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Marc Risch: «Die Fliegerei ist ein grosses Thema»

Der Liechtensteiner Psychiater Marc Risch plant eine Klinik für Stressfolgeerkrankungen. Er spricht über berufliche Umwege, wie er seine Frau am Seziertisch kennengelernt hat und was nach wie vor sein grösster Bubentraum ist. «Wir haben es oft sehr lustig in der Therapie», sagt Risch.

Herr Risch, wollten Sie schon immer einen medizinischen Beruf ergreifen?

Marc Risch: Ja und nein. Nach der Matura hatte ich eine Findungsphase: Ich war mir nicht ganz im Klaren, was ich später machen wollte. Die Frage war damals, ob ich eher in die juristische oder doch in die medizinische Richtung möchte. In einem Zwischenjahr nach der Matura habe ich verschiedenste Praktika gemacht im Spital, war in der Flüchtlingsarbeit tätig, habe den Pilotenschein in Kanada gemacht. Dann hat es ein Erlebnis gegeben bei meiner Hausärztin und da wusste ich, ja, das ist es. Ich wollte Kinderarzt werden.

Sie waren in Ihrem Zwischenjahr auch im Einsatz im Kosovo. Wie haben Sie die Zeit dort erlebt?

Damals waren Kosovoflüchtlinge in Liechtenstein ein grosses Thema. Meine Mutter hat bei der Flüchtlingshilfe mitgearbeitet. Und ich habe gesehen, dass man anpacken kann. In der Folge bin ich dann für ein Projekt in den Kosovo gereist und war einige Wochen vor Ort. Das war insofern ein eindrückliches Erlebnis, weil ich sehen konnte, was wirksame und nachhaltige Hilfe im grössten Katastrophen-, Kriegs- und Krisenzustand bedeutet, um beispielsweise 50'000 Menschen durch den Winter zu bringen. Da bin ich ganz klein geworden und ganz bescheiden. Und seit dieser Zeit sehe ich sehr viele gut gemeinte Hilfsleistungen auch sehr kritisch.

Sie haben sich dann für die Psychiatrie entschieden und den Facharzt mit Mitte 30 gemacht ? über Umwege.

Ja, ich habe in Zürich zu studieren begonnen, den Studienort gewechselt und dann in Innsbruck abgeschlossen. Und ich habe mich relativ spät entschieden, nicht in die Kinder- und Jugendheilkunde zu gehen, sondern in die Psychiatrie. Das war getragen von dem Gedanken, sich auf den Klienten einzulassen und sich Zeit zu nehmen für die Lebens- und Krankengeschichte. Dabei habe ich noch einen Umweg genommen über die Rechtsmedizin.

Sie haben allerdings nur ein Jahr lang in der Rechtsmedizin gearbeitet ? war das nichts für Sie?

Doch, schon. Ich habe als Assistenzarzt in der Rechtsmedizin in Basel gearbeitet. Es war eine sehr lehrreiche und wichtige Zeit. Ich wollte immer interdisziplinär arbeiten und kein Einzelkämpfer im weissen Kittel sein. Die Zusammenarbeit mit der Kriminaltechnik, der Staatsanwaltschaft und den Behörden war eine bereichernde Sache. Ich habe das damals auch gewählt wegen der forensischen Psychiatrie. Damit wurde auch die Basis gelegt für meine spätere Tätigkeit in der Psychiatrie. Letztlich bildet sich in der Rechtsmedizin sehr viel menschliches Leid ab ? mit Körperverletzungen, aussergewöhnlichen Todesfällen oder Suiziden. In allen Fällen, die wir dort bearbeitet haben, hat der psychologische Aspekt mitgeschwungen.

Hatten Sie nie Berührungsängste?

Nein, ganz im Gegenteil. Ich hatte ? und das ist vielleicht einfach Glück ? nie Berührungsängste. Das hat sicher mannigfaltige Hintergründe. Es hat natürlich auch mit privaten Erfahrungen zu tun. Innerhalb von Familien treten psychische Erkrankungen sehr häufig auf. Meine Verwandten waren mir Vorbilder, wie man mit psychischen Erkrankungen in der engsten Familie selbstverständlich umgeht. Berührungsängste habe ich nur bei Leuten, die mir persönlich sehr nahestehen, denn da fehlt auch mir die notwendige Distanz. Ich würde daher, wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen auch, bei Angehörigen und Freunden keine Therapie machen.

Sind Sie eigentlich tagtäglich mit Negativem beschäftigt?

Wir haben es oft auch sehr lustig in der Therapie. Es ist nicht immer traurig und es ist nicht immer dramatisch. Wir erleben in der Psychiatrie und Psychotherapie sehr viel mehr positive als negative Verläufe. Nicht selten wird in einer Therapie auch über Dinge gesprochen, die einem sonst sehr peinlich wären. Wichtig ist, dass der Psychiater eine geschützte Atmosphäre schaffen kann, in der keine Scham, Angst und Peinlichkeit mehr da ist, dann kann auch über schwierige Dinge mal herzlich gelacht werden.

Sie arbeiten seit August 2012 in eigener Praxis und haben sich dabei auf Depressionen spezialisiert. Warum?

Die Psychiatrie deckt ein breites Diagnosen-Spektrum ab. Ich habe gemerkt, dass dieser Bereich an Wichtigkeit gewinnt. Die Zahl depressiver Menschen steigt international. Die Arbeit mit dem grossen Gebiet der Depressionen ist auch etwas, das ich gerne mache und ich besser kann als andere Dinge. Einerseits liegt mir das und andererseits sehe ich in meiner eigenen Praxis, dass auch bei uns depressive Erkrankungen zunehmen.

Ist das der Grund für Ihr Projekt: Eine Klinik für Stressfolgeerkrankungen?

Ja, das ist eine Erkenntnis aus der Praxis heraus. Meine Frau und ich haben schon seit Jahren diskutiert: Was ist die beste Behandlung für diese Erkrankungen. Und wir haben festgestellt, dass es eine ganz ausgeprägte Unterversorgung im Bereich der Zusatzversicherten gibt. Es gibt überregional gesehen wenige stationär massgeschneiderte Angebote für Zusatzversicherte, die an einer Depression leiden.

Es gibt aber bereits einige psychiatrische Kliniken in der Region.

Das ist richtig, es gibt einige psychiatrische Kliniken zur Grundversorgung, die sich auch diesem Störungsspektrum widmen, aber auch alle andere Gebiete der Psychiatrie abdecken. Wenn ich heute aus der Praxis heraus jemanden in eine Privatklinik für Depressionen schicken möchte, dann habe ich Wartezeiten von fünf bis sieben Wochen. Wir möchten mit unserem Projekt mithelfen, einen Teil dieser Versorgungslücke zu schliessen.

Machen es persönliche Schicksale nicht besonders schwer, abends von der Arbeit abschalten zu können?

Das Bild, das der Psychiatrie gegenüber häufig entsteht, würde ich gerne in ein anderes Licht rücken. Die Psychiatrie ist kein trauriges Fach. Es stimmt aber schon: Es gibt ungefähr ein- bis zweimal im Monat einen Patienten, wo ich emotional stark Anteil nehme und für Momente möchte man mitweinen. Wenn ich dann heimkomme, dann sind da unsere Zwillinge. Die beiden sind jetzt drei Jahre alt und ich schau sie an und denk mir: «Mein Gott, was haben wir für ein Glück.» Ich bin mir dann sehr bewusst, dass ich ausserordentlich privilegiert bin. Natürlich trage ich auch Ärger mit mir herum, etwa wenn die Hilfs- oder Support-Systeme bei Patienten nicht optimal ineinandergreifen. Aber wenn ich abends zur Haustür reinkomme, läuft ein anderer Film (lacht).

Wie verbringen Sie Ihre Abende?

Ich schätze es sehr, meine Kinder ins Bett zu bringen und zwei, drei Stunden mit meiner Frau zu verbringen ? durchaus auch mal bei einem schlechten Film vor dem Fernseher. Sport würde ich gerne wieder mehr machen, aber da ist im Moment zu wenig Zeit dafür. Sonst investiere ich sehr viel Zeit in das Life-Festival. Der Donnerstag ist eigentlich mein schönster Tag, da bin ich fix daheim bei den Kindern. Momentan drehen sich am Abend die Gespräche mit meiner Frau natürlich oft um unser Klinikprojekt.

Ihre Frau Michaela haben Sie praktisch am Seziertisch kennengelernt?

Ja, wir haben uns im Medizinstudium im ersten Sezierkurs kennen- und dann wenig später auch lieben gelernt. Es gibt sicher für Aussenstehende romantischere Orte. Aber das war ganz eine intensive Zeit im Medizinstudium. Ich hab das Bild noch ganz klar vor Augen, wie das damals war ? als junge Studenten in der Formaldehyd-getränkten Atmosphäre (lacht). Wir kennen uns mittlerweile seit 18 Jahren.

Sie sind Präsident des OK-Teams des Life-Festivals in Schaan. Sind Sie selbst auch musikalisch?

Ja, ich habe eine musikalische Ader. Ich habe diese aber leider nicht sehr gepflegt. Ich habe Klavier gelernt in der Musikschule. Ich habe auch ein Klavier daheim stehen, das verfällt aber eher dem Staub beziehungsweise wird als Ablage verwendet. Es gibt schon Bereiche, die ich für mich wiederentdecken möchte. Nachdem ich das Lampenfieber der vergangenen Jahre etwas ablegen konnte, ist es schon ein Traum, irgendwann mal mit ein paar Freunden in einem Proberaum Musik machen zu können ? die grosse Bühne muss es aber nicht sein.

Ist das der grösste Traum oder gibt es noch einen grösseren?

Es gibt noch einen grösseren Traum (lacht). Die Fliegerei ist für mich ein ganz grosses Thema. Wenn man mich jetzt fragen würde, was wäre so ein Bubentraum, dann wäre es nach wie vor Hubschrauberpilot. Einmal selber einen Helikopter fliegen, das wäre schon ein grosser Traum. Dafür würde ich einiges stehen und liegen lassen.

Sie wirken sehr gelassen und entspannt. Was ist Ihr Geheimnis?

Das höre ich immer wieder und so ein Lob berührt mich auch. Wenn ich Dinge anpacke, dann nehme ich mir Zeit dafür und lasse mich voll darauf ein. Das hat auch damit zu tun, dass mir meine Familie den Rücken frei hält. (Interview: dws)

 
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