl werden, ein Teil des Lifestyles. Es braucht die Veränderung. Aber deswegen werden wir nicht als Einsiedler im Wollpullover und in Birkenstocksandalen ohne Handy und Computer herumlaufen.

Sie sind seit zehn Jahren für die ÖVP als Kulturstadträtin in Bregenz tätig. Bildet Ihre Partei die Themen von «Original» nicht genügend ab?

Dieses Magazin ist meine private Angelegenheit. Logischerweise fliesst meine Einstellung in meine politische Arbeit ein. Das war aber schon vor «Original» so. Nur weil man politisch tätig ist, darf man sich nicht in anderen Bereichen bremsen lassen. Wir sind politisch völlig unabhängig. Und das Feedback von Parteifreunden und Kollegen aus anderen Parteien ist durchgehend positiv.

Die erste Ausgabe trägt den Titel «Machen wir es richtig». Was soll man denn richtig machen?

Wir wollten hinterfragen, was Nachhaltigkeit bedeutet. Viele verwenden den Begriff, es gibt aber keine klare Definition. Deshalb liefern wir Beispiele von Menschen, von denen wir glauben, dass sie es richtig machen. Im alltäglichen Leben. Wir erzählen ihre Geschichten. Spannend und auch amüsant. Ernsthaft, jedoch nicht mahnend. Das ewige Appellieren an das schlechte Gewissen ist nicht unser Weg. Die ständige kritische Reflexion bringt mehr, als bildlich gesprochen ständig mit dem Hammer «Nachhaltigkeit» in die Köpfe zu hauen.

Die Vorarlberger Wirtschaft lebt zu mehr als der Hälfte vom Export. In Ihrem Magazin wird eine Stärkung der regionalen Kreisläufe gefordert. Bis zu welchem Grad kann sich eine Region wie Vorarlberg selbst ernähren?

Das ist differenzierter zu verstehen. Es geht um das soziale Gefilde und um die Strukturen in Dörfern und Städten. Damit die soziale Lebensqualität erhalten bleibt, müssen die regionalen Kreisläufe gestärkt werden. Dazu braucht es Bauern, die nach den Regeln der Natur eine qualitative Ernährung sicherstellen. Das muss dann auch wertgeschätzt werden. Wir haben uns an viele Lebensmittel gewöhnt, die nicht in unserer Klimazone wachsen, zum Beispiel Bananen. Natürlich kann man die weiterkonsumieren, aber bitte unter Berücksichtigung globaler Zusammenhänge, also «fair trade». Doch braucht man wirklich Erdbeeren auch im Winter?

Also wieder mehr zurück zur Natur, aber auf neuem Wege.

Wir würden uns mehr «Grossmutter-Denken» mit der alten Lebensweise wünschen. Das hat nichts mit konservativ zu tun, sondern mit altem Wissen. Denn vieles davon ist durch unsere Supermarktmentalität verloren gegangen. Sauerkraut etwa liefert im Winter Vitamin-C. Da braucht man keine Importe von Früchten aus Gewächsanlagen in Südeuropa. Dieses bewährte Wissen ist überall im Leben hilfreich, zum Beispiel auch in der Architektur. Wann fällt man am besten einen Baum und wie muss das Holz gelagert werden, damit es beim Hausbau richtig eingesetzt werden kann. Unsere Wälder liefern alles, was man braucht. Warum also Teakholz aus dem Regenwald?

In allen Diskussionen zur Nachhaltigkeit taucht ATTAC-Aktivist Christian Felber auf. Natürlich darf er auch in «Original» nicht fehlen. Warum ist er eine Art Messias für die Bewegung?

Gemäss Felber soll Geld als öffentliches Gut neu gedacht werden und der Wirtschaft und der Gesellschaft dienen. Das ist ein Menschlichkeitsprinzip: Jeder soll gleich behandelt werden. Trotzdem darf sich mehr Leistung weiterhin rentieren. Wer mehr arbeitet, soll mehr bekommen. Wir sind keine Kommunismus-Anhänger.

Welche Rolle spielte Ihre Erziehung für das nachhaltige Denken?

Meine Eltern haben mir einen rücksichtsvollen Umgang mit Mitmenschen und der Umwelt vorgelebt. Eltern tragen eine grosse Verantwortung.

Ist Ihr privates Leben nachhaltig?

Natürlich nicht zu 100 Prozent. Aber ich versuche, nachhaltig zu leben, soweit es mir möglich ist und soweit die Angebote dazu vorhanden sind. Und wir versuchen, unseren Kindern mit gutem Beispiel voranzugehen.

Zeigt so eine Erziehung erste Früchte?

Unsere sechsjährige Tochter hat kürzlich ein Auto gezeichnet. Dem fehlte der Auspuff. Als ich sie danach fragte, sagte sie, dass dies ein Solarauto sei, das keinen Auspuff mehr brauche. Wenn man es den Kindern glaubhaft vorlebt, dann wird nachhaltiges Denken und Handeln zur Selbstverständlichkeit. (Interview: gübi)

 
Lädt

Schlagwort zu Meine Themen

Zum Hinzufügen bitte einloggen:

Anmelden

Schlagwort zu Meine Themen

Hinzufügen

Sie haben bereits 15 Themen gewählt

Bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits

Entfernen

Um «Meine Themen» nutzen zu können, stimmen Sie der Datenspeicherung hierfür zu.

Ähnliche Artikel

Abo
Nicola Gulli, Leiter der Natur- und Wildnisschule Liechtenstein, bietet jeweils am Mittwochnachmittag in Ruggell Kurse für Kinder an.
24.01.2024
Abo
Das Alpinale Kurzfilmfestival macht am kommenden Donnerstag erstmals halt in Liechtenstein, in der Kreativ Akademie in Vaduz.
19.03.2024
«Alpinale on Tour» am Donnerstag in Vaduz
Das Alpinale Kurzfilmfestival macht am kommenden Donnerstag erstmals Halt in Liechtenstein, in der Kreativ Akademie in Vaduz.
18.03.2024
Wettbewerb
2 x 2 Eintritte zur «20 Jahre Weinbauverein Schaan» Veranstaltung ...
Weinbauverein Schaan
Umfrage der Woche
Haben Sie den Eindruck, dass Liechtenstein unsicherer geworden ist?
­
­