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Am Scheitel der Welt

Ob nun Perücken, Bärte oder auch mal Schamhaare, Make-up-Produkte oder abgerissene Beine: Bei Orlando Bassi bekommt man all das und noch sehr viel mehr. Angefangen hat alles im beschaulichen Buchs und geht nun über Bali in die ganze Welt ? eine Ausnahmekarriere.

Die Verwandlung zum Nikolaus im zarten Alter von gerade mal elf Jahren kann man wohl als Orlando Bassis «Initiationserlebnis» bezeichnen. Der Startschuss für eine Karriere, deren Grundstein im kleinen Atelier des Theatercoiffeurs Hans Lutz in der Buchser Bahnhofstrasse gelegt wurde und zu vier eigenen Firmen auf Bali führte, die Bassi neben seinem verbliebenen Atelier im heimischen Buchs führt. «Ich kann mich noch genau erinnern», erzählt er über das Erlebnis. «Da gab es einen grossen Chlaus und ich war der kleine. Wir sind bei der Nikolausfeier der Hobbyfunker aufgetreten.» Die Verwandlung vom Jungen zum Greis mithilfe von Haaren und Schminke habe ihn fasziniert, erinnert er sich weiter. Zwei Tage später hat er die Sachen zurückgebracht und kurzerhand gefragt, ob er an der Seite des Meisters in die Welt der Verwandlung hineinschnuppern dürfe. Der sagte Ja, und eine schier unendlich scheinende Zeit des Abschminkens begann. Nichts anderes durfte der elfjährige Bassi monatelang machen: abschminken.

Seinen Traum, Maskenbildner zu werden, hat er sich dadurch allerdings nicht abgeschminkt. Bassi hielt tapfer durch, bis er selbst seine erste Wasserwelle legen durfte ? natürlich nicht, ohne die Technik zuvor monatelang einüben zu müssen. «Das war wirklich alte Schule, so auch das Make-up, da wurden keine Experimente geduldet.»
Kurzzeitig verunsichert von sämtlichen Stimmen aus seinem Umfeld, auch der des Berufsberaters, entschied sich Bassi, einen Ausflug in eine Lehre zum Radio- und Fernseh­elektroniker zu unternehmen. Die sollte ihm den Weg zum Kameramann ebnen ? eines seiner vielen Hobbys ?, machte ihn aber schnell unglücklich. Er hörte auf und kam wieder zu seinem ursprünglichen Plan zurück. Hierfür absolvierte er zunächst eine Ausbildung zum Damen- und Herrencoiffeur. Die richtige Entscheidung, straft der heutige Weltmarktführer das Argument, man könne von diesem Beruf nicht leben, augenscheinlich Lügen.

Grundstein für Weltkarriere

Meister Lutz, bei dem er jahrelang als Assistent mitgelaufen ist, war ein Mann der Tat und nicht so sehr einer der Worte. Eine Lehrtechnik, die ihm später, beim Anlernen seiner Mitarbeiter auf Bali, zugutekommen sollte. Vor allem das Erlernen alter Frisurtechniken hat ihm ein wertvolles Gut mitgegeben, denn gerade bei Historienfilmen ist das Wissen um solche Techniken essenziell. Das würden aber nur noch wenige Maskenbildner mitbringen ? Vorteil Orlando Bassi! Sein Handwerk habe er eigentlich in den Jahren beim Theatercoiffeur erlernt und nicht so sehr während seiner eigentlichen Friseur-lehre. Dort wurde er mit allen möglichen Aufgaben, wie Autowaschen, Rasenmähen, Saunabauen etc., betraut, alles fernab seines eigentlichen Berufs. Diese Verpflichtungen brachten ihm allerdings den Deal ein, verlängerte Wochenenden zu bekommen, in denen er von Filmset zu Fernsehset zu Theaterbühne springen konnte, und das sogar weltweit. Diese Engagements waren dann auch der Türöffner für sein jetziges Unternehmen, das höchst erfolgreich Haarteile und Spezial-Make-up für Opern, Musicals, Theater- und Filmproduktionen vertreibt.
Wie gross dieses Unternehmen tatsächlich ist, ist vielen Liechtensteinern und Werdenbergern gar nicht bewusst. Mit dem Namen Bassi verbinden sie vor allem eines: Fasnacht. Der kleine Laden in Buchs ist erste Anlaufstelle, will man eine richtig gute Aufmachung haben. Das «Atelier Bassi» eröffnete er im Jahr 1990, direkt nach seinem Lehrabschluss, für den ihm Anita Tinner zur Seite stand. Sie wurde Bassis erste Mitarbeiterin und ist heute, neben mittlerweile über 150 weiteren Beschäftigten, immer noch für Bassi tätig.

Ein Beinbruch, der kein Beinbruch ist: 1. Fasnacht

1990 also, ausgerechnet zur ersten Fasnacht, an der der Laden geöffnet hatte, brach sich Bassi ein Bein. Die Kunden wollten natürlich trotzdem bedient werden und so kam es, dass seine Mutter Rosa einsprang. Sie frisierte, während ihr Sohn auf einem Drehstuhl um die Kundschaft fuhr und diese per Make-up verwandelte. Ein gutes Team, das sich bis heute bewährt hat. Neben Mutter Rosa ist auch Vater Ferdi in der Firma des Sohns tätig, er zeichnet als Geschäftsführer der Atelier Bassi AG verantwortlich. Mama Rosa hat aber bereits vor ihrem eigentlichen Engagement in der Firma eine grosse Rolle gespielt, genauer gesagt ihr Fundus an Perücken: An seine allererste Perücke kann sich der Meister des Haars zwar nicht mehr erinnern, wohl aber an eine der ersten: «Ich muss ungefähr 12 Jahre alt gewesen sein. Aus einer Perücke meiner Mutter habe ich eine Glatze mit Haaransatz gemacht.»
Neben dem Vertrieb von profes­sioneller Theaterkosmetik und dem kleinen Friseurbereich stieg vor allem die Nachfrage an preisgünstigen, hochqualitativen Perücken in hoher Stückzahl immer weiter. Das führte schliesslich dazu, sich nach Produzenten in Asien umzusehen. Man wurde fündig: Zunächst in Korea, später dann in Indonesien. Die gewünschte Qualität zu finden, war dabei jedoch schwieriger als gedacht.
Schliesslich reifte der Gedanke, selbst eine Perückenfabrik zu gründen, um die eigenen Ansprüche erfüllen zu können. Der Plan ging auf, Bassi weihte in der Schweiz die beiden Balinesen Nengah und Wayan in die hohe Handwerkskunst des Perückenmachens ein. Beide lieferten erstaunlich schnell richtig gute Ergebnisse. Mit einem Startkapital von gerade mal 10000 Franken ging es los: Auf dem Land der Familie von Nengah wurde mitten im Dschungel ein Gebäude von 10 auf 10 Metern errichtet. Nach vier Monaten reisten die beiden Balinesen zurück in ihr Heimatdorf, suchten dort zehn Bewohner und lehrten sie, was sie vom Meister in der Schweiz gelernt hatten. Der kam einen Monat später und schaute sich die Ergebnisse an. Erstaunen und Begeisterung verdrängten die anfängliche Skepsis nach Jahren der Suche ? so konnte man arbeiten. Das war vor 16 Jahren, der Rest ist Geschichte ? Erfolgsgeschichte!

Besonderer Führungsstil

Neben der hohen Qualität der Erzeugnisse und dem unschlagbaren Preis ist dafür sicherlich auch Bassis ganz eigener Führungsstil und die Beziehung zu seinen Angestellten verantwortlich: «Um auf Bali Erfolg zu haben, musst du einerseits mit den Behörden gut stehen, aber vor allem auch mit dem Dorf, sonst kannst du?s gleich vergessen», weiss er. Er sei kein pedantischer Kontrolleur, sondern schafft viel lieber eine gute Atmosphäre, in der Mitarbeiter sich einbringen und etwas freier arbeiten können. Natürlich sollten alle das gleiche Ziel verfolgen, und solange es erreicht wird, seien ihm die Wege dorthin nicht so wichtig. «Ich habe einfach wirklich ganz tolle Mitarbeiter», weiss Bassi zu schätzen.
Er, der Marktführer, bei dem die weltweit besten Perückenmacher ihre Perücken bestellen, wirkt beim Eintauchen in all seine abenteuerlichen Stationen bescheiden, fast schüchtern und vor allem ansteckend begeisternd. Ach ja, der Tausendsassa hat nebenbei auch noch ein Hotel gebaut und betrieben. Das dient ihm nun aber selbst als Domizil.

Ein Filmstudio im Urwald

Das jüngste Kind in Bassis Firmenfamilie ist das «Movie Studio Bali». Was zunächst vielleicht zur Frage führen könnte, wie denn nun ausgerechnet auch noch ein Filmstudio ins Konzept passt, wird auf einen Schlag klar: «Das Filmstudio ist eigentlich das Ziel vom Ganzen. Darauf lief alles hinaus. All meine Projekte waren rund um die Film- und Theaterbranche angesiedelt», klärt Bassi auf. Er hätte schon immer Filme machen wollen, warum dann also nicht ein eigenes Studio bauen. Bei anderen Menschen könnte dies leicht vermessen daherkommen, nicht so bei Orlando Bassi. Hier geht es nicht bloss darum, den eigenen Traum zu verwirklichen. Bassi hat das Studio komplett mit Menschen aus dem Dorf aufgebaut, mit dem Ziel, dort Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, in einem Studio zu arbeiten und gleichzeitig eine Ausbildung machen zu können. «Das ist dann mein letztes Investment, danach hab? ich kein Geld mehr» ? sprichts und muss selbst lachen. Wenig wahrscheinlich, schliesslich falle dieser Ausspruch nach jedem Projekt und sei sozusagen Garant für weitere Ideen des Kreativkopfs, macht sein Marketingleiter Claudius Wirz augenzwinkernd deutlich. Beim Thema Film kommt übrigens ein weiterer Hollywoodexport des «Liewo»-Verteilgebiets ins Spiel: Stuntfrau Simone Bargetze. Sie besuchte den Buchser mit einer Filmidee. Aus dieser Idee wurde das Projekt «Spiderville», ein Horrorfilm, der in naher Zukunft produziert werden soll.
«Ich habe keine Kinder und keine Geschwister. Also was bleibt dann am Schluss, wenn ich nicht mehr da bin? Die Idee ist, das alles den Leuten zu übergeben, die jahrelang für diese Firma gearbeitet haben, damit sie eine Zukunft haben. Aber ob ich es schaffe, das vorzubereiten, das weiss ich nicht. Da muss ich wohl einfach noch ein paar Jahre länger leben, damit das klappt.» Und genau dieser Satz widerspiegelt Bassis schwer zu fassende, beeindruckende Persönlichkeit: eine Mischung aus Selbstironie, Kreativität, Unternehmergeist und nicht allzu ernster Ernsthaftigkeit. (kid)

Steckbrief
Name: Orlando Bassi
Wohnort: Abuan, Bali
Alter: 47
Beruf: Maskenbildner, Unternehmer
Hobbys: Essen (gut und viel)
Leibspeise: Beef tartar
Getränk: Sprudelwasser
Film: «Hugo»
Musik: Schlager/Schnulzen zum Mitsingen
Lektüre: «Das Parfum» von Patrick Süskind
Stadt/Land? Ich brauche beides im Wechsel
Stärke: Durchhaltevermögen
Schwäche: Sport
Kontakt: www.atelierbassi.com

 

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