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Durchbruch für die grosse Koalition

Viereinhalb Monate nach der deutschen Parlamentswahl sind die Weichen für eine neue grosse Koalition gestellt. Und die SPD steht vor dem nächsten grossen personellen Umbruch.
Sie soll nach Martin Schulz (l) die SPD führen: Andrea Nahles (r), gegenwärtig SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Schulz wiederum möchte im Falle eines Zustandekommens der schwarz-roten Regierung das Aussenministerium übernehmen.
Sie soll nach Martin Schulz (l) die SPD führen: Andrea Nahles (r), gegenwärtig SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Schulz wiederum möchte im Falle eines Zustandekommens der schwarz-roten Regierung das Aussenministerium übernehmen. (Bild: Keystone/DPA/KAY NIETFELD)

Martin Schulz kündigte am Mittwoch seinen Rücktritt als Parteichef an und schlug Fraktionschefin Andrea Nahles als seine Nachfolgerin vor. Er will Aussenminister unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) werden, wenn die SPD-Mitglieder der grossen Koalition zustimmen.

Wichtigster SPD-Mann im Kabinett soll dann Hamburgs Regierungschef Olaf Scholz als Finanzminister und Vizekanzler werden. Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer soll ein neu zugeschnittenes Superministerium für Inneres, Heimat und Bau bekommen.

Dramatisches Finale

Das ist das Ergebnis eines dramatischen Finales der 13-tägigen Koalitionsverhandlungen, das am Mittwochmorgen erst nach 24 Stunden endete. "Es hat sich gelohnt", sagte Merkel anschliessend, die nun zum vierten Mal zur Kanzlerin gewählt werden könnte.

Sicher ist aber noch nichts: Die rund 463'000 SPD-Mitglieder haben das letzte Wort über den Koalitionsvertrag. Das Ergebnis der Befragung soll am 4. März bekanntgegeben werden. Die SPD-Mitglieder können bis zum 2. März um 24.00 Uhr ihre Stimme abgeben.

Bei einem Ja kann das neue Kabinett wenige Tage später im Parlament vereidigt werden, womit die mit Abstand längste Regierungsbildung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach fast einem halben Jahr vollbracht wäre.

Sechs Ministerien für SPD

Neben den letzten inhaltlichen Knackpunkten wurde in der Schlussrunde auch schon die Postenverteilung weitgehend geklärt. Die SPD, die bei der Bundestagswahl nur 20,5 Prozent der Stimmen erhalten hatte, schnitt dabei überraschend gut ab.

Sie soll sechs Ministerien bekommen, darunter die prestigeträchtigen Ressorts Aussen, Finanzen und Arbeit. Hinzu kommen das Familien-, das Justiz- und das Umweltministerium.

Schulz sagte, der Koalitionsvertrag trage "in einem grossen Masse sozialdemokratische Handschrift". Der 45-köpfige Vorstand stimmte ihm mit grosser Mehrheit bei vier Gegenstimmen zu. Schulz zeigte sich optimistisch, dass es auch beim Mitgliederentscheid eine breite Zustimmung geben werde.

Nur Aussenminister, nicht Vizekanzler

Der 62-Jährige verzichtet nicht nur auf den Parteivorsitz, sondern will auch nicht Vizekanzler werden. Er begründete dies damit, dass die häufige Abwesenheit eines Aussenministers und die Koordinierungsaufgaben eines Vizekanzlers schlecht miteinander vereinbar seien. Viele frühere Aussenminister - inklusive aktuell noch Sigmar Gabriel - waren aber auch Vizekanzler.

Schulz war erst vor elf Monaten mit dem Rekordergebnis von 100 Prozent an die Spitze der Sozialdemokraten gewählt und im Dezember im Amt bestätigt worden. Seit der verlorenen Bundestagswahl gab es aber massiven Unmut in der Partei über seine Amtsführung. Sein Eintritt ins Kabinett ist innerparteilich umstritten, weil Schulz einen solchen Schritt nach der Wahl zunächst ausgeschlossen hatte.

GroKo-Gegner werfen ihm deswegen mangelnde Glaubwürdigkeit vor. Das Aufgeben des Parteivorsitzes könnte mit Blick auf den Mitgliederentscheid auch ein Zugeständnis an die Kritiker sein. Nahles wäre die erste Parteivorsitzende in der mehr als 150-jährigen SPD-Geschichte. Schulz begründete die Entscheidung für die 47-Jährige auch mit der Notwendigkeit eines Generationenwechsels in der Partei.

Die personelle Neuaufstellung hat vor allem einen Leidtragenden: den bisherigen Vizekanzler und Aussenminister Gabriel. Der langjährige frühere Parteichef wird dem neuen Kabinett möglicherweise gar nicht mehr angehören und wäre dann nur noch Hinterbänkler im Bundestag ohne einen Führungsposten - und das, obwohl er in allen Ranglisten der beliebtesten deutschen Politiker ganz oben dabei ist.

CDU verliert Innen- und Finanzressort

Die CDU kommt bei der Postenverteilung relativ schlecht weg. Die Partei verliert mit dem Innen- und dem Finanzressort zwei der wichtigsten Ministerien. Der bisherige Innenminister Thomas de Maizière zieht sich ganz aus der Bundesregierung zurück. Merkel räumte ein, dass der Verzicht auf diese beiden Ressorts vielen schwer falle.

Es bleiben der CDU Wirtschaft, Gesundheit, Verteidigung, Bildung und Landwirtschaft. Die CSU übernimmt neben dem Innenministerium Verkehr und Entwicklungshilfe. Ob der wichtigste Posten des Kanzleramtschefs, der die Regierungsarbeit koordiniert, an CSU oder CDU geht, blieb zunächst noch offen.

Das Bündnis aus Union und SPD wäre das vierte dieser Art in der bundesdeutschen Geschichte und die dritte grosse Koalition unter Merkel. Der 177-seitige Koalitionsvertrag trägt den Titel "Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land".

Der Wortführer der Groko-Gegner in der SPD, Juso-Chef Kevin Kühnert, kritisierte das Zustandekommen der Einigung auf Twitter: "NoGroko bedeutet auch die Absage an den politischen Stil, der heute aufgeführt wird", schrieb er. Die Jusos starten am Freitag ihre Nein-Kampagne zum Mitgliederentscheid, die Parteiführung will erst ab nächster Woche für den Koalitionsvertrag werben. (sda/dpa/afp/reu)

 
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