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Pepe Regazzi über den Rückzug Podladtchikovs

Pepe Regazzi äussert sich nach Iouri Podladtchikovs Olympia-Rückzug im Interview zum sportlichen Drama der Schweizer Snowboard-Equipe. Er spricht von einem traurigen Tag.
Pepe Regazzi, der Trainer der Schweizer Snowboarder, spricht im Zusammenhang von Iouri Podladtchikovs Rückzug von einem traurigen Tag
Pepe Regazzi, der Trainer der Schweizer Snowboarder, spricht im Zusammenhang von Iouri Podladtchikovs Rückzug von einem traurigen Tag (Bild: KEYSTONE/JEAN-CHRISTOPHE BOTT)

Der Chef-Coach arbeitet seit über einer Dekade mit dem verletzten Zürcher zusammen und kann die schwierige Situation um den 29-jährigen Halfpipe-Star bestens einschätzen: "Ein Einsatz wäre auf keinen Fall zu vertreten gewesen", sagte er der Nachrichtenagentur sda.

Pepe Regazzi, Sie kennen Iouri wie kaum ein Zweiter auf der Tour. Was ging Ihnen durch den Kopf, als sie spürten, dass er auf den wichtigsten Auftritt seit vier Jahren verzichten muss.

Pepe Regazzi: "Bei einem solchen Sturz macht jeder Coach die gleiche Rechnung: Gibt es Chancen, fifty-fifty oder mehr? So kurz vor den Olympischen Spielen muss man mit allem rechnen. Die Gespräche mit den Ärzten und Physios verstärkten meine Bedenken."

Wie fühlt sich die Dimension des Ausfalls an?

"Für mich sind zwei Seiten von Bedeutung. In sportlicher Hinsicht ist es ein trauriger Tag. Wir haben einen der besten Fahrer der Welt verloren, einen Athleten, dessen Stärke bekannt ist, an grossen Anlässen bereit zu sein. Wir werden ihn bereits morgen im nächsten Training vermissen. Andererseits geht es um die menschliche Komponente. Come down, schauen wir aufs grosse Bild; klar geht es um Ergebnisse, klar ist die Performance wichtig. Aber die Gesundheit geht immer vor."

Ein Einsatz wäre so oder so nicht vertretbar gewesen.

"Für mich war vom ersten Moment an klar, dass kein Mensch, kein Kollege, kein Fahrer sein Leben riskieren sollte. Wir sind in der Halfpipe so sehr ans Limit gekommen, es ist dermassen gefährlich, dass man bei 100 Prozent sein muss - physisch und mental, der Kopf spielt eine enorme Rolle; sonst ist die Gefahr riesig. Es ging darum, abzuwägen, wie der Gesundheitszustand von Iouri tatsächlich ist."

Und doch keimten leise Hoffnungen auf?

"Nach den ersten Checks in den USA hiess es schnell einmal, ein Start würde unmöglich sein. Es blieben aber noch viele Tage zur Verbesserung der Situation. Im Fall von Iouri konnte man gleichwohl nichts ausschliessen - zumal nach seiner raschen Genesung vom Kreuzbandriss."

Trat er darum noch zu einem letzten Schneetraining an?

"Er war bis zum Sturz an den X-Games besser vorbereitet als vor Sotschi. Ich habe mich nach seiner Ankunft in Südkorea in Seoul lange mit ihm unterhalten. Er wirkte immer klar, er wusste, was er riskieren kann. Der mentale Bereich gehört seit Jahren zu seinen Stärken. Aber wir wissen alle: Iouri ist angereist, um eine Goldmedaille zu gewinnen. Die MRI-Bilder verunsicherten ihn - verbunden mit dem Risiko, mit einem weiteren Aufprall den Kopf lebenslang zu schädigen, war ein Start unmöglich."

Wie haben Sie ihn nach dem womöglich schwerwiegendsten Entscheid seiner Karriere wahrgenommen? Er wirkte in der Öffentlichkeit erstaunlich gefasst.

"Er hat jedes einzelne Szenario durchgespielt im Kopf. Auf dem Weg von Los Angeles nach Korea wog er alle Chancen millionenfach ab. Er probierte alles, aber nach den Blutungen ein Risiko einzugehen, wäre die falsche Message gewesen. Alle wussten genau, was auf dem Spiel stand. Niemand konnte rückgängig machen, was sich anbahnte."

Für Sie als Coach ist der Olympia-Film nicht vorbei. Ab sofort müssen Sie sich um die übrigen Fahrer kümmern. Wie schwierig ist es für Sie, den Verlust des Sieganwärters zu verarbeiten?

"Kann ich die Situation von Iouri verändern? Nein. Warum sollte ich mich weiter mit der unlösbaren Situation beschäftigen? Mein Job ist, die gesunden Leute zu trainieren. Meine Rolle ändert jetzt sofort."

Können die restlichen Fahrer den Rückzug des Teamleaders einordnen und ausblenden?

"Klar, seit bald einem Jahr arbeiten wir mit einem Mentaltrainer, der mit den Athleten immer das Big Picture im Auge hat. Sie müssen in ihrem Kanal bleiben, sie müssen alle Störfaktoren verarbeiten."

Hätte Podladtchikov nun nicht selber einen Mentalcoach nötig? Fällt er in ein Loch?

"Nein! Iouri denkt instinktiv wie ein Mentalcoach. Er wird sich nicht beeinflussen lassen. Er kann seinen Körper pflegen und hat eigentlich rational realisiert, dass jedes Detail im Mindset zu 100 Prozent stimmen muss, um weitere Unfälle zu vermeiden. Er muss sich die Zeit nehmen, alles in Ordnung zu bringen - so wie es Roger Federer gemacht hat." (sda)

 
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